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Eine gefährdete Friedensinsel

Internationale Mission besucht Friedensgemeinde von San José de Apartadó in Kolumbien

Am 21. Februar jährt sich ein Massaker, bei dem acht Mitglieder der Friedensgemeinde von San José de Apartadó in Kolumbien ermordet wurden. Im letzten November reiste eine internationale Mission in die kolumbianische Bananenregion Urabá, um sich vor Ort einen Eindruck von der Situation zu verschaffen. Auch die ila war dabei. 

Bettina Reis

Auch wenn viele von uns umgebracht wurden, unsere Gemeinde ist eine Friedensinsel, die nicht mehr zerstört werden kann.“ Dieser Satz stammt aus einem Interview mit Luis Eduardo Guerra im Juni 1998 in Bonn. Luis Eduardo war Mitgründer der kolumbianischen Friedensgemeinde von San José de Apartadó, die im März 1997 von Bauernfamilien in der Region Urabá gebildet wurde. Damit wollten die Bauern ihrer Vertreibung entgegenwirken. Als Luis Eduardo Guerra die Friedensgemeinde in Deutschland bekannt machte, war sie erst ein gutes Jahr alt. Heute gibt es die Friedensgemeinde immer noch, und sie hat es zu beachtlicher internationaler Öffentlichkeit gebracht. Ihr Widerstand ist hartnäckig, aber ihr Kampf um Rücksiedlung auf ihr Land, für Würde und Gerechtigkeit hat enorme Kosten: 165 Todesopfer beklagt die Gemeinde mittlerweile. Für die überwiegende Mehrheit der Morde sind Armee und rechtsextreme Paramilitärs verantwortlich, auf das Konto der Guerilla geht ein gutes Dutzend der Opfer. 

Am 21. Februar 2005 wurde auch Luis Eduardo Guerra Opfer eines bestialischen Mordes. Zusammen mit ihm wurden sein elfjähriger Sohn und seine Lebensgefährtin niedergemetzelt. Dies geschah in Mulatos, seinem Heimatweiler, aus dem er acht Jahre zuvor fliehen musste und wo er nur kurz zu Feldarbeiten war. Im Nachbarort wurden am selben Tag ein weiterer Führer der Gemeinde, dessen Frau, seine zwei Kinder und ein Landarbeiter getötet. Aussagen von ZeugInnen verweisen auf die Verantwortung der Armee für das Massaker. Das Militär hatte eine Operation in dem Gebiet durchgeführt. Die Armee streitet die Täterschaft ab und schiebt sie der Guerilla zu. Sie behauptet, gar keine Truppen vor Ort gehabt zu haben. (vgl. ila 284)

Vom 29. Oktober bis 12. November 2005 hielt sich eine internationale Mission in Kolumbien auf, um sich vor Ort über die Situation der Friedensgemeinde von San José de Apartadó zu informieren. Initiiert hatte die Reise ein italienisches Solidaritätsnetzwerk, das sich aus Kommunen und NRO zusammensetzt und vom Bürgermeister der Stadt Narni in Umbrien koordiniert wird. Die achtköpfige Delegation wurde von Vittorio Agnoletto geleitet, italienischer Abgeordneter im Europaparlament und dort Mitglied im Menschenrechtsausschuss. Außerdem waren der Bürochef des Bürgermeisters, die Kulturbeauftragte sowie die Verantwortliche des Friedensbüros der Stadt Narni und italienische NRO-Vertreter mit von der Partie. Ich war als ila-Vertreterin dabei. 

In Bogotá angekommen, führte die Delegation Gespräche mit nationalen Behörden, dem UN-Menschenrechtsbüro, der EU-Kommission und Menschenrechts-NRO. Danach flogen wir nach Apartadó, der „Bananenhauptstadt“ von Urabá, und trafen mit Polizei, Militär und regionalen Menschenrechtsbehörden zusammen. Die meiste Zeit verbrachten wir bei der Friedensgemeinde auf ihrem Landgut „San Josesito“ und besuchten die humanitären Zonen, die in einigen Weilern eingerichtet werden. Dabei handelt es sich um Präventivprogramme, mittels derer die bäuerliche Bevölkerung vor und während bewaffneter Auseinandersetzungen geschützt werden soll. Das bergige Hinterland des Landkreises San José de Apartadó ist Guerillagebiet. Es kommt öfter zu Gefechten zwischen Aufständischen und Armee sowie Paramilitärs, dabei gibt es auch Bombardierungen. Beklagt werden vor allem Übergriffe auf Campesinos, denen undifferenziert Sympathien für die Guerilla unterstellt werden. 

Die staatlichen Behörden sind im allgemeinen gut über die Friedensgemeinde informiert, die Akten stapeln sich. Es mangelt nicht an Information, sondern an konsequenter Aktion, um das Überleben der Gemeinde zu garantieren und die staatliche Schutzverantwortung zu erfüllen. Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof hat Kolumbien wiederholt zum Schutz der Mitglieder der Friedensgemeinde verpflichtet. Laut verbindlicher Resolution vom März 2005 müssen die Behörden ihre Maßnahmen mit der Friedensgemeinde abstimmen. Die Schlüsselprinzipien der Friedensgemeinde beruhen auf dem Humanitären Völkerrecht, das zum Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg die Unterscheidung von KombattantInnen und ZivilistInnen verankert. Alle Mitglieder der Friedensgemeinde unterschreiben eine Verpflichtung zur Gewaltfreiheit. Diese beinhaltet, keine Waffen zu tragen und nicht mit bewaffneten Akteuren zusammenzuarbeiten, egal ob Guerillas, Paramilitärs oder staatlicher Sicherheitsapparat. Bewaffneten wird der Zugang zu Wohn- und Arbeitsbereich der Gemeinde verwehrt. Dies führt zu ständigen Reibungen, insbesondere mit den staatlichen Sicherheitskräften.

General Luis Alfonso Zapata, Kommandant der zuständigen XVII. Heeresbrigade, war vorher Armeechef für Spezialoperationen und wurde in den USA ausgebildet. Zum Zeitpunkt des Interviews mit der Delegation war er erst vier Monate im Amt, auf seinem Schreibtisch liegt ein dicker Ordner über die Friedensgemeinde. Der General ist fest davon überzeugt, dass die Friedensgemeinde unter dem militärischen und politischen Einfluss der Guerilla steht. Kein einziges Detail ihrer öffentlichen Kommuniques würde der Wahrheit entsprechen, er ließe alles vom Geheimdienst nachrecherchieren. Die internationale Öffentlichkeit sei von den „Narcoterroristen der FARC“ fehlgeleitet, die das Militär als Unterdrückerarmee darstellten. Das hätte er selbst bei einem Europaaufenthalt mitbekommen. Auch informiert der General die Delegation, dass die Staatsanwaltschaft im Besitz von Beweisen für die Verantwortung der Guerilla für das Februarmassaker sei. Bedenklich findet er, dass EU-Mittel für Sozialprojekte in den Händen von NRO landen könnten. (Man könnte meinen, „NRO“ sei gleichbedeutend mit „Guerilla-Organisation“.)

Oberst Caicedo ist ebenfalls erst vier Monate im Amt und Chef der Polizei von Urabá. Er freut sich über den Besuch eines EP-Abgeordneten und bemerkt, dass die Friedensgemeinde eine „sehr schöne Philosophie“ hat. Allerdings seien die Bauern oft naiv. Damit deutet er an, dass sie wohl leicht auf die Guerilla hereinfallen. Der Oberst schwärmt von den ausschließlich zivilen Aufgaben der Polizei und lobt die knapp fünfzig Polizisten, die in dem Dorf San José de Apartadó stationiert sind. Diese seien „Lehrer, Psychologen und Sozialarbeiter“ und ausschließlich mit Revolvern und Pistolen ausgestattet. Sie gehörten zur policía comunitaria, einer Art bürgernahen Polizei. In den Bergen habe die Polizei aber noch eine Antiguerilla-Einheit und eine mobile Einsatztruppe. Letzteres ist ein Hinweis darauf, dass die kolumbianische Polizei nicht dem Innen-, sondern dem Verteidigungsressort zugeordnet und in die Guerillabekämpfung eingebunden ist. US-NRO warnen vor dem Trend einer Militarisierung der Polizei, was vom Pentagon durch entsprechendes Training gefördert wird. 

Im dem Dorf San José de Apartadó treffen wir später auf Polizisten, die nicht gerade der Vorstellung von Lehrern und Sozialarbeitern, sondern der von schwer bewaffneten Militärs entsprechen. Warum für den Guerillakampf gewappnete Polizisten als Lehrer eingesetzt werden, bleibt rätselhaft. Armeegeneral Zapata beschwerte sich beim Gespräch, dass „die Friedensgemeinde ihre Kinder nicht mehr in die Schule schickt, nur weil dort Polizisten unterrichten!“ Die Stationierung der Polizei in San José de Apartadó wurde direkt von Präsident Uribe angewiesen und brachte für die Friedensgemeinde das Fass zum Überlaufen. Statt das Februarmassaker zu verurteilen, brandmarkte der Staatspräsident die Führer der Friedensgemeinde als Guerilleros und ordnete Polizeipräsenz in ihrem Dorf an. Dies machte Bemühungen zunichte, im Einvernehmen mit der Gemeinde die Polizei nicht innerhalb, sondern außerhalb ihres Wohnbereich zu stationieren. Die Morde und Übergriffe in den vergangenen Jahren wurden auch nicht im Ortskern, sondern auf der Landstraße und in den abgelegenen Weilern verübt. 

Als die Polizei Ende März 2005 mit Polizeipfarrer, Polizeiclowns, Polizeilehrern und Polizeipsychologen in San José einzog, zog die Friedensgemeinde dort aus. In der ersten Woche lebte eine halbe Hundertschaft Polizisten mit einer Handvoll Familien im Dorf zusammen. Mittlerweile wohnt dort auch ein Paramilitär, der an einem Massaker beteiligt war. Die Friedensgemeinde zog in eine nahe gelegene Finca in Privatbesitz um und fing an, sich dort einfache Holzhäuser zu bauen. Sie hat damit ihre gewaltfreien Prinzipien gewahrt, aber erheblich am sowieso bescheidenen Lebensstandard eingebüßt. Wesentlich für die Friedensgemeinde ist es, gegen die Straflosigkeit zu kämpfen und die Erinnerung an ihre Opfer zu wahren. Die Würde der Opfer steht im Zentrum der Erinnerungsarbeit. Am Tatort des Februarmassakers im Weiler Mulatos haben die Bauern eine bescheidene Kapelle aus Holz gebaut. Steine liegen auf dem Altar, auf denen die Namen der Ermordeten geschrieben sind. Fünfzig Gemeindemitglieder begleiteten die internationale Delegation zu dieser schlichten Gedenkstätte. Es wurden die Fotos der Opfer ausgeteilt, Texte gelesen und Gedanken zu ihrer Erinnerung ausgetauscht. 

Der Besuch vor Ort, die Gespräche mit den Behörden und die Nachrichten der letzten zwei Monate machen klar, dass die Gefährdung der Mitglieder der Friedensgemeinde nicht abgenommen hat und die Instrumente des internationalen Menschenrechtsschutzes versagen. Die Politik wird von der Exekutive bestimmt, die Verfügungen des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes und des kolumbianischen Verfassungsgerichtes zum Schutz der Friedensgemeinde werden nur unzureichend beachtet. Seit November wurden bereits zwei weitere Führungspersonen der Gemeinde ermordet. In beiden Fällen wird die Armee dafür verantwortlich gemacht.