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Schlichter Zauber

Zum Band „Geistertanz“ von Humberto Ak'abal
Viola Campos

„Und das Meer…?“

Warum sprichst du nicht vom Meer,
fragen sie mich.
Und ich erwidere:
als erstes habe ich in meinem Leben
die erdfarbenen Augen meiner Mutter
gesehen, dann
die Erde der Berge.
Ich habe, sehend,
hinter dem Meer gelebt.
Deshalb.

Reden wir nicht lange herum:/ dass es Geister gibt,/ ist sonnenklar./ Ein Dorf ohne Geister/ ist gar kein richtiges Dorf./ Aber/ die Geister/ müssen wirkliche Geister sein.“ Diese Verse des Maya-Autors Humberto Ak'abal scheinen einer entfernten Welt zu entspringen, in der übernatürliche Wesen und Kräfte Bestandteile des alltäglichen Lebens sind. Der Gedichtband „Geistertanz“, erschienen im Waldgut-Verlag, ist das dritte Werk Ak'abals in deutscher Sprache. Durch die Auswahl und Übersetzung von Erich Hackl kommt der/die LeserIn in den seltenen Genuss eines ungetrübten Einblicks in die Kultur eines Volkes, dessen Stimme von der Unterdrückung gekennzeichnet ist. Fernab von Weltuntergangsszenarien, folkloristischer Touristenunterhaltung und exotischen Halbwahrheiten beschreibt Humberto Ak'abal in „Geistertanz“ Szenen aus seinem Leben in einem K'iche'-Dorf in Guatemala.

Hoffnung, Liebe, Träume, Trauer, Armut, Angst und Wahnsinn bevölkern die Seiten dieses Buches, dessen Botschaft überraschend universell ist. Die überwiegend kurzen Gedichte, die teilweise mit drei Versen auskommen, offenbaren in ihrer schnörkellosen Sprache menschliche Wahrheiten. Der Autor schafft es mit wenigen Worten, dem Alltäglichen seinen Zauber zu entlocken und alten Maya-Weisheiten neues Leben einzuhauchen. Zentrale ProtagonistInnen der Gedichte sind neben der Familie und der Dorfgemeinschaft die Natur sowie allerlei übernatürliche Wesen. Die Großmutter gibt den Frischvermählten Ratschläge für das gemeinsame Leben mit auf den Weg, verpasst dem Großvater nach einem misslungenen Selbstmordversuch eine Tracht Prügel und kennt die Tricks, um Geister zu verscheuchen.

Auch die natürliche Landschaft wird thematisiert. Die häufige Personifikation der Natur lässt eine enge Beziehung zwischen den Menschen und ihrer Umwelt erkennen. Vor allem die Erde in Form von Lehm taucht immer wieder als Element auf, das die tiefe Verwurzelung in den Traditionen der K'iche'-Maya und ihrem Land symbolisiert. „Geistertanz“ erzählt von einer Welt, in der auch das Übernatürliche seinen Platz hat. Die Geister befinden sich mitten unter den Menschen und der Tod geht bei ihnen ein und aus. Die Maya haben gelernt, mit diesen übernatürlichen Wesen zusammenzuleben. Ak'abals Poesie offenbart eine Kultur, in der sich die Menschen als Teil eines Ganzen verstehen und somit sensibel gegenüber dem Anderen sind.

Mit Humor und einem Augenzwinkern beschreibt der Autor Begebenheiten aus dem Dorfleben, um im nächsten Augenblick seine Stimme gegen die bittere Armut und Unterdrückung seines Volkes zu erheben. Leichtigkeit und Schwere wechseln einander ab. Nicht ganz nachvollziehbar ist die Anordnung der Gedichte durch Erich Hackl. Ein schönes Detail wiederum ist, dass er einigen Gedichten den Originaltext auf K'iche' gegenüberstellt. So vermittelt er den LeserInnen einen Eindruck von der Sprache, in der Ak'abal seine Verse verfasst. Bei der Übersetzung ins Deutsche gehen allerdings gezwungenermaßen die ursprüngliche Melodie und der Rhythmus dieser Maya-Sprache verloren, die sehr lautmalerisch ist.

„Geistertanz“ lässt sich schnell und einfach lesen. Indigene Romantik und Exotik sucht man darin vergebens. Einige Gedichte mögen für den einen oder anderen etwas befremdlich wirken, sei es inhaltlich oder sprachlich. Doch auch ohne Vorkenntnisse über die Maya macht die menschliche Thematik der Poesie sie auch für ein deutschsprachiges Publikum zugänglich. Mitunter ruft das verregnete Bergdorf Ak'abals Bilder wach, die an ein deutsches Dorf vergangener Zeiten erinnern. Humberto Ak'abal betont stets, dass er keinen Anspruch erhebt, „die Maya“ zu vertreten – und dennoch vermittelt uns sein Werk einen Eindruck von Authentizität.

Humberto Ak'abal, Geistertanz. Gedichte, Deutsch von Erich Hackl, Waldgut Verlag, Frauenfeld 2014, Broschur mit handgedrucktem Umschlag, ca. 96 Seiten, 20,- Euro