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Als erstes suchten sie uns immer eine Schule

Interview mit Ruth Radvanyi, der Tochter von Anna Seghers

Bisher kamen in den Lebenswegen überwiegend Menschen zu Wort, die als Erwachsene Nazideutschland bzw. Lateinamerika verlassen haben. Doch Diktaturen treiben nicht nur Erwachsene ins Exil, sondern auch Kinder, entweder weil ihre Eltern fliehen müssen oder, im Falle der jüdischen Kinder in Nazideutschland, sie selbst vom Vernichtungsapparat der braunen Machthaber bedroht waren. Eine Frau, die ihre Kindheit und Jugend im französischen und mexicanischen Exil verbrachte, ist Ruth Radvanyi, die Tochter von Laszlo und Netty Radvanyi (bekannter unter ihrem Künstlernamen Anna Seghers). Ihr wechselvoller Lebensweg führte Ruth Radvanyi von Deutschland nach Frankreich, dann weiter über Martinique und Santo Domingo nach Mexico, nach dem Krieg zurück nach Frankreich, später in die DDR, von dort 1964 nach Sansibar, dann wieder in die DDR, mit der sie 1990 in die BRD eingebürgert wurde. Als sie nach ihrem Studium 1954 von Paris nach Ost-Berlin zog, mußte sie erst einmal ihre Deutschkenntnisse auffrischen, um als Ärztin arbeiten zu können. Heute lebt Ruth Radvanyi 68jährig in Berlin, wo Gert Eisenbürger sie im vergangenen Dezember besuchte.

Gert Eisenbürger

Frau Radvanyi, Anfang 1933 mußten Ihre Eltern Deutschland verlassen. Sie waren damals knapp fünf Jahre alt, können Sie sich noch an irgendwelche Episoden dieser Flucht erinnern?

Nein. Mein Vater war nach dem Reichtagsbrand in die Schweiz geflohen. Meine Mutter hatte meinen Bruder nach einer Krankheit in den Schwarzwald gebracht. Ich selbst war bei meiner Oma in Mainz. Nach der Machtergreifung durch Hitler wurde meine Mutter kurz festgenommen, aber wieder freigelassen. Danach floh sie sofort ins Ausland. Unsere Oma brachte uns Kinder später an die Grenze zu Frankreich. Meine Mutter hat das sehr schön beschrieben in „Tagebuchseiten, Juli 1933“. (veröffentlicht in: Anna Seghers – Eine Biographie in Bildern, Aufbau-Verlag, Berlin 1994, S. 7)

Sie haben den größten Teil Ihrer Kindheit – vom fünften bis zum 13. Lebensjahr – in Frankreich zugebracht. Wie lebten Sie dort bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges?

Unsere Eltern haben sich immer bemüht, uns – d.h. meinen zwei Jahre älteren Bruder Peter und mich – ein normales Leben führen zu lassen und uns in die Schule zu schicken. Auf die Schule legten sie immer besonderen Wert, auf allen Stationen der Flucht haben sie eine Schule für uns gesucht, damit wir lernen konnten und ein Stück Alltagsnormalität hatten.
Wir lebten in Bellevue, einem Vorort von Paris, an der Bahnlinie von Montparnasse nach Versailles. Die Wohnung lag im Grünen, in einem kleinen Häuschen, das französischen Rentnern gehörte. Sie selbst wohnten unten und hatten die obere Etage an uns vermietet.
Wir besuchten in Bellevue eine Privatschule, die nach modernen, reformpädagogischen Konzepten arbeitete. Die Direktorin war Antifaschistin und nahm uns aus Solidarität gratis auf, denn das Schulgeld hätten wir nicht bezahlen können. Im Haus neben uns wohnte die Familie eines ungarischen Freundes meines Vaters, Alex Rado, der in der Schweiz illegal für die „Rote Kapelle“ arbeitete. Seine Frau und seine beiden Söhne waren in Frankreich geblieben. In der Nähe, in Versailles, wohnten auch Egon Erwin und Gisl Kisch, mit denen meine Eltern eng befreundet waren.

Waren Ihre Freundinnen, die Kinder, mit denen Sie in der damaligen Zeit spielten, französische Kinder, oder waren Sie mit Emigrantenkindern zusammen?

Außer den beiden Söhnen von Alex Rado lebten in unserer Nähe keine Emigrantenkinder. Wir spielten mit Kindern aus der Schule oder der Nachbarschaft. Wir sprachen schnell besser Französisch als Deutsch.

Was wurde zu Hause gesprochen?

Mit meinem Bruder sprach ich bald Französisch, aber mit den Eltern sprachen wir Deutsch. Sie bemühten sich, uns eine deutsche Kultur zu bewahren.

Hatten Sie noch andere Bezugspersonen als Ihre Eltern?

Ja. Die Eltern arbeiteten beide viel. Die Mutter schrieb, und der Vater hatte immer irgendwelche Jobs, traf sich mit Studenten, Kollegen, arbeitete an Zeitschriften. Zu Hause wohnten oft Freundinnen unserer Eltern, meist Emigrantinnen, die für uns sorgten, wenn die Eltern weg waren, z.B. die polnische Genossin Justyna Sierp mit ihrem Sohn Viktor.
Anfangs lebte Gaya mit uns, unsere Kinderfrau, die schon in Berlin bei uns war. Sie hatte sich in Heidelberg mit meinen Eltern befreundet. Ihr richtiger Name war Katharina Schulz. Sie kam aus einem Dorf in der Nähe von Wertheim am Main. Wir liebten sie sehr, sie gehörte zur Familie. Sie wurde irgendwann aus Paris zurückgerufen, weil ihr Vater gestorben war und sie sich um ihre Familie kümmern mußte. Sie hatte dann in Deutschland Schwierigkeiten, weil sie bei uns gewesen war. Ich habe sie vor einigen Jahren noch besucht. Sie ist im Alter von etwa 90 vor zwei Jahren gestorben.

Was machte Ihr Vater beruflich?

Mein Vater war Wirtschaftswissenschaftler und lehrte aus Berufung. In Berlin war er in der MASCH, der Marxistischen Arbeiterschule, beschäftigt. Die MASCH machte Erwachsenenbildung für Arbeiter. In Paris gab er eine Zeitschrift heraus und beteiligte sich an wissenschaftlichen und antifaschistischen Zirkeln.
Wenn Sie mich fragen, wovon wir in Frankreich gelebt haben, bin ich mir nicht ganz sicher. Unsere Mutter und unser Vater verdienten etwas Geld durch Veröffentlichungen. Vielleicht halfen unsere Großeltern, später erhielten wir Unterstützung durch Hilfsorganisationen.

Wann realisierten Sie zum ersten Mal, daß Ihre Mutter eine bekannte Schriftstellerin war?

Ganz bewußt in meiner Erinnerung ist es in Mexico, als das „Siebte Kreuz“ herauskam. Sonst war Schriftstellerin eben ihr Beruf.

Wo hat Ihre Mutter geschrieben?

Das war unterschiedlich. Manchmal schrieb sie zu Hause, im Sommer im Garten, und öfters fuhr sie nach Paris und ging in ein Café, um dort zu arbeiten. Nachträglich frage ich mich, wie sie das bezahlen konnte, denn wir waren immer knapp mit Geld. Es schien ihr sehr viel wert gewesen zu sein, denn es kostete einiges, mit der Bahn zu fahren und das Café zu besuchen. Sie hatte ein oder zwei bestimmte Cafés, wo sie immer schrieb. Die Kellner kannten sie, aber in Frankreich war Schreiben im Café sicherlich weniger ungewöhnlich als in Deutschland.

Hat Ihre Mutter Ihnen und Ihrem Bruder Geschichten vorgelesen oder erzählt?

Ich erinnere mich nicht genau welche Geschichten, aber mein Bruder sagt, daß sie manchmal aus den Büchern, an denen sie gerade schrieb, etwas erzählt hat. Sie versuchte, uns die Klassiker, die in den großen Regalen standen, etwas nahezubringen, aber ich war oft widerspenstig. Sie las uns auch die Bibel vor.

Erinnern Sie sich, daß Sie in Frankreich das Gefühl hatten, fremd zu sein, daß so etwas wie Heimweh da war?

Nein. Ich hatte Heimweh nach den Großeltern, niemals nach Deutschland. Mein Opa starb noch in Mainz, einige Tage nachdem man ihm sein Geschäft, ein Antiquariat, weggenommen hatte. Die Oma wurde deportiert, das erfuhren wir aber erst später.
Die Zeit in Bellevue habe ich insgesamt als sehr glückliche Zeit in Erinnerung. Ich liebte vor allem die Schule. Es war eine wunderbare Schule, wo man die Kinder nicht quälte, sondern erzog und bildete. Ich erinnere mich, wie schwierig es am Anfang war, Französisch zu lernen, ich habe sogar geweint. Aber dann hatte ich es gepackt und durfte sogar eine Klasse überspringen.

Wie hat der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Ihr Leben verändert? Wurden auch Ihre Eltern, wie die meisten Emigranten, unmittelbar nach Kriegsausbruch interniert?

Unser Vater wurde in ein Lager in Südfrankreich gebracht.1 Als die Wehrmacht vor Paris stand, flohen wir zu Fuß, manchmal auch mit der Bahn Richtung Süden. Wir waren mit Tausenden Flüchtlingen auf der „route d’Orleans“ und wurden von deutschen Flugzeugen bombardiert, schließlich von der Wehrmacht eingeholt. Auf einem LKW fuhren wir zurück in das besetzte Paris. Dort versteckten wir uns. Wir erfuhren, daß die Gestapo unsere Wohnung in Bellevue überwachte. Daraufhin flohen wir mit Hilfe unserer französischen Freundin Jeanne Stern über die Demarkationslinie in den unbesetzten Teil Frankreichs. Es war sehr abenteuerlich. Schließlich gelangten wir nach Pamiers, einer kleinen, mittelalterlichen Stadt in Südfrankreich, wo wir bei Madame Jeanne, einer Wahrsagerin, wohnten. In der Nähe von Pamiers war das Lager Le Vernet, wo mein Vater eingesperrt war. Wir konnten ihn dort nun gelegentlich besuchen.
Ich erinnere mich, daß wir ganz wenig Geld hatten und es schwierig war, uns zu ernähren. Unsere Mutter fuhr mehrmals nach Toulouse und Marseille, um die notwendigen Papiere für eine Ausreise zusammenzukriegen. Nach einigen Monaten zogen wir nach Marseille. Dort wohnten wir mit anderen Emigranten in einem billigen Hotel, wahrscheinlich einer ehemaligen Absteige. Die Mutter versuchte weiter, die Papiere zu bekommen und etwas Eßbares aufzutreiben. Auch dort schrieb sie weiter.
Schließlich hatten wir das Glück, mit Hilfe von Freunden und Genossen und des mexikanischen Konsuls in Marseille, Gilberto Bosques (vgl. Lebenswege ila 172), gleichzeitig ein Visum für Mexico, ein Transitvisum für Martinique und die Passage bis Martinique mit einem Bananendampfer im Februar oder März 1941 zu bekommen. Als die Papiere vollständig waren, wurde unser Vater endlich aus dem Lager entlassen, und vereint verließen wir Europa.

Wie haben Sie die Überfahrt erlebt?

Wie die meisten Flüchtlinge waren wir auf dem Schiff unten im Frachtraum untergebracht. Es gab auch einige Kabinen an Bord, wo die wohlhabenderen Passagiere logierten. Oben an Deck gab es lange Tische mit Bänken, da wurde immer gruppenweise – für zehn oder fünfzehn Leute – das Essen ausgegeben. Wir Kinder trugen das Essen auf. Einen Tag gab es Bohnen, den anderen Tag Linsen und den dritten Tag gelbe Erbsen, immer im Wechsel. Wir hungerten nicht.
Auf dem Schiff waren berühmte Leute. Zu den Passagieren gehörten der Ethnologe Claude Levi-Strauss, der Surrealist André Breton und die Schriftsteller Victor Serge und Alfred Kantorowitz.
Während der Überfahrt hatten wir Angst vor deutschen U-Booten oder auch, von Engländern gekapert zu werden. Man wußte, daß einige Schiffe mit Flüchtlingen versenkt worden waren.
Nach ein paar Wochen erreichten wir den Hafen von Fort de France (Hauptstadt von Martinique – G.E.). Ich habe das bis heute vor meinem geistigen Auge: der Himmel und die See waren blau, Delphine sprangen über den Wellen, und an Land waren Palmen.
Nachdem wir von Bord gegangen waren, wurden wir in das Internierungslager „Le Lazaret“ gebracht. Es lag auf einer kleinen Halbinsel, auf der früher eine Leprakolonie untergebracht war. Wir wohnten in Gemeinschaftsquartieren und wurden von den Franzosen verpflegt. Außer den Passagieren unseres Schiffes waren dort viele spanische Emigranten.
Die Mutter hatte uns in Paris, in dieser unsicheren Zeit, schwimmen lernen lassen, weil sie sich dachte, wenn wir über den Ozean fliehen, müssen die Kinder schwimmen können. Auf Martinique habe ich davon profitiert, denn es gab einen wunderbaren Strand. Deshalb war der Aufenthalt auf der Insel für uns Kinder ein schönes Erlebnis, trotz der primitiven Verhältnisse und der Sorge, ob und wie es weiterginge.
Wir blieben etwa einen Monat auf der Insel. Dann ging es mit dem Schiff nach Santo Domingo. Wieder hatten wir große Schwierigkeiten weiterzukommen, weil wir weder Geld noch die richtigen Visa hatten. Die Eltern hatten Angst, dort hängenzubleiben. Es ging schließlich doch weiter, und wir fuhren in Richtung Vereinigte Staaten. Auf Ellis Island, der Insel vor New York, wo alle Einwanderer erst einmal hinkamen, wurden wir interniert. Ich glaube, die Eltern hegten ein bißchen die Hoffnung, auch ohne ein Visum in New York bleiben zu können. Das ging aber nicht. Wir erreichten schließlich am 30. Juni 1941 – ich war gerade 13 Jahre alt geworden – den mexicanischen Hafen Veracruz.

Was waren Ihre ersten Eindrücke von Mexico. Fanden Sie das Neue, Fremde vor allem spannend, waren Sie dafür offen, oder haben Sie sich erst einmal zurückgezogen?

Die erste Nacht in Veracruz standen Peter und ich Wache, weil wir Bekanntschaft mit einem der mexicanischen Nationaltiere, der Cucaracha – Kakerlake – machten. Wir hatten Angst, aber sie tun einem nichts. Am nächsten Tag fuhren wir mit der Eisenbahn rauf nach Mexico-Stadt, auf 2400 Meter Höhe. Ein Emigrant, der schon länger in Mexico war, hatte uns in Veracruz abgeholt. Die Landschaft war wunderschön, Mexico-Stadt wird überragt von den beiden Vulkanen Popocatepetl und Ixtacihuatl, ein einzigartiges Panorama.
In Mexico-Stadt wurden wir zunächst verteilt auf die Genossen, die schon dort waren. Dann zogen wir in eine kleine Wohnung. Später – als es uns nach dem Erfolg des Romans „Das siebte Kreuz“ in den USA finanziell besser ging – mieteten wir ein Haus mit Freunden.
Mein Vater fand schnell ein Betätigungsfeld. Er war ein Sprachgenie, sprach, am Ende seines Lebens, mehr als zehn Sprachen und konnte bald sehr gut spanisch. In Mexico gab es auch eine Arbeiteruniversität, dort ist er sofort eingestiegen. Er arbeitete mit dem mexicanischen Gewerkschaftsführer Lombardo Toledano zusammen. Später wurde er an die Nationaluniversität berufen. Er baute auch ein Institut für Meinungsforschung auf.
Für uns suchten die Eltern wie überall zuerst einmal eine Schule. Wir hätten auf eine mexicanische Schule gehen können, um die Kultur und die Sprache des Landes schneller kennenzulernen. Unsere Eltern entschieden sich aber für eine französische Schule, das Liceo Franco-Mexicano, weil sie dachten, wir kämen später zurück nach Europa und da sei es besser, wenn wir die französische Schule besucht hätten. Einige Lehrer des Liceo Franco-Mexicano waren Emigranten, die in Europa an Universitäten unterrichtet hatten. Der Unterricht hatte teilweise ein hohes Niveau. Durch den Besuch der französischen Schule hatten wir weniger Kontakt zu mexicanischen Kindern und Jugendlichen – die meisten Mitschüler kamen aus der französischen Kolonie, ihre Eltern waren überwiegend Geschäftsleute.
Trotzdem lernten wir Mexico kennen. Unsere Eltern hatten mexicanische Freunde und ich machte auch eigene Erkundungen. Mexico ist ein wunderbares Land, reich an Geschichte und Kultur. Ich hatte das Glück, daß ich eine Freundin fand, Rosi, eine Österreicherin, die eineinhalb Jahre älter war als ich. Zusammen mit ihr bin ich mit einer Quäkergruppe in Indiodörfer gegangen. Sie kümmerten sich dort um die medizinische Versorgung, und ich als damals Fünfzehnjährige durfte als Schreiberin mit. Dadurch habe ich vieles über die sozialen Verhältnisse und das Leben auf dem Land erfahren. Leider ist der Unterschied zwischen arm und reich sehr groß. Die meisten Menschen in den Städten und Dörfern lebten damals in Armut, heute ist es noch schlimmer geworden.

Die deutschen Emigranten aus dem Umfeld der KPD entfalteten in Mexico eine intensive politische und kulturelle Tätigkeit. So gab es den Heinrich-Heine-Club, dessen Präsidentin Ihre Mutter wurde, die Zeitschrift „Freies Deutschland“ und auch die gleichnamige Organisation. Haben Sie sich in irgendeiner Form an diesen Aktivitäten beteiligt, oder war das alles für Sie die Sache von Erwachsenen?

Es war mehr die Sache von Erwachsenen. Ich wußte natürlich, daß die Mutter im Heinrich-Heine-Club mitarbeitete, und wußte auch, daß es einen Verlag und diese Zeitung gab. Wir selbst hatten eine Jugendgruppe. Irgendwelche Genossen wurden dazu verdonnert, uns Jugendliche zu betreuen. Dazu gehörte kurzzeitig auch Walter Janka, der damals den Nymbus des Helden aus dem spanischen Bürgerkrieg hatte. Wir konnten ihn nicht so gut leiden, eben weil er ein Held war. Jugendliche sind da manchmal sehr hart. Darüberhinaus wurde ich in politische Diskussionen und Aktivitäten wenig einbezogen, da ich zu jung war. Natürlich kannte ich sie aus Erzählungen meiner Familie und Freunde.
In Mexico kam ich in das Alter, wo man sich von den Eltern etwas abkehrt. Wir, d.h. Rosi und ich, verkehrten vor allem bei Steffie Spira (vgl. Lebenswege ila 155) und Günther Ruschin. Sie hatten ein offenes Haus für uns, wir konnten kommen, wann wir wollten. Wir machten mit ihnen auch Ausflüge, fuhren mit dem Bus aufs Land. Steffie und Günther waren junge, unternehmungslustige Leute und liebten Mexico. Durch sie habe ich sehr viel gelernt – über Mexico und generell über Kultur. Wir hörten Musik, sprachen über Bücher. Dann hatten sie im Heinrich-Heine-Club auch eine Theatergruppe. Steffie und Günther waren professionelle Schauspieler, sie hatten schon vor der Emigration in Berlin Theater gespielt. In Mexico konnten sie nicht von ihrer Schauspielerei leben: sie betrieben eine kleine Leihbücherei, Steffie arbeitete auch als Haushälterin, pflegte Kranke, und Günther verkaufte u.a. Heiligenbildchen. Rosi und ich wurden geprüft, ob wir in der Theatertruppe mitspielen konnten, aber ich war so schlecht, daß ich als Platzanweiserin eingeteilt wurde. Eines der Stücke, die sie in Mexico auf die Bühne brachten, war für mich das Theatererlebnis fürs Leben, die Dreigroschenoper von Brecht. Steffie spielte Frau Peachum und Günther Mackie Messer.

Wie lange waren Sie in Mexico?

Insgesamt fünf Jahre, bis Mitte 1946. Mein Bruder verließ Mexico schon 1945. Peter war in der Schule ein As, vor allem in Mathematik und Naturwissenschaften. 1945 bekam er nach dem Abitur ein Stipendium, um in Frankreich zu studieren. Er fuhr nach Paris und begann ein Physikstudium. Dort arbeitete er auch als Laborjunge bei Fredéric Joliot-Curie. Er heiratete sehr bald und blieb in Frankreich, wo er heute noch lebt.
Nach meinem Abitur arbeitete ich ein Jahr lang in Mexico als Hilfskrankenschwester in einem Kinderkrankenhaus. Es war eine schreckliche Zeit in dem Krankenhaus, weil ich dort täglich mit der Armut und den durch sie bedingten Krankheiten der Kinder konfrontiert wurde. Darauf war ich nicht vorbereitet.
Ich wollte unbedingt nach Europa zurück. Ich hatte Angst, etwas zu versäumen. 1946 konnte ich dann auch nach Frankreich reisen.

Haben Sie auch in Frankreich studiert?

Ja, ich studierte von 1946 bis 1954 in Paris Medizin. Es war eine spannende Zeit. Wir waren sehr beschäftigt mit Studium, Arbeit im Krankenhaus und Jobben. Darüberhinaus lernten wir Studenten aus vielen Ländern kennen und nahmen am kulturellen Leben teil. Die Atmosphäre an der Uni war politisch geladen, es gab immer wieder Proteste und Aktionen der Studenten, etwa gegen den Krieg der Franzosen in Indochina. Mit Studentenbrigaden fuhr ich nach Jugoslawien und Bulgarien, um dort Aufbauarbeit zu leisten.
Nach Staatsexamen und Promotion fiel es mir schwer zu entscheiden, wo ich mein Wissen anwenden sollte. Die BRD kam nicht in Frage, weil ich dachte, daß die Nazi-Ideologie dort nicht erloschen sei. Befreundete deutsche Kinderärzte, die ich aus der Emigration kannte, überzeugten mich, in die DDR zu kommen, weil dort Ärzte dringend gebraucht würden. Meine Eltern versuchten nicht, Druck auf mich auszuüben.

Sie hatten in Paris gelebt, hatten Mexico erlebt, waren also ein sehr kosmopolitischer Mensch. Wie haben Sie sich in der DDR eingelebt?

Erst einmal war alles neu und fremd für mich. In der ersten Zeit in der DDR konzentrierte ich mich völlig auf meine Arbeit im Krankenhaus. Ich wohnte die ersten Monate bei meinen Eltern in Adlershof im Süden Berlins und fuhr von dort jeden Tag mit der S-Bahn nach Buch im Berliner Norden. Zudem mußte ich erstmal mein Deutsch verbessern, sonst hätte ich nicht selbstständig mit Patienten umgehen können. Medizinisch fiel es mir nicht so schwer, weil ich sehr gut ausgebildet war. Das Studium und die Ausbildung waren zu dieser Zeit in Frankreich sehr gut und patientennah. Nach etwa einem Jahr wechselte Ursula Mayer, die mich seinerzeit motiviert hatte, in die DDR zu kommen, von Buch nach Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt, um dort eine Kinderklinik aufzubauen. Sie fragte mich, ob ich für einige Zeit mitkommen wollte. Da ich abenteuerlustig war, willigte ich ein. Das war für mich sehr interessant, weil es ein neues Projekt in einer für mich ganz fremden Umgebung war. Stalinstadt war damals fast noch ein Dorf, das eine Industriestadt werden sollte, und es herrschten andere Bedingungen als in Berlin. Ich habe dort sehr viel gelernt. Nach einem Jahr kehrte ich nach Berlin zurück.
Ich trat sehr bald in die SED und die Gewerkschaft ein, denn ich war der Meinung, daß ich dieses Land – wenn ich mich schon dafür entschieden hätte – auch mitgestalten wollte. Ich hatte damals ein klares Weltbild, wo der Sozialismus für das Gute und der Kapitalismus für das Schlechte stand. Ich erinnere mich z.B., daß am Bahnhofskiosk in der S-Bahn Station Gesundbrunnen in West-Berlin, wo ich auf dem Weg nach Buch umsteigen mußte – das ging zu dieser Zeit noch – immer Pornobücher und -zeitschriften aushingen, als besonderes „Angebot“ an DDR-Bürger. Ich sah das und dachte nur: „Typisch Westen“.

Ihre Mutter war eine sehr bekannte Künstlerin in der DDR, die auch international sehr geschätzt wurde und wird. Für viele Kinder bekannter AutorInnen bedeutete ihre Herkunft mitunter eine Hypothek, mit der sie nicht fertig wurden. Ich denke etwa an Klaus Mann. Was bedeutete es für Sie, Tochter von Anna Seghers zu sein?

Ich wollte nie als Tochter von Anna Seghers erkannt werden, nicht, weil ich mich meiner Mutter schämte, sondern weil ich  meinen eigenen Weg gehen wollte. Nachträglich weiß ich, daß es ein Privileg war, sie als Mutter zu haben. Sie übte nie Druck auf uns aus, war immer für uns da, wenn es möglich war.

Haben Sie jemals die Idee gehabt, selbst literarisch zu schreiben?

Als Jugendliche habe ich auch Geschichten und Gedichte minderer Qualität geschrieben. Ich hatte das Problem – außer dem Mangel an Begabung –, daß ich zweisprachig war, deutsch und französisch. Im Krankenhaus habe ich versucht, eine gute Ärztin zu sein. Da hatte ich mit Literatur oder mit der Autorin Anna Seghers überhaupt nichts zu tun.

Sie waren nicht nur in der DDR als Ärztin tätig, sondern auch einige Jahre in Afrika. Wie kamen Sie nach Afrika, und was haben Sie dort genau gemacht?

Der ärztliche Direktor des Klinikums Buch war vom Ministerium für Gesundheitswesen angesprochen worden, Ärzte für die Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen. Mein Vorgesetzter benannte mich, weil ich mehrere Sprachen beherrschte und noch kein Kind hatte. Man fragte mich, ob ich nach Sansibar gehen würde. Ich sagte zu, und es wurde eine Gruppe zusammengestellt – vier Ärzte, vier Schwestern, ein Verwalter und eine medizinisch-technische Assistentin. Sansibar bestand aus zwei Inseln und hatte sich gerade mit Tanganyka zum Staat Tansania vereinigt.
Wir flogen nach Afrika und wurden zunächst auf der Hauptinsel im Zentralkrankenhaus eingearbeitet. Dann wurde uns auf Pemba, der anderen Insel, ein kleines Krankenhaus anvertraut, das für den größten Teil der 150 000 Einwohner zuständig war. Ein großer Teil der Bevölkerung Pembas lebt in großer Armut. Auf Pemba werden vor allem Gewürznelken für den Export angebaut, die ganze Insel ist mit Nelkenbäumen bepflanzt.
Die erste Zeit auf Pemba war sehr hart: wegen der Sprachen – wir mußten Englisch und vor allem Kisuaheli lernen –, wegen der uns unbekannten Krankheiten, wegen der fremden Bräuche, wegen der Armut und des Klimas. Aber wir schafften es und wurden von den Menschen angenommen, weil sie sahen, daß wir hart arbeiteten.
Wir wohnten in Bungalows neben dem Krankenhaus, wo früher die englischen Ärzte gewohnt hatten. Die chinesischen Ärzte, die uns ablösten, warfen uns das vor. Sie selbst zogen in die gleichen Hütten wie die lokale Bevölkerung.
Der Aufenthalt in Afrika war eine interessante, stressige aber auch sehr schöne Erfahrung, wo ich viel gelernt, einiges von meinem hiesigen Wissen auch verlernt, vor allem aber eine andere Kultur und andere Menschen kennengelernt habe. Ich habe viele Freundschaften geschlossen, z.B. zur Oberschwester Suhura und zur Hebamme Jesie, zwei ganz tolle Frauen. Auf Pemba wurde mir klar, wie fragwürdig Begriffe wie „Zivilisation“ sind. Die Menschen benehmen sich dort oft zivilisierter als wir Europäer, zum Beispiel schreien sie ihre Kinder nie an und schlagen sie niemals.
Das Faszinierende in Sansibar ist, daß die Bevölkerung absolut gemischt ist, dort leben Menschen persischer, schwarzafrikanischer und arabischer Abstammung. Die Vielfalt findet auch in den Religionen ihren Ausdruck. Die meisten Bewohner bekennen sich zum Islam, es gibt aber auch Christen und Gläubige traditioneller afrikanischer Religionen.

Sie sagten, Sie seien eine überzeugte Kommunistin gewesen. Wie haben Sie 1989 die Wende in der DDR erlebt? Ist für Sie unerwartet etwas zusammengebrochen, oder haben Sie das schon länger kommen sehen?

Ich war überzeugt, daß das sozialistische System das bessere wäre. Ich dachte, daß die stalinistischen Verbrechen in der Sowjetunion der Vergangenheit angehörten und daß sich so etwas nicht wiederholen könnte. Daß in der DDR Fehler gemacht wurden, und daß die da oben alt und verknöchert waren, das merkte man ja. Aber ich bildete mir ein, das bekämen wir in den Griff. Ich kann nicht sagen, daß ich ein unpolitischer Mensch war. Wenn mir etwas nicht gefiel, dann sagte ich das in der Gewerkschafts- oder Parteiversammlung. In meiner Klinik haben wir uns frei unterhalten – ich war 1970 von Buch in eine kleine Kinderklinik in Weißensee gewechselt und dort Chefärztin geworden.
Daß Leute aus der DDR abhauten, tat mir leid, bei Ärzten war ich wütend. Ich war keinesfalls Dissident, ich dachte, wir kriegen diese DDR hin. Zwei Erlebnisse aus der Zeit vor der Wende, die mich irritierten, sind mir in Erinnerung. Erstens der Geburtstag eines jungen Freundes. Nils, ein junger Jura-Student, hatte uns, meine Tochter und mich – ich glaube es war 1988 – zu seinem Geburtstag eingeladen. Er hatte sich gerade eine Ausbauwohnung erobert, und auf dem Fest waren außer mir lauter Jugendliche in seinem Alter. Ich sehe es noch vor mir, es war halbdunkel, alle saßen auf dem Fußboden – ich als Ältere durfte auf einem Stuhl sitzen. Ich war völlig erstaunt, wie kritisch diese ganzen jungen Leute, z.T. SED und FDJ-Mitglieder, die Verhältnisse in der DDR beurteilten. Das hatte ich in dieser Form und dieser Härte nie vorher gehört von Leuten, die nicht gegen die DDR waren.
Das andere Erlebnis waren diese Kommunalwahlen, ich glaube im Mai 1989, die so sehr manipuliert wurden. Meine Tochter, sie wohnte damals noch mit mir, wollte nicht wählen gehen. Sie sagte, sie würde doch keinen der Kandidaten kennen. Ich habe sie überzeugt, doch zu wählen, und habe sie schließlich mit ins Wahllokal geschleppt, weil ich dachte, sie kriegt sonst Ärger. Opportunistisch kann man auch sein, wenn man denkt, man ist nicht opportunistisch.
Im September ’89 bin ich in Urlaub gegangen. Im Radio hörte ich die Nachrichten, und ich dachte: das kann doch nicht wahr sein, die Leute hauen alle ab, und dann wird gesagt, das sei egal. Das ist doch unsere Schuld, da muß es doch einen Grund geben. Nach meiner Rückkehr kam Thomas, ein junger Kollege aus meinem ehemaligen Krankenhaus – ich war 1988 pensioniert worden und arbeitete nur noch ein bißchen in einer Poliklinik – mit einer Resolution. Er sagte, sie seien dabei, diese Resolution ‘rumgehen zu lassen. Daher wolle er sie mir zeigen und mich informieren, er fragte aber nicht, ob ich die Resolution unterschreiben wollte. Der Text enthielt eine Reihe von Forderungen und einen Protest gegen Gewalt. Die meisten fand ich richtig, ich stieß mich aber daran, daß im Falle der Nichterfüllung der Forderungen mit Streik gedroht wurde. Ich sagte, wir als Ärzte können doch nicht streiken. Ich bat ihn trotzdem, mir den Text dazulassen, ich würde darüber nachdenken. Ich schaute ihn in den nächsten Tagen immer wieder an, sprach auch mit meiner Tochter darüber. Schließlich unterschrieb ich, fügte aber unter meinem Namen hinzu, daß ich die Sache mit dem Streik nicht unterstützen würde. Bis dahin hatte ich z.B. an Brutalitäten der Polizei nicht geglaubt.
Anfang November kam Steffie Spira zu mir. Die Steffie sagte, in zwei Tagen würden die Künstler eine große Demonstration für Meinungsfreiheit organisieren und sie würde da sprechen. Zufällig waren Freunde aus Mainz bei mir zu Besuch. Als Steffie gegangen war, sagten die West-Freunde, die Frau sei übergeschnappt, das würde der Staat doch nie zulassen. Aber die Demonstration fand auf dem Alexanderplatz statt, und Steffie hatte ihren berühmten Auftritt. Steffie wurde noch monatelang angerufen, einerseits von Leuten, die sie bedrohten, aber überwiegend von Leuten, die ihr gratulierten und ihr positiv gegenüberstanden.
Irgendwann wurde mir klar, daß die Sache, d.h. die DDR, nicht mehr zu retten war. Ich habe noch einen Appell von Stefan Heym u.a. für eine bessere DDR unterschrieben, aber da war alles schon gelaufen. Wir hingen jeden Tag vorm Fernseher oder am Radio. Als plötzlich die Öffnung der Mauer gezeigt wurde und alle Leute nach West-Berlin strömten, war das für mich wie ein Traum. Nicht im positiven Sinne, sondern es passierte etwas, was für mich bis dahin unvorstellbar war. Auf die Idee, dorthin zu gehen, kam ich nicht. Ich hoffte bis zuletzt, die DDR würde sich verbessern oder zumindest sich in Würde mit der BRD vereinigen und sich nicht einfach anschließen. Sehr positiv fand ich die Phase unmittelbar nach der Wende – die Zeit der runden Tische. Sechs Monate lang gab es Demokratie, wie niemals zuvor und auch nicht danach.
Ich muß gestehen, ich war voll Trauer darüber, wie die DDR zu Ende ging. Es war mein Leben, Privilegien hatte ich keine zu verlieren, Illusionen ja. Ich hatte immer geackert – mit Freude – als Ärztin. Wenn man mich fragt, ob ich etwas bereue, sage ich, in beruflicher Hinsicht bereue ich nichts. Politisch glaubte ich, in meiner Ecke etwas mitzubewegen, ob ich das getan habe, weiß ich nicht, aber in manchen Dingen hätte ich meine Meinung lauter sagen müssen.
Wenn man mich fragt, warum meine Mutter oft gegen Unrecht nicht genug Stellung genommen hat, antworte ich: in der ausländischen Presse wollte sie nicht, in der DDR konnte sie es nur bedingt. Sie wandte sich direkt an Mitglieder der Regierung oder des Politbüros oder äußerte sich im Vorstand des Schriftstellerverbandes, in ihrer eigenen, leisen Art. Sie meinte, daß das genügte.

Sie erzählten, Sie hätten zur Schriftstellerei Ihrer Mutter immer eine gewisse Distanz gehabt. Vor ein paar Jahren haben Sie begonnen, sich intensiver mit der Autorin Anna Seghers zu beschäftigen. Sie haben im Aufbau-Verlag eine Text-Bild-Biographie mitherausgegeben, Sie sind im Vorstand der Anna Seghers Gesellschaft, machen Lesungen aus der oben erwähnten Biographie. Was hat Sie bewogen, nun doch in diese Richtung aktiv zu werden?

Ich hatte immer eine Allergie auf die Presse – zu DDR-Zeiten und jetzt – und habe mich von den Medien ferngehalten. Meine Mutter war 1983 gestorben und hatte in ihrem Testament ihren literarischen Nachlaß der Akademie der Künste der DDR hinterlassen und die Tantiemen aus ihren Büchern jungen Künstlern. Ich kümmerte mich sträflich wenig darum.
Während und nach der Wende wurde meine Mutter außerordentlich attackiert. Dafür habe ich Verständnis. Die Leute identifizierten sie als Vorsitzende des Schriftstellerverbandes mit dem Staat, den sie überwiegend ablehnten. Sie wurde aber zunehmend nicht wahrheitsgemäß und ungerecht attackiert, und es gab kaum Stimmen, die die Wahrheit sagten und sich für sie einsetzten. Irgendwann war mir das über, und ich nahm mir vor, Fakten herauszufinden, insbesondere über die Zeit des Janka-Prozesses.2 Ich befragte Zeitzeugen, auch Walter Janka und seine Frau. Es war schlimm, daß er ins Gefängnis geworfen wurde. Daß er das an meiner Mutter festmachte, war unrecht von ihm, aber ich kann jemandem, der zu Unrecht im Gefängnis war, keine Vorwürfe machen. Übrigens wußte er bis zu unserem Zusammentreffen nicht, daß meine Mutter zweimal Ulbricht aufgesucht hatte, um ihm zu helfen.
Als einzige, die meine Mutter gut gekannt hat, fühle ich mich verpflichtet, mein Wissen mitzuteilen. Sie hat mir so viel gegeben, daß ich etwas zurückgeben muß.

  • 1. Nach Ausbruch des Krieges veranlaßte die französische Regierung, daß alle deutschen Staatsbürger als feindliche Ausländer in Lagern interniert wurden, auch die antifaschistischen Emigranten. Nach der Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht wurden diese Lager für viele politische und jüdische Flüchtlinge aus Nazideutschland zur tödlichen Falle.
  • 2. Walter Janka, ab Anfang der fünfziger Jahre Leiter des Aufbau-Verlages, gehörte zu einer parteiinternen Oppositionsgruppe in der SED. Er wurde 1956 verhaftet und in einem Schauprozeß zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt (von denen er vier absitzen mußte). In seinem 1989 veröffentlichten Buch „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ warf Janka Anna Seghers vor, daß sie als bekannteste DDR-Autorin und Vorsitzende des Schriftsteller-Verbandes, die nichts zu befürchten hatte, sich nicht eindeutig für ihn eingesetzt hätte.

Das Gespräch führte Gert Eisenbürger im Dezember 1995 in Berlin.

Ruth Radvanyi hat 1994 zusammen mit Frank Wagner und Ursula Emmerich das sehr informative und ansprechend gestaltete Buch „Anna Seghers – Eine Biographie in Bildern“ herausgegeben. Das Buch ist im Aufbau-Verlag (Berlin) erschienen und kostet 58,- DM.