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Contes kleiner Zuverdienst

Das marode cubanische Transportwesen fordert die Kreativität der Reisenden heraus

Wie kommt man in Cuba von einem Ort zum anderen, wenn der öffentliche Verkehr kaum ausgebaut ist und Taxis nur schwer zu bekommen sind? Unser Autor ist meist mit dem Fahrrad unterwegs. In der Provinz Granma war er doch einmal auf ein motorisiertes Fortbewegungsmittel angewiesen. Die Fahrt als Tourist in einem staatlichen Fahrzeug entpuppte sich als kleines Abenteuer mit unerwarteten Überraschungen, das er in einem Brief festgehalten hat.

Dirk Breiholz

Holguin, 30. Januar 2015
Meine lieben Freundinnen und Freunde,
nach einer schwierigen Tour für mich, bei der ich fast die ganze Zeit krank war, habe ich mich erst mal in Santiago bei Freunden auf der Dachterrasse erholt, baumelnd in meiner Hängematte hoch über den Dächern der Stadt. Als ich nach vier Tagen ausgebaumelt hatte, juckte es mich, an die unglaublich schöne Südküste zwischen Santiago und Pilón zu fahren, 200 Kilometer zwischen den höchsten Bergen und dem blauesten Meer der Insel. Nach sechs herrlichen Tagen – also reinster Genusstour – kam ich nach Niquero, einem Ort aus wackeligen Holzhäusern gruppiert um eine riesige, alte Zuckerfabrik. Da von hier an die Strecke extrem langweilig ist, die nach Holguín zurückführt, entschloss ich mich ein Taxi zu ordern, welches mich 120 Kilometer weit nach Veguitas bringen sollte, unweit von dem Bauernhaus, in dem ich zu nächtigen gedachte. Uhrzeit und Preis waren schon ausgehandelt, aber als es dann soweit war, ließ mich der Fahrer einfach hängen.

Nun versuchten die Mädels an der Rezeption des Hotels alles, aber kein Taxi fand sich auf die Schnelle. Laura, das Zimmermädchen, hatte eine Idee: Sie fragte die beiden Jungs von der staatlichen Telefongesellschaft, welche dauerhaft im Hotel logieren, da sie für alle Klimaanlagen der Büros und Rechenzentren im Umkreis von 200 Kilometern zuständig und daher immer in Bereitschaft sind. So lernte ich also meinen neuen Fahrer kennen, einen schlaksigen, großen Afro-Cubaner mit Namen Alberto, der jedoch von allen nur „Conte” oder „el Flaco” genannt wird. Sein verschmitztes, charismatisches Lächeln ließ erahnen, dass es eine spaßige Tour werden könnte, denn er willigte ein, mich für 40 Dollar nach Veguitas zu bringen.

Dazu muss man wissen, dass staatliche Fahrzeuge, die nicht für den Transport von ausländischen TouristInnen autorisiert sind, auch keine mitnehmen dürfen, und dass jedes dieser Fahrzeuge ein Fahrtenbuch haben muss, in welchem von autorisierten Verwaltungsbeamten genau vermerkt wird, wo das Fahrzeug an welchem Tag eingesetzt wird. Natürlich richtet sich auch die Treibstoffzuteilung danach. Das Fahrtenbuch und die Insassen werden regelmäßig an festen Kontrollpunkten der Polizei überprüft, bei Unstimmigkeiten drohen Geld- oder Haftstrafen, Arbeitsplatzverlust und soziale Ächtung. Soweit die Theorie…
Conte durfte an diesem Tag laut Fahrtenbuch etwa 30 Kilometer weit bis nach Media Luna fahren, aber auf keinen Fall bis nach Veguitas und erst recht nicht mit mir an Bord, das ist deutlich mehr als eine Unstimmigkeit! Zwei Kontrollpunkte waren auf der Stecke zu passieren – aus meiner Sicht ein totales Himmelfahrtkommando, aber die Zuversicht von el Flaco machte mich gespannt, so dass ich mein Rad auf die Ladefläche des 25 Jahre alten Pick-ups warf, meine Packtaschen in der Kabine verstaute und mich neben meinen grinsenden Fahrer setzte.

Nach kurzer Fahrt der erste Kontrollpunkt, ich mache mich so unsichtbar wie möglich, setze die Sonnenbrille auf, um meine blauen Augen zu verstecken, und versinke tief im ausgeleierten Beifahrersitz. Natürlich steht ein Bulle mitten auf der Fahrbahn und winkt den Wagen an den Straßenrand – das war’s dann wohl!
Der Beamte steckt den Kopf in die Kabine, aber nicht um die Papiere zu fordern oder die menschliche Fracht in Augenschein zu nehmen, sondern um Conte leicht obszöne, kumpelhafte Beleidigungen an den Kopf zu schleudern, die von diesem schallend lachend in gleicher, freundschaftlicher Härte pariert werden – ich bin platt. Der Bulle wendet sich ab, wir bleiben trotzdem noch stehen, jetzt hat er’s doch noch mitgekriegt, jetzt ist die Fahrt schon vorbei und Conte in der Schlinge. Die Tür öffnet sich und ein zweiter Beamter, der nun seinerseits den schlaksigen Riesen überschwänglich begrüßt, macht es sich auf der Rückbank bequem, nachdem er meine Packtaschen (viel zu neu und viel zu speziell, als dass sie einem Cubaner gehören könnten) vorsichtig in eine Ecke der Kabine gedrückt hat. Nun muss der Schwindel doch auffliegen! Zumal Conte auf Nachfrage des ersten Beamten korrekt angegeben hatte, dass seine heutige Tour nach Media Luna ginge, ich nun aber mitbekomme, dass er unserem neuen Begleiter anbietet, ihn bis nach Manzanillo mitzunehmen, was noch weit hinter Media Luna liegt. Er gibt Gas und setzt unbeirrt unsere eben begonnene Plauderei darüber fort, dass dieses Auto ja nicht seines sei und dass er auf seinen immer gleichen Touren durch die Provinz natürlich jeden mitnehmen würde, den er mitnehmen könne, dass sich im Laufe der Jahre enge Bindungen entlang dieser Strecken entwickelt hätten, welche neben viel Spaß auch reichlich Optionen für lukrative Nebengeschäfte – natürlich allesamt illegal – eröffnet hätten. Wie alle CubanerInnen müsse er eben auch seinen kargen Lohn aufbessern, um klarzukommen. Ich traue mich kaum zu antworten, habe Angst, meine Art zu reden könnte mich verraten, bis ich aus dem Augenwinkel feststelle, dass unser Mitfahrer auf dem Rücksitz eingeschlafen ist, der Sheriff-Stern auf seiner Brust hebt und senkt sich im Rhythmus seines schweren Atems – er hatte Nachtschicht!

Kurz darauf fahren wir durch Media Luna. Bis dahin hat Conte schon vierzig Mal gehupt, mit den Armen gefuchtelt, aus dem offenen Fenster gebrüllt, überall kennt man ihn. Auch ein Beamter in der Uniform des berüchtigten Innenministeriums bleibt nicht ungegrüßt. Er steht mit drei Kerlen in Zivil am Straßenrand, gibt meinem Fahrer ein Zeichen zu halten. Herzliche Begrüßung durchs Fahrerfenster, kurze Unterredung, die Gruppe springt hinten auf die Ladefläche, nachdem Conte den Beamten ermahnt hat, bloß auf mein teures Rad achtzugeben. Wir brausen weiter, el Flaco klärt mich auf, dass wir neben einem hohen Justizbeamten nun auch drei Sträflinge befördern, welche zum Knast nach Manzanillo gebracht werden müssten – ich falle in sein derbes Lachen ein, welches den gesamten Wagen erschüttert. Andauernd wird angehalten, um den Straßenrand von verzweifelt Wartenden zu befreien oder sie glücklich an ihrem Ziel auszuspucken. Ein weiterer Beamter des Innenministeriums steigt zu, diesmal von der Migrationsbehörde, also direkt für mich zuständig, und offensichtlich ein Top-Kumpel von Conte. Ich gebe meine Anspannung vollkommen auf, unser Fahrer unterhält uns mit sauwitzigen Anekdoten, schallendes Gelächter begleitet die gesamte Fahrt. Vor dem Knast in Manzanillo verlässt uns die pikante Fracht von der Ladefläche, sogar ohne mein Rad zu klauen.

Wir passieren den zweiten Kontrollpunkt der Strecke und werden erneut angehalten. Am Fahrerfenster erscheint in voller Paradeuniform der Halbgott und Schrecken der Landstraße: ein Verkehrsinspektor. Dieser Beamte darf alles. Er kann Conte und sein Fahrzeug völlig auseinandernehmen, alle Papiere, jegliche Fracht, alle Beifahrer bis ins letzte Detail überprüfen, sofort Strafgelder verhängen, denn er ist die oberste Instanz im Kampf gegen illegale Aktivitäten auf den Verkehrswegen. „Nun hat’s uns doch noch erwischt“, denke ich, als schon die ersten derben Sprüche fliegen, der Halbgott ausgiebig die Hand des vermeintlich Todgeweihten schüttelt, um sie dann mir freundlich grinsend entgegenzustrecken – ich kann nicht mehr, das gibt’s nicht!

Als irgendwann alle Uniformen ausgestiegen sind, es sich alle außer Conte, der völlige Tiefenentspannung ausstrahlt, mit einem Ruck der Erleichterung bequemer machen, frage ich meinen Todesfahrer, wie das alles möglich sein kann. Er erklärt es mir so, dass er ein sehr hilfsbereiter und kommunikativer Mensch sei, den alle respektieren würden, weil er niemanden hängen lasse, wenn er ihm helfen könne. Das Transportwesen ist eines der größten Probleme der Insel, eine Hand wäscht die andere und durch seine regelmäßigen Fahrten mit dem relativ großen Wagen mit Ladefläche lässt sich eben so manches lösen – das macht alle froh und er behandelt alle gleich. Da ist dann eben auch mal so ein schönes Nebengeschäft wie mit mir heute drin.

Ich hoffe, diese kleine Episode macht euch verständlich, warum ich dieses Land so liebe, warum ich auch nach 17 Wintern immer noch staunend dastehe, erschüttert vom gerade Erlebten, wenn el Flaco mich in Veguitas verabschiedet und in einer Staubwolke Richtung Media Luna davonbraust.

Der Autor arbeitet als Fahrradguide für den Hamburger Reiseveranstalter Profil-Cuba Reisen.