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Crossing the border

Lesenswertes Buch über Migration und Klassenkampf in den USA
Laura Held

Freunde aus den USA haben uns ein T-Shirt geschickt. Darauf ist eine Fotografie zu sehen, auf der vier spärlich bewaffnete Indianer misstrauisch in die Kamera blinzeln. Über dem Foto steht: Homeland Security (die seit 9/11 militärisch aufgerüstete zivile Verteidigung der USA), darunter steht: fighting terrorism since 1492. Verteidigen diese vier Indígenas nun die Heimat gegen den Terrorismus, oder sollen sie die Gefahr, d. h. den Terror darstellen? Seit ich das Buch No one is illegal: fighting racism and state violence on the US-Mexico border von Justin Akers Chacon und Mike Davis gelesen habe, weiß ich es. Diese vier alles andere als martialischen Gestalten sind der Terrorismus, und sie bekämpft die Homeland Security. Denn wenn das Land auch ihr Land ist, so galt in dem Einwanderungsland USA doch seit dem Naturalization Act von 1790, dass jeder weiße freie Mensch, der zwei Jahre im Land war, Bürger der Vereinigten Staaten wurde. AfrikanerInnen und Indígenas gehörten dementsprechend nicht dazu. Und als Mexiko im Jahr 1848 nicht weniger als die Hälfte seines Territoriums an die USA verlor, so stand in der ersten kalifornischen Verfassung, dass jeder männliche weiße US-Bürger und jeder männliche weiße Mexikaner Bürger des neuen US-Staates war. Die braunen MexikanerInnen waren plötzlich Fremde im eigenen Land.

Das Buch besteht aus fünf Teilen. Es beginnt mit einem 80-seitigen Essay von Mike Davis über die Geschichte der Bürgerwehren und der weißen Gewalt in Kalifornien. Von der ersten Grenzziehung bis zu den heutigen Minutemen haben weiße BürgerInnen sich zusammengeschlossen, um mit Prügeln und Gewehren und mit Unterstützung der Polizei und ansässiger Großgrundbesitzer nichtweiße EinwanderInnen (oder auch andere BewohnerInnen), die für Hungerlöhne arbeite(te)n, daran zu hindern, zu streiken oder ihre Menschenrechte einzufordern. Während der ähnlich agierende KuKluxKlan bei vielen Menschen inzwischen als Organisation gewalttätiger Rassisten gilt, sehen viele in den Minutemen und den Bürgerwehren tapfere Vaterlandsverteidiger. Natürlich haben die heutigen Minutemen Kreide gefressen: Sie beteuern, sie seien keine Rassisten, suchen sich schon mal einen schwarzen Reverend als Aushängeschild und betonen, sie wollten doch nur die Illegalen vertreiben. Sie gehen z. B. an Orte, wo sich arme TagelöhnerInnen anbieten. Dort fotografieren sie und übergeben die Fotos der Polizei und stellen sie ins Internet.

Die restlichen vier Kapitel stammen aus der Feder von Justin Akers Chacon, wie Mike Davis Geschichtsprofessor in Kalifornien. Teil zwei behandelt die mexikanische Abhängigkeit vom US-Imperium. Von den Annexionskriegen im 19. Jahrhundert über die Verschuldungsfalle der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts bis zum Freihandelsabkommen NAFTA und der Maquilaindustrie. Teil drei erzählt die Geschichte der mexikanischen Einwanderung von der Zeit, als die Grenze als solche noch gar nicht existierte, über das Bracero-Programm (eine Art Gastarbeiterprogramm, das MigrantInnen zu rechtlosen Menschen zweiter Klasse macht) bis heute, wo ohne die mexikanischen MigrantInnen wahrscheinlich das gesamte Dienstleistungsgewerbe in den USA kollabieren würde, und sie dennoch als „Sozialschmarotzer“ und „Kulturschädlinge“ diffamiert werden. Der sehr umfangreiche Teil vier beschäftigt sich mit dem „Krieg gegen die MigrantInnen“, von der militärisch immer weiter ausgebauten Grenze bis zu den verschärften körperlichen Angriffen und der Flut an Antimigrationsgesetzen in den Staaten seit 9/11. Dabei wird erklärt, wie es der Antimigrationallianz – wo VertreterInnen der beiden großen Parteien, Think Tanks wie das Center for Immigration Studies (CIS) oder die Federation for American Immigrant Reform (FAIR) und viele kleine Bürgervereinigungen sich zusammengeschlossen haben – gelang, die Angst und Bedrohungsgefühle vieler US-AmerikanerInnen seit dem 9/11 auf die „unkontrollierte Grenze“ und die lateinamerikanischen MigrantInnen (um) zu lenken. Immigration wurde zu einem Projekt der nationalen Sicherheit. Der letzte Teil behandelt die sich bildende Gegenbewegung von MenschenrechtlerInnen, Teilen der Gewerkschaften und MigrantInnenorganisationen. Dieser Teil ist ein flammendes Plädoyer gegen Grenzen und für eine andere Welt.

Akers Chacon schreibt selbst, er möchte das Buch als Hilfsmittel für AktivistInnen verstanden wissen. Aber es ist viel mehr als das. Der Schreibstil ist wie oft bei US-Sachbüchern gewöhnungsbedürftig: Persönliche Geschichten wechseln ab mit Daten und Zahlen, es folgen Zitate von ExpertInnen und ein Resumée. Letzteres steht eindeutig in einer marxistischen Tradition: Chacon beschreibt die Migrationgeschichte über die USA-Mexico-Grenze als Klassenkampf. Er erklärt, warum das Establishment Grenzen und MigrantInnen braucht, von den billigen Löhnen der zuletzt Eingewanderten profitiert und diese zugleich gegen die vorher Eingewanderten ausspielt. Repressionen – von Verboten, Gewerkschaften zu bilden, über die Verwehrung von Grundrechten bis zu Deportationen – sollen nicht die Migration stoppen, sondern die MigrantInnen unterdrücken. Selten habe ich so eine glasklare und fundierte Analyse von Migration, Ausbeutung und Rassismus gelesen. 

Das Buch erscheint demnächst auf Deutsch bei Assoziation A unter dem Titel Crossing the border. Migranten und Klassenkampf in der US-amerikanischen Geschichte. Übersetzt und bearbeitet von Hanne Schröder, 20,- Euro