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Zweifelhafte Entwicklung

Industrielle Garnelenzucht in Guatemala und Honduras

Mit der „Blauen Revolution“ begann in den 1980er Jahren ein neues Kapitel der industriellen Massenproduktion. Weltbank und IWF förderten den weltweiten Ausbau der küstennahen Aquakulturen. Die Versprechungen von wirtschaftlichem Aufschwung und Armutsbekämpfung haben sich in Mittelamerika nicht erfüllt. Zwei Jahrzehnte später hat die multinationale Garnelenindustrie große Teile der Mangroven abgeholzt, die Fischerei geschädigt und die lokalen Märkte geschwächt. Mit Hilfe des „Plan Puebla-Panamá“ (PPP) soll nun die industrielle Zucht ausgeweitet werden. Der PPP erstreckt sich von Südmexico bis Panama und zielt u.a. auf den Ausbau der Infrastruktur, den Bau von Staudämmen und die Ausweitung der Niedriglohnindustrie ab. Organisationen befürchten eine Verschärfung der Lebenssituation, sollte die Garnelenzucht weiter expandieren. Das Filmteam Dorit Siemers und Heiko Thiele (Zwischenzeit e.V.) reiste fünf Monate durch Mittelamerika. Der erste Film ihrer vierteiligen Dokumentation analysiert die industrielle Garnelenzucht in Guatemala und Honduras.

Dorit Siemers
Heiko Thiele

Garnelen, auch Shrimps genannt, sind mittlerweile ein fester Bestandteil des Angebots in unseren Supermärkten geworden. Galt die Delikatesse früher als teures Luxusprodukt, so hat die intensive Zucht zu einem starken Preisverfall geführt. In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Garnelen kontinuierlich gestiegen. Obwohl jedeR BundesbürgerIn im Jahr 2003 durchschnittlich 1,4 kg der Tiere verspeist hat, sind vielen VerbraucherInnen die Produktionsmethoden unbekannt. Entlang der subtropischen und tropischen Küsten erstrecken sich die Mangrovenwälder. Der Lebensraum zählt zu den produktivsten Ökosystemen weltweit. Er bietet Schutz vor Fluten und Hurrikanen, mindert die Küstenerosion und sichert die Artenvielfalt. Mangroven mit ihrem verflochtenen Wurzelsystem beherbergen eine Vielzahl an Pflanzen und Tieren und dienen Fischen, Garnelen und Krebsen als Laichplatz. Hier beginnt auch der Lebenszyklus der tropischen Garnelen. Für die Selbstversorgung und die lokalen Märkte ist die traditionelle Garnelenfischerei in vielen tropischen Ländern von existentieller Bedeutung.

Für die riesigen Zuchtbecken holzen die Konzerne weite Küstenteile in Asien, Süd- und Mittelamerika und neuerdings Afrika ab. Auch an der Pazifikküste von Guatemala und Honduras haben sich zahlreiche Shrimpsfarmen und Verarbeitungsindustrien niedergelassen. In dem guatemaltekischen Fischerdorf Champerico treffen wir Enrique Bonilla. Er ist Mitglied einer Umweltorganisation, die im lateinamerikanischen Redmanglar (Mangrovennetz) aktiv ist. Mit seiner Hilfe gelingt uns der Eintritt in eine streng gesicherte Shrimpsfarm. In den 34 Becken werden über 200 000 Garnelen/ha gezüchtet. Um die Gesundheit der Tiere zu gewährleisten, wird täglich 30-50 Prozent des Beckenwassers ausgetauscht. Der hohe Bedarf lässt den Wasserspiegel der Mangrovenwälder sinken und den Salzgehalt ansteigen. Aus Angst, den gesamten Shrimpsbestand durch Seuchen zu verlieren, setzen die Farmenbesitzer große Mengen an Chemikalien und Antibiotika ein. Mehrere Präparate sind mittlerweile in der EU verboten, da sie Krebs und Mutationen erzeugen können. So auch Neguvon von Bayer. Der Konzern streicht in den Ländern ohne staatliche Kontrollsysteme immer noch hohe Gewinne ein.

Der ständige Wasseraustausch schwemmt die Substanzen in die Natur. Viele der Mittel töten oder schädigen Fische, Vögel, Krebse und Pflanzen. Der ortsansässige Fischer Eduardo López berichtet uns von der Verschlechterung der Lebensverhältnisse. Die Privatisierung ehemals gemeinschaftlich genutzter Gebiete und das illegale Vorgehen des Sicherheitspersonals der Farmen habe die Situation extrem verschärft. Der Zugang zu den Mangrovengewässern wird den Fischern häufig mit Waffengewalt und durch elektrische Zäune versperrt. Die Shrimpsindustrie verteidigt diese Maßnahmen und sieht in ihnen einen wirksamen Schutz gegen Diebe. 2001 sind zwei Fischer von Wächtern getötet worden. Redmanglar fordert seit längerem die Aufklärung der Morde und die Einhaltung der Gesetze. Durch die Zerstörung und Verseuchung der Mangroven haben sich die Fangmengen der lokalen Fischer stark verringert. Oft reichen sie nur noch für den Eigenbedarf. Einnahmen für Nahrung, Kleidung oder Medikamente können durch den Verkauf auf dem lokalen Markt immer weniger erzielt werden.

In Honduras ist die Situation noch dramatischer. Eine Woche begleiten wir die Organisation CODDEFFAGOLF1 durch den Golf von Fonseca, in dem knapp 700 000 Menschen leben. Die Bucht ist zum produktivsten Zuchtgebiet Mittelamerikas aufgestiegen. 252 Farmen bewirtschaften eine Fläche von knapp 19 000 Hektar. Nach Kaffee sind die Garnelen zum zweitwichtigsten Exportgut geworden. Hierfür sind nahezu 70 Prozent der Mangroven im Golf zerstört worden. Angesichts der hohen Gewinne des Geschäfts werden die Grenzen zur Illegalität schnell überschritten. Obwohl laut Fischereigesetz von 1958 die industrielle Shrimpszucht aufgrund der Abholzung und Kontamination gesetzeswidrig ist, werden weiterhin Konzessionen vergeben und die industrielle Zucht selbst in Naturschutzgebieten geduldet. Wird eine Shrimpsfarm nach einigen Jahren aufgegeben, sind Verschmutzung und Verdichtung des Bodens gravierend. Die natürliche Regeneration der chemisch angereicherten und versalzten Areale ist kaum möglich.

Trotz der verheerenden Auswirkungen ist die finanzielle und politische Unterstützung des Wirtschaftszweiges ungebrochen. Es existiert eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung bzw. Ministerien, Unternehmen und Geldgebern. Der Staat verabschiedete bereits in den achtziger Jahren eine Richtlinie, um die Ansiedlung international tätiger Unternehmen zu fördern. Sie setzt niedrigere Steuer- und Zollsätze u.a. für die Einfuhr von Maschinen, Ersatzteilen, Rohstoffen und Verpackungen fest. Aber nur die Shrimpsindustrie profitiert von den Vergünstigungen. Justo Garcia von CODDEFFAGOLF kritisiert die ungleiche Behandlung im Fischereisektor. Sie habe erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität der lokalen Märkte. Wir erhalten einen Besichtigungstermin in der größten Verpackungsfabrik für Garnelen in Lateinamerika. Auch das Unternehmen in San Lorenzo profitiert von den Steuer- und Zollvergünstigungen. Die ArbeiterInnen, die in den gekühlten Hallen am Fließband stehen, werden saisonal für wenige Monate eingestellt. Ein ehemaliger Angestellter bestätigt die Kritik an den Arbeitsbedingungen, zu denen niedrige Löhne, zeitbegrenzte Verträge, Gesundheitsrisiken, (sexuelle) Belästigungen und direkte Kündigungen zählen.

Zelaya Girón, Direktor des Dachverbandes der Shrimpsindustrie ANDAH, verweist im Interview auf die nachhaltige Entwicklung im Shrimpssektor und die Verbesserung der Umweltsituation im Golf. Die Fahrt durch die kontaminierten Gebiete zu den Aufbereitungsbecken der Verpackungsfabrik zeigt jedoch das Gegenteil. Die „Reinigung“ der Abwässer soll durch Ablagerung der angereicherten Partikel erfolgen. Doch nachts öffnen sich die Schleusen und das Schmutzwasser wird in die Mangroven abgelassen. Die Menschen, die in der Nähe der Anlage leben, leiden unter Hautkrankheiten, Durchfall und Kopfschmerzen.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen im Shrimpssektor war und ist das erklärte Ziel der verschiedenen Regierungen Honduras. Die neuen Jobs sollten die Armut im Golf mindern und der gesamten Wirtschaft Aufschwung verleihen. Beides ist nicht eingetreten. Ein Großteil der Gewinne aus der industriellen Zucht fließt ins Ausland. Zudem belegen Organisationen wie Trópico Verde, CODDEFFAGOLF und Greenpeace in ihren Studien, dass auf einer Farmfläche von zehn Hektar höchstens ein Angestellter arbeitet. Vor der Abholzung der Mangroven verdienten sich dort über 100 Familien ihren Unterhalt durch Fischfang.

Die Garnelenindustrie hat die ökologischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen im Golf gestört. Die Fischbestände sind stark zurückgegangen – die Einkommen der Fischerfamilien reichen kaum noch zum Leben. So sind viele Menschen aus ökonomischen Gründen gezwungen, in Shrimpsfarmen oder -fabriken zu arbeiten, da die Industrie ihre traditionellen Einkünfte zerstört hat. Der Widerstand gegen die Auflösung regionaler Wirtschaftskreisläufe und die Zerstörung der Mangroven ist ungebrochen. Zahlreiche Konflikte zwischen Shrimpsindustrie und Gegnern prägen die Vergangenheit des Golfes. Zwölf Fischer wurden bereits in der Nähe der Farmen ermordet. Mit Demonstrationen und politischen Aktionen machen die Menschen auf ihre Situation aufmerksam und fordern die Aufklärung der Morde.

Deutschland ist einer der wichtigsten Importeure von Garnelen aus Guatemala und Honduras. Das Emdener Unternehmen COSTA, das zur Oetker-Gruppe gehört, bezeichnet sich selbst als „führenden Anbieter von tiefgekühlten Meeresspezialitäten“ in Deutschland. Eine Stellungnahme vor der Kamera lehnte der Konzern ab. Schriftlich teilte man uns mit: „COSTA lehnt den Einsatz von Chemikalien in der Shrimpszucht grundsätzlich ab (...) In den Betrieben der Lieferanten wird das Personal überdurchschnittlich bezahlt; auch die Sozialleistungen sind überdurchschnittlich.“ Die honduranische und guatemaltekische Wirklichkeit sieht anders aus!