ila

Arías steht für ein neoliberales Projekt

Interview mit Alberto Cortés Ramos, Politologe an der Universidad de Costa Rica

In Costa Rica wurde am 5. Februar gewählt. Einen Monat wird per Hand nachgezählt, bis Anfang März schließlich das amtliche Endergebnis feststeht, zumindest das der Präsidentschaftswahlen: Der von den Umfragen zuvor als überlegener Sieger gehandelte Oscar Arías (Partido Liberación Nacional) siegt haarscharf gegen Ottón Solís, den Präsidentschaftskandidaten der erst zum zweiten Mal angetretenen Partido Acción Ciudadana.

Jan Walter
Indra Enterlein

Alberto, kannst du uns einen Überblick über die Parteienlandschaft in Costa Rica geben? Was waren die wichtigsten Themen des vergangenen Wahlkampfes?

Das allerwichtigste Thema in diesem Wahlkampf war meiner Ansicht nach das bereits ausgehandelte, aber noch nicht ratifizierte Freihandelsabkommen mit den USA (CAFTA). Dies ist interessant, da es zum erstenmal seit langem auf Parteienebene wieder eine Debatte darüber gibt, welches Entwicklungsmodell angestrebt werden soll. Zur Parteienlandschaft: Seit Beginn der 80er Jahre herrschte in Costa Rica ein Zweiparteiensystem mit den zwei großen Parteien, der konservativen Partido Unidad Social Cristiana (PUSC) sowie den Sozialdemokraten, der Partido Liberación Nacional (PLN). Mehr und mehr orientierten sich allerdings beide rechts von der Mitte im politischen Spektrum. Zweiparteiensystem heißt hier, dass sie zusammen grundsätzlich mindestens 90 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnten – bei den Präsidentschafts-, den Parlaments- und den Kommunalwahlen.

In diesen Wahlen ist die PUSC praktisch von der politischen Landkarte verschwunden. Was wurde aus dem Zweiparteiensystem?

Es gibt verschiedene Faktoren, die seine Auflösung erklären, aber der wichtigste Grund ist die Korruption. Gleich zwei Ex-Präsidenten der PUSC, Miguel Angel Rodríguez (98-02) und Rafael Angel Calderón (90-94) wie auch José María Figueres (94-98) von der PLN waren in Korruptionsskandale verwickelt, ließen sich von großen Privatunternehmen bezahlen bzw. bildeten Kartelle. Im gleichen Zeitraum versuchten beide Parteien – gegen den Willen der Mehrheit der Costaricaner – Institutionen zu privatisieren, die gut funktionierten, sowie soziale Errungenschaften massiv abzubauen. Dies hatte die Mobilisierung einer sich zur Wehr setzenden Zivilgesellschaft ab 1995 zur Folge und schlug sich 1998 negativ auf die Wahlbeteiligung nieder. Diese sank von bisher durchschnittlich 82 Prozent auf 69 Prozent.

Was würde es für Costa Rica bedeuten, wenn CAFTA ratifiziert wird?

Es würde die Privatisierung von öffentlichen Institutionen und Dienstleistungen vereinfachen. Es würde direkte Auswirkungen auf Telekommunikation, Energie, einige Bereiche der Landwirtschaft, sowie das Patent- und Eigentumsrecht haben. Insgesamt würde es unsere Souveränität beeinflussen sowie innerhalb von wenigen Jahren zu mehr Armut, einer stärkeren sozialen und ökonomischen Polarisierung und zu mehr Emigration in die USA führen.

Am 8. Mai wird Oscar Arías, der Friedensnobelpreisträger, zum zweiten Mal im höchsten Amt dieses Landes ohne Armee vereidigt werden. Ist das nicht ein großartiges Signal an die Welt?

Ich weiß, dass das Image von Oscar Arías außerhalb Costa Ricas – durch seinen Friedensnobelpreis und seine Bemühungen um Frieden in Zentralamerika in den 80ern – sehr hoch ist. Er hat sich damals sogar gegen Reagan gestellt. Ich denke, er hatte sehr viel Courage. Der Oscar Arías von heute ist aber ein anderer, und außerhalb Costa Ricas mag es schwierig sein, dies nachzuvollziehen. Erstens muss man bedenken, dass die Wiederwahl eines Präsidenten in Costa Rica bisher verboten war. Arías setzte eine Veränderung der Verfassung durch. Dies sowie die Art der Durchsetzung beklagten viele Intellektuelle, soziale Organisationen sowie mindestens zwei ehemalige Präsidenten als illegal. Zweitens ist seine Agenda ganz klar neoliberal. Ironischerweise ist er als Friedensnobelpreisträger derjenige,der sich nun für ein Abkommen einsetzt, welches einen großen Konflikt im Land schafft. Desweiteren ist seine Unterstützung für CAFTA kein Zufall. Er ist einer der reichsten Männer des Landes und hat direktes Interesse an den Sektoren, die auf der Siegerseite stehen würden, beispielsweise an einer Privatisierung der Telekommunikation. Auf den Punkt gebracht: Dem Anschein nach ist er derselbe geblieben, aber inhaltlich vertritt er eine neoliberale Politik, die das Land mittelfristig verarmen lassen wird.

Seit den Wahlen vor vier Jahren gibt es eine neue Partei, die für Furore sorgt...

Die Partido Acción Ciudadana (PAC) hat 2002 erstmals an den Wahlen teilgenommen und wurde auf Anhieb zur drittstärksten Kraft. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde bei den Präsidentschaftswahlen eine zweite Runde erzwungen. Diese kommt nämlich erst zustande, wenn keiner der Kandidaten mehr als 
40 Prozent der Stimmen in der ersten Runde erhält. Ottón Solís, Führungsfigur und Präsidentschaftskandidat von PAC, war ursprünglich Mitglied der PLN, Minister unter Oscar Arías und später Parlamentsmitglied. Seine Politik war sehr konsistent, anti-neoliberal und gegen die strukturellen Anpassungsprogramme gerichtet. Letztendlich entschied er, dass die PLN zu korrupt und neoliberal geworden war, um noch mit ihr arbeiten zu können, und verließ sie im Jahre 2000.

Wofür steht die PAC?

Die PAC versucht sich nicht ideologisch festzulegen. Aus meiner Sicht ist sie eine Reformpartei, eine Mittelklasse- und Mitte-Links-Partei. Im Grunde füllt PAC das politische Vakuum, das entstand, als sich die PLN zu einer neoliberalen Partei wandelte. Sie will sich zum einen der Korruption entgegenstellen, denn es ist eindeutig, dass die politische Klasse und die großen Konzerne des privaten Sektors ein enges Korruptionsnetzwerk gestrickt haben. Zum anderen tritt sie für eine Entwicklungsstrategie ein, die Solidarität und Einbeziehung aller Bevölkerungsteile in den Mittelpunkt stellen soll. Aus diesem Grund ist sie gegen dieses Freihandelsabkommen, da es die transnationalen Konzerne bevorteilt. Sie ist nicht grundsätzlich gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA. Es müsse aber gut verhandelt werden, und dieses sei es nicht. Die PAC möchte ein Abkommen, das die Situation der kleinen und mittleren Unternehmen verbessern kann. Arías dagegen tritt für eine Entwicklung beruhend auf Auslandsinvestitionen – sprich durch transnationale Konzerne – ein.

Ein ganzes Jahr lang, bis zum Wahlabend, haben sämtliche publizierten Umfragen Arías als klaren Sieger prognostiziert. Wie ist das zu erklären, denn es kam dann ja praktisch zu einem Patt.

Man muss bedenken, dass der Großteil der kommerziellen Medien klar hinter Oscar Arías stand. Er unterhält sehr intensive und enge, persönliche wie geschäftliche Beziehungen zum Haupteigentümer des Medienkonzerns Grupo La Nación. Die Zeitung La Nación ist die einflussreichste und größte Zeitung und ihr Besitzer der reichste Mann des Landes. Während Oscar Arías eine der längsten Wahlkampagnen in der Geschichte Costa Ricas führte und parallel eine für CAFTA („Sí, Costa Rica/ Sí, TLC“ und „Sí, Costa Rica/ Sí, Oscar Arías“), war die Strategie dieser Medien, den Leuten das Gefühl zu geben, dass bereits alles entschieden sei. Sie bräuchten also gar nicht mehr wählen zu gehen. Warum hilft das der PLN? Eine Stimme für die PLN ist eine traditionelle Stimme, in den Politikwissenschaften als „harte Stimme“ bezeichnet. Die Anhänger der PLN würden sowieso wählen, sprich, nach dieser Logik würde eine geringere Wahlbeteiligung Arías und seiner PLN den Rücken stärken.

Die Medien gaben jeweils nur die Wähler, die sich bereits festgelegt hatten, an. Systematisch wurde die hohe Anzahl der untentschiedenen Wähler verschwiegen. Und mit dieser Missinterpretation füllten sich die Schlagzeilen, wurde Oscar Arías als bereits feststehender Präsident gehandelt. Ich nenne das „medialen Betrug“! Was dann am 5. Februar geschah, war, dass die bisher unentschiedenen Wähler für den einzigen Kanditaten stimmten, der Arías besiegen konnte. Zu einem großen Anteil war die Stimme für Solís eine Stimme gegen Arías und gegen CAFTA. Dadurch und durch eine gute Kampagne stieg sein Anteil von 
20 Prozent auf knapp 40 Prozent der Stimmen, während Arias von fast 50 Prozent auf etwa 41 Prozent sank. Das heißt letztendlich, dass Arías ein Präsident mit schwachem Mandat sein wird und Solís eine starke Opposition stellt. Der wichtigste Punkt für mich ist, dass diskutiert und verhandelt werden muss. Wir brauchen eine nationale Debatte darüber, wohin und wie Costa Rica in den kommenden Jahrzehnten gelenkt werden soll.

Alberto, vielen Dank für diese Analyse. Kannst du uns abschließend darstellen, wohin sich die politische Landschaft Costa Ricas nach diesen Wahlen entwickeln wird?

Costa Rica befindet sich in einer Transformationsphase von einem Zweiparteiensystem zu einem Vielparteiensystem. Dieses wird mit dem Movimiento Libertario (ML) eine klar rechte Partei haben, eine Mitte-Rechts-Partei mit der ehemals sozialdemokratischen PLN; und wahrscheinlich wird PAC eine Art sozialdemokratische Mitte-Links-Partei werden. Wir werden eine kleine Linke Fraktion haben. Momentan bestehend aus nur einem Parlamentsmitglied, welches jedoch sehr stark mit den sozialen Bewegungen verknüpft ist. Gleichzeitig haben wir sechs Parlamentarier der Rechten in der Asamblea Legislativa. So wird wohl das politische System aussehen. Noch nicht sehr klar ist die Frage, was mit der Volkswirtschaft geschehen wird. Sollte Arías CAFTA durchzusetzen versuchen, wird das eine starke Mobilisierung mit Demonstrationen und Streiks bedeuten. Das könnte heißen, dass die PLN als Volkspartei in große Gefahr geraten könnte. Denn wenn Oscar Arías eine so konfliktreiche Regierung führen sollte, bin ich mir sicher, wird es der PLN so ergehen wie der PUSC, die in diesen Wahlen quasi verschwunden ist.

Das Interview führte Jan Walter am 22. März 2006 in San José, Costa Rica.

Übersetzung: Jan Walter und Indra Enterlein