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Der härteste Raub überhaupt

Landgrabbing und Krieg gegen die Landbevölkerung im Norden von Honduras

Im Bajo-Aguán-Tal in Honduras setzen sich Morde, Morddrohungen und Entführungen von paramilitärischen und militärischen Gruppen unvermindert fort. Bereits mehr als 60 KleinbäuerInnen wurden dort seit dem Putsch 2009 ermordet, meist Mitglieder oder Sprecher von Kooperativen. Nicht nur organisierte KleinbäuerInnen werden zwischen Landgrabbing und Drogenkrieg aufgerieben, die arme Landbevölkerung – Campesinos, Landlose und Indigene sowie afro-indigene Gruppen – ist insgesamt betroffen. In dem Krieg gegen die Drogen an der gesamten Nordküste, vor allem in der undurchdringlichen Moskitia-Region, spielt die US-amerikanische Drogenbehörde DEA eine unrühmliche Rolle; immer öfter ist sie sogar direkt an Morden beteiligt. Über die Hintergründe des Landgrabbing in Bajo Aguán hat Tanya Kerssen ein erhellendes Buch geschrieben, das im Februar 2013 erschienen ist.

Laura Held

Tanya Kerssen nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie spricht vom Krieg gegen KleinbäuerInnen, einem War on Peasants im Bajo Aguán. Dieser Krieg ist nicht neu und er entstand nicht über Nacht. Es begann mit den neoliberalen Reformen zwischen 1990 und 1994. Damals eigneten sich honduranische Großgrundbesitzer auf teils legale, teils illegale Art und Weise große Teile des Landes an, das während der Landreform der 60er- und 70er-Jahre an KleinbäuerInnen verteilt und verkauft worden war. Nach der neoliberalen Landgesetzgebung von 1992 bemächtigten sich einige wenige reiche Investoren innerhalb kürzester Zeit einer Fläche von mehr als 21 000 Hektar, 70 Prozent des Agrarlandes im Bajo-Aguán-Tal. Die KleinbäuerInnen blieben jedoch im Aguán-Tal, auch wenn sie bis heute immer wieder vertrieben werden. Sie hatten keinen anderen Ort.

Heute schreitet der Landraub im großen Stil weiter fort, in einem Land, in dem bereits ein Viertel des Landes – und zwar das fruchtbarste Land – den Agraroligarchen gehört. Sie möchten sich auch die zehn Prozent der Agrarfläche aneignen, die zurzeit noch von KleinbäuerInnen bewirtschaftet werden. Das Land ist extrem ungerecht verteilt. In Honduras bewirtschaften 70 Prozent der Bauernschaft in Minifundios 10 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche, während ein Prozent der Landbesitzer 25 Prozent in riesigen Monokulturen bearbeiten lässt.

Der wachsende globale Energiebedarf hat das Geschäft mit dem Palmöl, das in Bajo Aguán in riesigen Monokulturen angebaut wird, sehr lukrativ gemacht. Hinzu kommt der weltweite Landhunger von Finanzinvestoren, die in der gegenwärtigen Finanz-, Energie- und Ernährungskrise Agrarland als kurz- und langfristige Anlagemöglichkeit entdeckt haben. Dabei interessieren sie sich, anders als die spanischen Landräuber während der Conquista, weniger für das Land als für den Wert, den es darstellt. Den Wert macht das aus, was darauf wächst bzw. was darüber oder darunter liegt. Der Ertrag der Nahrungsmittel, Energiepflanzen oder Viehherden bildet den Cash flow, also die kurz- und mittelfristigen Erträge. Langfristig wird der Wert von fruchtbarem Land sprunghaft ansteigen, das meinen zumindest die Investoren. Land ist zum Spekulationsobjekt geworden. In Honduras sind es allerdings zumeist keine ausländischen Investoren, sondern die einheimische Elite, die nach dem so wertvoll gewordenen Land greift.

Honduras' Elite, die sogenannten „zehn Familien“, möchte auch dasjenige Land um jeden Preis besitzen, das ihr noch nicht gehört. Dabei ist ihr jedes Mittel recht. Galt Honduras früher als sprichwörtliche Bananenrepublik, in der das US-Militär und die United Fruit Company miteinander um Einfluss kämpften, so erlangte die zunächst politisch unbedeutende einheimische Elite seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend mehr Bedeutung, und zwar in enger Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen US-Regierungen. Diese berühmten „zehn Familien“ bestehen überwiegend aus palästinensischen Einwanderern, die Anfang des 20. Jahrhunderts das auseinanderbrechende Osmanische Reich verließen und deshalb bis heute Turcos (Türken) genannt werden. Nachnamen wie Kattán, Canahuati, Facussé, Násser, Kafat und Larach bezeugen dies bis heute. Zunächst bearbeiteten sie jedoch keinesfalls das Land, auch wenn dies das ursprüngliche Ziel der honduranischen Einwanderungspolitik gewesen war, sondern betätigten sich im Handel, im Import-Export-Geschäft und in der Industrie. Erst seit der neoliberalen Periode der 90er-Jahre investierten sie neben den Manufakturen für den Weltmarkt, den Maquilas rund um San Pedro Sula, zunehmend auch in Land, vor allem in Ölpalmplantagen und Tourismusprojekte an den Küsten.

Ein seit dem Kalten Krieg militarisiertes Land, inklusive US-amerikanischer Militärstützpunkte und Trainingseinheiten, bildet dabei das Setting. Die reichen Familien, das Militär und die US-Politik sind eng miteinander verbunden Ein Beispiel dafür ist die 1983 gegründete Antikommunistische Assoziation für den Fortschritt in Honduras (APROH), in der militärische Aufstandsbekämpfung, Liberalisierung und Privatisierung Hand in Hand gingen. Den Vorsitz hatte General Álvarez Martínez, Generalbevollmächtigter der Streitkräfte; sein Stellvertreter war der Großgrundbesitzer Miguel Facussé. Dieser ist bis heute einer der reichsten Honduraner und spielt eine Schlüsselrolle in den Landkämpfen in Bajo Aguán. Schon damals waren politische Morde und Folter ein Mittel der Politik, die Militarisierung des Landes Teil des politischen Handelns.

Seit dem Putsch 2009 kamen fünf neue US-Stützpunkte dazu, die Militarisierung wurde noch einmal verschärft. In den 80er-Jahren ging es gegen „subversive Elemente“, GewerkschafterInnen, organisierte KleinbäuerInnen, die SandinistInnen in Nicaragua. Heute ist es der Krieg gegen Drogen, der zumindest von US-Seite als Grund für die enormen Gelder genannt werden, die nach Honduras fließen. Neben militärischen Direktleistungen sind dies Zahlungen der amerikanischen Entwicklungshilfeagentur USAID und der Interamerikanischen Entwicklungsbank IDB sowie der internationalen Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF). Im November 2010 unterzeichnete der Post-Putsch-Präsident Porfirio Lobo Verträge mit IWF, IDB und Weltbank im Wert von 322,5 Millionen US-Dollar. Das meiste Geld fließt in die sogenannte Aufstandsbekämpfung und in neoliberale Projekte. Vor allem organisierte KleinbäuerInnen und indigene Gemeinschaften sind das Ziel dieses Krieges. Es geht um Land, um Land und Macht.

Neben den Gewinnsteigerungen durch den globalen Landhunger sowie den Anti-Drogen-Krieg der USA spielt auch der Staatstreich von 2009 gegen Präsident Zelaya eine wichtige Rolle in der aktuellen Zuspitzung der Landkämpfe in Honduras. Während für die meisten Regierungen in Europa und den USA mit dem in einer Nach-Putsch-„Wahl“ gekürten Präsidenten Porfirio Lobo wieder demokratische Verhältnisse eingekehrt sind, steht dieser Präsident mitsamt seiner Regierung für die Legalisierung von Landraub in großem Stil. Land wird für Investitionen in Energiepflanzen, Bergbau, Tourismus oder Naturschutzprojekte zur Verfügung gestellt, dafür werden Gesetze geändert und AnwohnerInnen vertrieben. Tanya Kerssen nennt den Putsch den Crudest grab of all, den „härtesten Raub überhaupt“, den Raub von Staatsmacht. Und dieser sei zumindest teilweise eine politische Konsequenz des vorangegangenen Landgrabbing. Seit Anfang der 90er-Jahre, seit sich die honduranische Oligarchie mit Kauf, Betrug und Gewalt des fruchtbaren Landes bemächtigt hat, wehren sich die KleinbäuerInnen, organisieren sie sich, bemühen nationale und internationale Gerichtshöfe und machen sich bemerkbar. Im Jahr 1999 wurde die erste Bauernorganisation, die MCA, ins Leben gerufen, gefolgt von vielen weiteren. Zunächst versuchten sie sich vor Gericht gegen den Landraub zu wehren. Als der Druck immer massiver wurde, fingen sie an, Land in großem Stil zu besetzen. Tanya Kerssen nennt dies eine massive Grab-land-back-Bewegung. Als Präsident Zelaya ihrem Druck teilweise nachgab und ein – sehr mildes – Landreformgesetz verabschiedete, das landlose oder landlos gewordene Bauern unter bestimmten Umständen Land erwerben ließ, kam es zum Putsch. Manche sehen darin einen der Hauptgründe für den Staatsstreich.

Die KleinbäuerInnen kämpfen weiter. Sie sind in Kooperativen organisiert, gründen Menschenrechtsbeobachtungszentren, versuchen national und international auf sich aufmerksam zu machen. Der Putsch hat die organisierte Zivilgesellschaft in Honduras paradoxerweise nicht geschwächt, sondern gestärkt. Deshalb und wegen der enormen Gewinne mit fruchtbarem Land ist die Lage in Bajo Aguán so zugespitzt. Vor allem die organisierten BäuerInnen und ihre Familien sind das Ziel der Söldner und paramilitärischen Einheiten der Großgrundbesitzer. Diese werden dabei häufig von Polizei und Militär unterstützt. Da die Bauern das Land zum Überleben brauchen, wird der ungleiche Kampf weitergehen. Schließlich begreifen ihn die Campesinos/as als einen Kampf für die Demokratisierung des Landes, der Nahrungsmittel und der politischen Macht.

Tanya Kerssen, Grabbing Power: The New Struggles for Land, Food and Democracy in Northern Honduras. Vorwort von Eric Holt-Giménez. Food First Book. New York: Perseus, Februar 2013. Paperback 14,99 US-Dollar, ISBN 978-0-935028-43-0; E-book 9,99 US-Dollar, ISBN 978-0-935028-44-7