ila

Einkaufstipps für das gute Gewissen?

Unterwegs im Dschungel der Siegel und Zertifikate

Bilder von Sklavenarbeit, abgeholzten Regenwäldern, gequälten Tieren und Giftseen drängen sich den aufgeklärten kritischen KonsumentInnen beim Einkauf ins Bewusstsein. Die Hoffnung auf eine bessere Welt lastet auf ihren Schultern – doch was können und sollen sie kaufen, um die Missstände zu beseitigen? Das Geschäft mit Siegeln und Zertifikaten für das gute Verbrauchergewissen boomt. Unzählige Werbekampagnen von Unternehmen, die sich mit Wohltätigkeitsprogrammen und ein paar Nischenprodukten ein gutes verantwortungsvolles Image schaffen wollen, heizen den Markt an und machen die Verwirrung beim Einkauf komplett.

Sandra Dusch Silva

Einkaufstipps für das gute Gewissen bieten Internetplattformen wie Utopia.1 Hier finden KonsumentInnen Kaufempfehlungen von Fernsehgeräten über Damenjeans bis hin zu Windeln. Die Stiftung Warentest wiederum untersucht seit 2004 vereinzelt auch die gesellschaftliche Unternehmensverantwortung und bewertet diese. In einem Test unterschiedlicher Laufschuhhersteller 2009 wurde Adidas/Reebok als sehr engagiert eingestuft. Untersuchungen der Kampagne für Saubere Kleidung zeigen jedoch, dass der zweitgrößte Sportartikelhersteller aller wohlklingenden Beteuerungen zur Corporate Social Responsibility (CSR – unternehmerische Sozialverantwortung) zum Trotz regelmäßig Arbeitsrechte in seinem weltweiten Zuliefernetz mit Füßen tritt, so beispielsweise in der Fabrik Ocean Sky in El Salvador.2 (siehe auch den Artikel in dieser ila, S. 4-6) „Engagiert“ nennen die Tester 2010 auch C&A.

Die Tester unterstreichen, dass C&A langfristig nur noch Baumwollkleidung in Bioqualität anbieten will. Immerhin verkaufte C&A bereits 2010 23 Millionen Kleidungsstücke aus zertifizierter Biobaumwolle. Die Biobaumwolle macht etwa zehn Prozent der Baumwollkollektion des Unternehmens aus. C&A ist mittlerweile der wichtigste Abnehmer von Biobaumwolle weltweit. Beim Anbau dieser Baumwolle werden weniger Pestizide und Düngemittel eingesetzt als im konventionellen Anbau. Genmanipuliertes Saatgut ist verboten. Dieses Engagement ist sehr positiv, sagt aber leider nichts über die Herstellungsbedingungen der T-Shirts aus, die der Test im Fokus hatte. Unabhängige Kontrollen unter Einbeziehung lokaler Akteure fanden in den Nähfabriken, die für das Familienunternehmen fertigen, nicht statt. Seit 2011 recherchieren die Tester selbst in den Zulieferfabriken und verlassen sich nicht mehr ausschließlich auf die unternehmenseigenen Auskünfte.

Einige Nichtregierungsorganisationen (NRO), wie beispielsweise der World Wildlife Fund (WWF), helfen beim Tricksen um ein soziales und ökologisches Image, dem sogenannten Greenwashing, tatkräftig mit. Im Gegensatz zu manch anderer Umweltschutzorganisation setzt der WWF auf Unternehmenskooperation: 2009 zahlten Kooperationspartner insgesamt 3,1 Millionen Euro an die deutsche Sektion. Das WWF-Logo steht auf einem Joghurtbecher von Danone, der aus Biokunststoff hergestellt wird. Das suggeriert ökologische Unbedenklichkeit. Auch die Sammelkarten mit WWF-Tiermotiven bei Rewe dienten mehr dem Imagegewinn des Supermarktes. Die Umweltschutzorganisation stand hierfür zu Recht in der Kritik.

Die Christliche Initiative Romero untersuchte die 30 wichtigsten Gütesiegel und Initiativen im Bekleidungssektor. Vertrauenswürdig sind vor allem Siegel und Initiativen, die von unabhängigen Stellen entwickelt, vergeben und kontrolliert werden (z.B. Fair Wear Foundation und IVN best). Meist werden dabei entweder ökologische oder soziale Aspekte in den Blick genommen. Auch nehmen die Siegel und Initiativen verschiedene Stationen entlang der textilen Kette unter die Lupe, den Anbau der Baumwolle (Fairtrade), die Zustände in den Nähfabriken (Fair Labor Association, Fair Wear Foundation oder Worldwide Responsible Apparel Production) oder das Endprodukt (Hauptsache Körperverträglich und Ökotext 100).

Zu den bekanntesten Gütesiegeln gehört Ökotex 100. Der Name lässt vermuten, dass grundlegende ökologische Kriterien bei den so gesiegelten Produkten eingehalten wurden, doch weit gefehlt, der Fokus liegt auf dem Endprodukt. Für die VerbraucherInnen wurde das Produkt von den schlimmsten Chemikalien sauber gewaschen, doch im Produktionsprozess waren sie noch enthalten und schädigten die Beschäftigten. Doch selbst für Babykleidung lässt das Siegel eine Mischung aus Schwermetallen, Pestiziden und Chlorbleiche noch zu. Weitreichender ist das Textilsiegel Global Organic Textile Standard (GOTS). Es umfasst den gesamten Herstellungsprozess eines Kleidungsstücks bis zu den Farben, die verwendet werden dürfen. Die ökologische Messlatte liegt hoch, allerdings gehen die Sozialstandards nicht so weit wie bei der Multi-Stakeholder-Initiative (bei der mehrere Interessengruppen vertreten sind) Fair Wear Foundation (FWF), die mit die strengsten Vorgaben auf dem Markt hat.

Die FWF prüft die Bekleidungsproduktion einschließlich der Auftragnehmer, Subunternehmer, Lieferanten und Lizenznehmer. Hier arbeiten Unternehmen, Gewerkschaften und NRO gemeinsam an der Umsetzung der Standards. Nur so ist eine glaubhafte Überprüfung möglich. Ferner untersucht die FWF auch die Einkaufspraktiken der auftraggebenden Unternehmen. Sie müssen ihre Unternehmensstrategie nach dem Kodex der Initiative ausrichten.

Im Gegensatz dazu beteiligen Unternehmensinitiativen wie die Business Social Compliance Initiative (BSCI) keine NRO oder Gewerkschaften am Entscheidungsprozess. Die Verantwortung für die Umsetzung grundlegender Standards liegt vorwiegend bei den Zulieferbetrieben. Preispolitik und Einkaufspraktiken der Auftraggeber werden bei BSCI nicht beachtet. Schulungen der ArbeiterInnen finden kaum statt. 2009 ist eine Arbeiterin aus einem Zulieferbetrieb des BSCI-Mitglieds Metro in Bangladesch aus Erschöpfung gestorben. Bei der Kontrolle durch BSCI in der besagten Fabrik wurden zwar Mängel festgestellt, diese aber nicht behoben. Kein Einzelfall. Im Zuliefernetz der über 700 BSCI-Mitglieder, darunter Aldi, Lidl, Otto, Metro und Deichmann, stellte die Kampagne für Saubere Kleidung wiederholt Missstände fest und kritisierte die Unternehmensinitiative wegen Greenwashing.

Viele Fälle von massiven Arbeitsrechtsverletzungen erreichen niemals die hiesige Öffentlichkeit. ArbeiterInnen in der informellen Wirtschaft, in den urbanen Slums und in der Landwirtschaft Afrikas, Asiens und Lateinamerikas bleiben recht- und schutzlos. Trotz des erfolgreichen Protests von KonsumentInnenkampagnen können weder die aufgeklärten und kritischen KonsumentInnen noch die VertreterInnen von NRO über Umwelt- und Sozialstandards für alle wachen. Es liegt in der Verantwortung von Regierung und Gesetzgeber, Regeln und Rahmenbedingungen zur Einhaltung von Sozialstandards und Menschenrechten zu schaffen, damit kein Produkt in die Verkaufsregale kommt – weder hier noch anderswo – das unter unwürdigen Bedingungen hergestellt wurde.

Dusch Silva, Sandra: „Wege aus dem Labeldschungel“, Christliche Initiative Romero (Hg.), ab Januar 2012 erhältlich. Die Diplompolitologin arbeitet seit 2003 bei der Christlichen Initiative Romero zu den Themen Arbeitsrechte, Grüne Mode, Discounter.