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Kopulieren ohne Ende

In Walter Lingáns neuester Erzählung sorgt „Ein Meerschweinchen unter Deutschen“ für Aufruhr
Britt Weyde

Wer selbst eine glückliche Meerschweinchenfamilie zu Hause hat, polygyn natürlich, wie es der Fachverkäufer der Tierhandlung empfiehlt, ein Böckchen, wie die Männchen genannt werden, zusammen mit mehreren Weibchen, und sich ihrer musikalisch expressiven Gesellschaft erfreut, wird bei so einem Buchtitel natürlich neugierig: Un cuy entre alemanes, so der Titel des auf Spanisch vorliegenden neuesten Werkes des Kölner Schriftstellers Walter Lingán.

Die Handlung ist schnell erzählt. Ein peruanischer Student kommt in den 80er-Jahren nach Deutschland. Kurz nach seiner Ankunft macht sein Körper merkwürdige Transformationen durch. Zunächst teilweise, später komplett, verwandelt er sich in ein Meerschweinchen, jenes Nagetier, das ursprünglich aus den Anden stammt, dort als leckere Eiweißquelle dient, dem mitunter auch magische Kräfte zugeschrieben werden. Die temporären Verwandlungen halten den jungen Mann nicht davon ab, mäßig erfolgreich zu studieren, sich in die Polit- und Partyszene rund um die Uni Köln einzubringen, seine Besessenheit für Literatur auszuleben und die lokale Frauenwelt aufzumischen. Mit der Zeit lernt er mit „seinem Leiden“ zu leben. Die anfängliche Verzweiflung und Einsamkeit weichen seiner zunehmenden Wollust und animalischen Unbekümmertheit. Seine Symptome verstärken sich und er kann sie nicht länger verstecken, zunächst nicht vor seinem engsten Umkreis, sprich, den zahlreichen Frauen, mit denen er in die Kiste geht, gegen Ende auch nicht mehr vor dem Rest der Welt. Selbst die Kanzlerin schreibt ihm einen Brief mit einem Appell zum „friedlichen Zusammenleben aller Lebewesen auf dem Planeten“. Bis dahin war es ein weiter Weg voller Kulturschocks und vieler trauriger Stunden, in denen sich der Immigrant mit seinen Mutationen unverstanden, verwirrt und isoliert fühlte. Einzig die Lektüre und die vielfältigen sexuellen Begegnungen mit dem anderen Geschlecht sorgen für Besänftigung und letztlich eine gewisse Art von Integration in die deutsche Gesellschaft, allerdings nur als Kuriosum, als mediales Monster und sexualisiertes Objekt.

Die literarische Anspielung („Die Verwandlung“ von Franz Kafka, in der sich der Handlungsreisende Gregor Samsa in einen Käfer verwandelt) liegt auf der Hand und wird explizit erwähnt. Auch eine andere Aliengeschichte mag da in den Sinn kommen, nämlich die von Paddington, dem Bären aus dem peruanischen (!) Urwald, der in London von einer netten Mittelschichtfamilie gefunden und aufgenommen wird. Nach etwas chaotischen Anfangsschwierigkeiten wird er schließlich in die englische Gesellschaft integriert, ein Buch (mittlerweile auch gelungen verfilmt) für Kinder, das laut Autor Michael Bond eine Migrationsgeschichte erzählt, allerdings mit Happy End.

Autor Walter Lingán ist für die ila kein Unbekannter, er war in den 90ern Redaktionsmitglied der spanischsprachigen ila latina und schreibt immer mal wieder für die ila, sodass sich recht schnell erschließt, dass durchaus autobiografische Erfahrungen eingeflossen sind. Aus der Außensicht des Neuankömmlings werden deutsche Exotismen, besonders aus dem linksalternativen Milieu, gekonnt dargestellt und aufs Korn genommen, etwa wie der Student die Unabgeschlossenheit deutscher WG-Badezimmer verflucht oder die Stereotypisierungen von PeruanerInnen beschreibt, wenn sie etwa Machu Picchu nicht kennen oder gar nicht wie Indios aussehen, gar vielleicht schwarz sind und damit ihre „Echtheit“ als PeruanerInnen bei den Deutschen aufs Spiel setzen. Oder auch die süffisante Darstellung der gegenseitigen Anziehung zwischen blonden „porzellanfarbenen“ deutschen Frauen und „zimtfarbenen“ peruanischen Männern mit indigenen Wurzeln. Die Frauen fahren auf die „exotischen“ Männer aus dem Süden ab, die wiederum die blonden Schönheiten beim Heimatbesuch mit stolz geschwellter Brust ausführen und lautstark ihre schlechten Deutschkenntnisse zur Schau stellen. Etwas schablonenhaft vielleicht, aber diese zeitgeschichtlichen Anekdoten sind amüsant zu lesen; ebenfalls interessant sind die Darstellungen und Einschätzungen der politischen Ereignisse in Peru samt ihrer Verbindungen zur peruanischen Exilgemeinde und der hiesigen Soliszene der 80er- und 90er-Jahre.

Was allerdings schon nach dem ersten Drittel nervt, ist die einseitige Darstellung der weiblichen Figuren. Klar, das Meerschweinchen im Manne muss ständig vögeln, das ist ein wesentlicher Bestandteil des Plots, im Laufe der Seiten ermüdet es jedoch ein wenig. Das Tier, das aus dem Süden kam, als Chiffre, um ungehemmt ein Mackertum auszubreiten, reduzierte Darstellungen von Frauen zu wiederholen, Frauenverachtung und Gewaltfantasien inklusive. Die weiblichen Figuren sind so flach, dass sie austauschbar erscheinen, Hauptsache, sie sind „sinnlich“ und haben, immerhin, ein Interesse für Literatur. Apropos Literatur: Das name-dropping von Autoren und literarischen Werken fällt ebenfalls exzessiv aus, sorgt aber für wenig Erkenntnisgewinn. Auf Seite 73 dann eine Art Schlüsselszene: Seine neueste Errungenschaft weist den Studenten darauf hin, dass er in dieser WG im Sitzen pinkeln muss. Da überkommt den Dritteweltmacho das enorme Verlangen, sich auf der Stelle in sein Alter Ego Meerschweinchen zu verwandeln und mal so richtig die Sau rauszulassen, fröhlich durchs Zimmer zu flitzen und überall hinzupinkeln, Klamotten und Schuhe mit seinen Markierungen zu versehen.

Fazit: Der Plot beruht auf einer netten Idee und die Erzählung wartet mit unterhaltsamen zeitgeschichtlichen Einsprengseln auf. Und wer auf animalische Sexfantasien aus explizit männlicher Sicht steht, kommt vielleicht auf seine Kosten.

Walter Lingán, Un cuy entre alemanes, Editorial Eclipsa, Mai 2015, 152 Seiten, auch als Kindle Edition zu erwerben