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Die Revolution ist nicht mehr tabu

In Grenada wird wieder über die Jahre 1979 bis 1983 diskutiert

Am 25. Oktober 1983 überfielen US-Truppen die Karibikinsel Grenada. Dort amtierte seit März 1979 eine „Revolutionäre Volksregierung“, die eine soziale Reformpolitik betrieb und gute Beziehungen zu Cuba pflegte. Unmittelbar vor der US-Invasion hatte es in der revolutionären Führung Grenadas einen blutigen Machtkampf gegeben, bei dem eine ultraorthodoxe Fraktion der Regierungspartei New Jewel Movement den populären Ministerpräsidenten Maurice Bishop, sowie mehrere seiner MinisterInnen und AnhängerInnen ermordet hatte. Die USA nahmen den Putsch als Vorwand für ihren Militärschlag. Sie installierten in Grenada eine US-freundliche Regierung und überließen dann die knapp 100 000 EinwohnerInnen wieder ihrem Schicksal. 

Gert Eisenbürger

Seit der Militärinvasion der USA wechseln sich in Grenada liberale und konservative Regierungen ab, die Wirtschaft dümpelt dahin, die meisten jüngeren GrenadinerInnen sind arbeitslos. Während es in den Jahren 1979 bis 1983 eine ungeheure Aufbruchstimmung gab und viele Jugendliche eine Zukunft auf ihrer Insel sahen, haben sie heute meistens nur ein Ziel: sobald wie möglich in Richtung USA, Kanada oder Großbritannien abzuhauen.

Die prominentesten RevolutionärInnen waren beim Putsch getötet worden, die Überlebenden verließen nach der US-Invasion die Insel, weil sie dort keine Chance mehr hatten, irgendeinen Job zu bekommen. Der Versuch des Aufbaus einer neuen linken Partei in der Tradition der Revolution, dasMaurice Bishop Patriotic Movement (MBPM) hatte keine ausreichende Basis und wurde schließlich aufgegeben. Die Revolution spielt im Bewusstsein der Menschen keine Rolle mehr, der blutige Putsch und die darauffolgende US-Invasion reduzierten das Ganze für viele GrenadinerInnen auf eine blutige Episode, was über zwei Jahrzehnte die offiziell verbreitete Lesart war.

Einer der wesentlichen Kritikpunkte der Reagan-Regierung an Grenadas Revolution war seinerzeit der Bau eines internationalen Flughafens, mit dem die Regierung Bishop den Tourismus ankurbeln wollte. Weil sie dabei von der cubanischen Regierung unterstützt wurde, behaupteten die USA, es ginge dabei nicht um einen zivilen Flughafen, sondern um die Errichtung eines sowjetisch-cubanischen Stützpunktes. Heute funktioniert der Airport als das, wofür er immer gedacht war, als Touristenflughafen. Doch über den wird nun in Grenada kontrovers diskutiert, konkret über seinen Namen. Anlässlich des 34. Jahrestages der Unabhängigkeit Grenadas von Großbritannien schlug die liberale Oppositionspartei National Democratic Congress (NDC) vor, den Flughafen in „Maurice Bishop International Airport“ umzubenennen. Der Flughafen sei das wichtigste ökonomische Projekt seiner Regierung gewesen und es sei daher angemessen, Maurice Bishop mit dieser Namensgebung zu würdigen. Die NDC hat die letzten Wahlen vor vier Jahren nur knapp verloren, sie gewann sieben der fünfzehn Sitze des Inselparlaments, während die rechtskonservative New National Party (NNP) auf acht Sitze kam.

Das war bereits das zweite Mal im jungen Jahr 2008, dass in Grenada öffentlich über den Umgang mit der Revolution diskutiert wurde. Anfang Januar hatte sich Nadia Bishop, die Tochter Maurice Bishops, an die Öffentlichkeit auf der Insel gewandt. Frau Bishop, die als Anwältin in Kalifornien tätig ist, erklärte, sie habe die Verantwortlichen für den Mord an ihrem Vater und den anderen RevolutionärInnen im Knast von Richmond Hill in Grenadas Hauptstadt St. George’s besucht. Sie habe drei Stunden mit ihnen gesprochen und ihnen vergeben. Sie betonte ausdrücklich, dass sie in ihrem Namen und dem ihrer Mutter und ihres Bruders spreche, aber nicht in dem der Angehörigen der anderen Opfer. Sie sprach sich auch für die Begnadigung der Putschisten aus, die 1984 zunächst zum Tode verurteilt worden waren, was später in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde.

Grenadas rechtskonservative Regierungspartei NNP erteilte inzwischen sowohl der Benennung des Flughafens nach Maurice Bishop als auch der Begnadigung seiner Mörder eine Absage. Sie erklärte stattdessen am 34. Jahrestag der Unabhängigkeit Eric Gairy, den ersten Ministerpräsidenten der Insel, zum Nationalhelden. Gairy hatte von 1974 bis 1979 regiert. Er stützte seine Macht auf paramilitärische Schlägertrupps, die für mindestens sechs politische Morde, u. a. an Rupert Bishop, dem Vater Maurice Bishops, verantwortlich waren. Gairy wurde am 13. März 1979 durch den revolutionären Aufstand des New Jewel Movement gestürzt.

Die Tatsache, dass in Grenada nun wieder öffentlich und kontrovers über die Zeit der Revolution und den Umgang damit diskutiert wird, ist zweifellos eine positive Entwicklung. Ob das langfristig den Raum für neue politische Alternativen eröffnet, bleibt abzuwarten. Wenn die liberale NDP sich im (voraussichtlichen) Wahljahr 2008 etwas davon verspricht, den Sozialisten Maurice Bishop öffentlich zu würdigen, bedeutet das immerhin, dass der Führer der Revo bei vielen GrenadinerInnen in guter Erinnerung ist.

Weitere ila-Artikel zu Grenada in ila 323, ila 353 und ila 369.