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Den Abgeordneten auf die Finger schauen

Interview mit Martín Rodríguez Pellecer, Redaktionsleiter des Onlinemagazins Nómada

Martín Rodríguez Pellecer hat ab Ende 2010 mit einem Team von KollegInnen das Online-Portal Plaza Pública betrieben, bis er 2013 nach Meinungsverschiedenheiten über den Kurs des Portals ausschied. Der 32jährige Pellecer hat seine journalistische Karriere bei der Tageszeitung Prensa Libre begonnen, dort sieben Jahre gearbeitet und steht nun an der Spitze von Nómada. Knut Henkel traf ihn im Oktober 2015 in Guatemala.

Knut Henkel

Guatemala hat sich seit dem April 2015 stark verändert. Die Korruptionsermittlungen der „UN-Kommission gegen die Straflosigkeiten in Guatemala“ (CICIG) haben eine beispiellose Protestwelle gegen Präsident Otto Pérez Molina losgetreten und ihn letztlich aus dem Amt gespült. Welche Rolle spielten Nómada, Plaza Pública oder Contrapoder dabei – die neuen Onlinemedien im Land?

Eine deutlich wichtigere als ich erwartet hätte, denn die digitalen Medien haben dazu beigetragen, dass die Entmythisierung der Macht der Politiker relativ schnell vonstatten ging: von Baldetti (ehem. Vizepräsidentin – die Red.) über Pérez Molina bis Baldizón (Parteichef der Konservativen Partei Lider, der lange als aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat galt – die Red.). Vor allem bei der Jugend des Landes sind die neuen, alternativen Medien recht einflussreich, sie genießen Vertrauen. Das ist auch international der Fall, denn es ist kein Zufall, dass Plaza Pública Zugang zu den Wikileaks-Unterlagen erhielt und nicht Prensa Libre. Das war die erste wichtige Referenz aus dem Ausland – wir haben eine höhere Glaubwürdigkeit.

Bei den Demonstrationen gegen die Korruption gab es viele Plakate, die auch Solidarität mit den Ixiles (Maya-Ethnie, die im Bürgerkrieg von 1960-1996 vom Militär verfolgt wurde) bekundeten. Eine Überraschung für Sie?

Nein, und es gibt auch eine Umfrage, die besagt, dass heute erstmals mehr als die Hälfte der GuatemaltekInnen wissen, dass es einen Genozid gab. Der Jahrhundertprozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt hat schon einiges bewirkt.

Klingt, als ob sich die Verhältnisse grundsätzlich änderten...

Ich denke, dass wir ZeugInnen einer Revolution gegen die Straflosigkeit wurden, die weitergehen wird. Ich denke, dass die BürgerInnen aufgewacht und deutlich wachsamer sind als zuvor. Ich hoffe, dass noch eine ganze Reihe von PolitikerInnen im Gefängnis landen werden und dass die BürgerInnen ihren Abgeordneten auf die Finger gucken werden – mit Hilfe der Medien und Abgeordneten, die die Spiele der Vergangenheit nicht mitmachen werden. Ich denke, dass es ausreichend zivilgesellschaftliche Gruppen gibt, die sich engagieren und aus denen sich etwas Neues entwickeln wird.

Was haben die Wahlen in einem Ambiente des Protests letztlich bewirkt?

Zuerst einmal waren die Wahlen legitim, es hat eine hohe Wahlbeteiligung gegeben – das ist positiv. Negativ ist, dass es nach wie vor Indizien für die Korruption gibt, dass die Parteien Geld aus dubiosen Quellen akzeptiert haben. Wir haben keine gläsernen Parteien, keine Überprüfung der Konten.

Wie beurteilen Sie die Situation des Journalismus in Guatemala?

Generell ist die Situation in Guatemala ähnlich wie in Mexiko, Kolumbien oder El Salvador. Man kann guten, unabhängigen Journalismus in den Hauptstädten machen, aber in den Regionen ist es deutlich schwieriger. Das zeigt das Beispiel des Verwaltungsbezirks Suchitepéquez, einer Region, wo Drogenmafias ihre Schmuggelkorridore haben und wo ein Menschenleben nicht viel zählt. Anlässlich des Mordes an Danilo López in Mazatenango, der Verwaltungsstadt der Region, haben wir uns mit weiteren Medien wie Plaza Pública und Contrapoder zusammengetan, um dort zu recherchieren und breit zu berichten. Unser Ziel war es, den Mord an Danilo und zwei weiteren Kollegen im März des Jahres nicht der Straflosigkeit zu überlassen, denn das Gros der Angriffe auf Journalisten wird nicht geahndet.

Ein Satz zu den Strukturen im Mediensektor Guatemalas...

Die vier wichtigsten offenen Kanäle befinden sich in der Hand eines mexikanischen Medienunternehmers, Herrn González, und ich weiß nicht genau, wie viele GuatemaltekInnen ihre Informationen nur aus diesen Sendern beziehen. Daneben gibt es Kabelkanäle, die kostenpflichtig sind, und das Zeitungsnetzwerk von Manuel Baldizón, welches von billigen Propagandablättern dominiert wird.

Von den traditionellen Medien, Fernsehen, Radio und Zeitung, unterscheiden sich die neuen digitalen Medien. Deren wichtigstes Kennzeichen ist, dass sie von unabhängigen JournalistInnen gemacht werden: sie sind nicht wie die traditionellen Medien auf den Gewinn ausgelegt, sondern auf echten, teilweise investigativen Journalismus ohne die typischen Einflussfaktoren im Hintergrund – die Politiker, die einflussreichen Familien, die dafür sorgen, dass die JournalistInnen nicht alles erzählen, was sie wissen.

Prensa Libre und El Periódico gelten international als qualitativ gute Tageszeitungen...

In Guatemala sind von den 15 Millionen EinwohnerInnen rund 9 Millionen Heranwachsende sowie Erwachsene. Von denen haben rund 35 Prozent Zugang zum Internet. Das ist in etwa ein Drittel der Bevölkerung über 16 Jahren. Früher war das dominierende Print-Medium die Prensa Libre, die von zwei konservativen Familien dominiert wird: Es gibt eine Studie, wie das Blatt seine Interessen mit denen von Präsident Otto Pérez Molina koordiniert hat. Doch der Einfluss von Prensa Libre sinkt: die Auflage ist von 150 000 Exemplaren vor zehn Jahren auf nur noch 90 000 Exemplare gesunken, und auch online ist Prensa Libre nicht mehr das Medium mit den meisten BesucherInnen.

El Periódico war lange der Gegenspieler von Prensa Libre, deutlich liberaler und fortschrittlicher. Dort gab es hingegen einen Konflikt zwischen Redaktionsleiter und Herausgeber, der eskalierte und zur Gründung von Contrapoder führte, einem Medium, welches liberalkonservativ ist und zur besten gedruckten Publikation Guatemalas geworden ist. Es ist ein einflussreiches Medium und verfügt auch über ein Fernsehprogramm.

Woher kommt das Geld bei Contrapoder?

Hinter Contrapoder stehen einflussreiche Leute wie der ehemalige Bergbauminister von Otto Pérez Molina, Erick Archila, dem auch der Kanal-TV-Sender Canal Antigua gehört.

Und bei Nómada, dem Onlinemagazin, welches Sie aufgebaut haben?

Bei Nómada ist es ganz transparent, wer uns finanziert. Wir haben uns mit einem Kredit über 25 000 Euro gegründet und es gibt 17 Partner, die jeweils 10 000 Euro investiert haben und an Nómada Anteile halten – das ist alles auf unserer Webseite aufgeführt. Natürlich kommt auch Geld von Lesern und durch Werbung. Uns gibt es nun etwas mehr als ein Jahr und wir sind deutlich kleiner als Plaza Pública, welches ich mitgegründet habe und welches von der katholischen Universität Rafael Landívar 2010/11 aus der Taufe gehoben wurde.

Wo steht Nómada und wo soll es hin?

Wir sind unabhängig, haben gute, junge JournalistInnen und sind heute schon das zweiteinflussreichste digitale Medium in Guatemala – zumindest bei der jüngeren Generation. Im August hatten wir 700.000 BesucherInnen – das ist unser Rekord und den wollten wir eigentlich erst nach vier Jahren erreichen. Wir gelten als glaubwürdig, werden angefragt und kommentiert von BBC, der New York Times und Al Jazeera. Das freut uns.