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Die Gewaltdebatte

Ein Beispiel von vielen, wie man angebrachte Kritik am Kapitalismus delegitimiert
Daniel Ernesto Mismahl

Die Distanzierung stellt die staatlichen Sicherheitsorgane zufrieden. Der Protest sollte sich an der Gewaltfrage spalten. Darauf zielte der Polizeieinsatz am 2. Juni in Rostock auf dem Stadthafengelände ab, ausführlich dokumentiert auf www.indymedia.org und www.youtube.com zur „Polizeitaktik“ am 2. Juni in „Rostock“. Aber im Vorfeld war das Wichtigste eh schon gelaufen: Da bereitet sich die Regierung der BRD auf das Treffen der G8 vor und baut einen Hochsicherheitszaun, verhaftet im Vorfeld AktivistInnen, setzt die Protestvorbereitung unter Terrorverdacht, erlässt Demoverbote usw. Und während der Blockaden lässt sie die Bundeswehr helfen. Die Einsatzkräfte sind darauf vorbereitet, jede mögliche Störung des G-8 zu unterbinden.

Wie bei jedem Protest ist also von vornherein entschieden, wer Gewalt anwenden darf und wer nicht. So wird von der Medienöffentlichkeit kritisch überprüft, ob sich beide Seiten auch daran gehalten haben. Hat die Polizei angemessen oder unverhältnismäßig, also zweckmäßig zugeschlagen? Haben sich die DemonstrantInnen denn auch benommen? Man merkt: Letztlich ist für die angeleitete Öffentliche Meinung also nicht der Grund interessant, warum man protestieren geht, sondern, ob man dazu berechtigt ist – ein Unterschied, auf den man Wert legen sollte, weil letzteres eine Frage der Erlaubnis ist, die man sich als ProtestierendeR nicht auch noch selber stellen sollte.

Jedoch geht anlässlich des berühmten Samstags nun auch diesmal innerhalb der Linken der alte Streit über Gewalt als (il-)legitimes Mittel los. Die eine Seite „keine Gelegenheit zum Eingreifen geben“, „sich nicht provozieren lassen“ verspricht der Öffentlichen Meinung gegenüber Besserung durch vorauseilenden Gehorsam, unterbindet den Bau von Barrikaden an den Blockaden. Die andere Seite will auf die Barrikaden, weil ihr die direkte Konfrontation mit dem Gewaltmonopol als Beweis gilt für die Radikalität ihrer Kritik am System, und zwar ohne erklären zu müssen, worin das System eigentlich besteht, weil man es ja gerade mit Steinen beschmeißt.1 So steht auf beiden Seiten wieder nur die vom Staat aufgemachte Scheidung in „erlaubt“ und „verboten“, nur diesmal als polit-taktische Frage mit den Alternativen ohnmächtiger Anbiederung und symbolischer Gegenwehr. In beiden Fällen kommt eine Verständigung über die eigentliche Kritik nicht vor, sondern wird großzügig unterstellt, obwohl es auf sie eigentlich gerade ankäme.

Kommt man nämlich auf die Inhalte des Alternativgipfels zu sprechen, so waren einerseits lauter richtige Feststellungen anzutreffen: Die G8 sind Anleiter einer auf Krieg gestützten Weltordnung, die mit stinknormaler Marktwirtschaft Elend, Hunger und Umweltzerstörung produziert. Gleichzeitig geben sie vor, diese Wirklichkeit sei nicht Produkt ihrer Konkurrenz um kapitalistischen Reichtum und dessen Grundlagen (z.B. Öl), sondern seien „Probleme“ (z.B. „Versorgung“), für deren „Lösung“ wiederum niemand anders als sie selber zuständig sein wollen. Dies will man ihnen nicht mehr abkaufen.

Andrerseits werden diese Feststellungen nun anders gelesen: Der Weltregierung unterlaufen lauter grundsätzliche Fehler, die davon zeugen, dass sie ihren eigentlichen Auftrag, die Probleme der Menschheit zu lösen, nur schlecht oder gar nicht ausführen. Dagegen müsste man aber halten, dass z.B. Krieg nicht nur kein gutes oder schlechtes Mittel zur Konfliktverhinderung ist, sondern einen ganz anderen Zweck hat: Es ist das Mittel unter Staaten, ihre Ansprüche mit dem Ernstmachen ihrer Gewaltandrohungen durchzusetzen. Und je nach Anspruch und verfügbarer Mittel sieht der jeweilig dafür angezettelte Krieg auch anders aus, von sog. humanitären Einsätzen bis „shock and awe“.

Auch bei der kritisierten Investitionsfreiheit ist es nicht so, dass das Anliegen Wachstum und Wohlstand zu schaffen bloß falsch angegangen würde: Der Welthandel selbst ist als Markt organisiert, also eine Konkurrenzveranstaltung, in der es Gewinner und Verlierer geben muss und wo durch Abkommen darum gerungen wird, wer gewinnt. Weil Krieg mit Konfliktverhinderung und Weltmarkt mit Verteilung von Wohlstand, wo er gebraucht wird, nichts zu tun hat, sollten diese Mittel und Einrichtungen der Interessen von Staat und Kapital auch nicht daran gemessen werden. Ansonsten kauft man sich durch den freizügig den G8 beigemessenen Auftrag, Probleme zu lösen, anschließend in die Lösungsstrategien ihrer Probleme ein und ruft sie nachher womöglich noch dazu auf, bei der Verfolgung ihrer brutalen Zwecke ein bisschen mehr Rücksicht walten zu lassen.

  • 1. Man merkt: Steine sind tatsächlich keine Argumente. Eine dumme Verwechslung, die man zurückgeben könnte: Staatsgewalt eben auch nicht. Aber seit wann gründen und verlassen sich Staaten auf gute Argumente, wenn sie doch Staatsgewalten heißen?