Mit der Doktrin der „Nationalen Sicherheit“ rechtfertigten die lateinamerikanischen „Modernisierungs“-Diktaturen der 60er und 70er Jahre ihren Terror gegen Intellektuelle, StudentInnen und Volksorganisationen. Dabei agierten die Machthaber in Uniform objektiv nur als Wachhunde bei der Umgestaltung der nationalen (aber nicht mehr konkurrenzfähigen) in „moderne“ Wirtschaften, die sich dem Diktat des Weltmarkts unterwarfen. Alle „unmodernen“ Betriebe wurden schutzlos der Konkurrenz von Billigimporten ausgesetzt und damit größtenteils zerstört. Die uniformierten Gewalttäter wurden (vor allem auch von den USA und Europa) mit dieser Aufgabe betraut, um die sozialen Modernisierungskosten so weit wie möglich einzusparen: Tausende stillgelegte Betriebe, Millionen von Arbeitslosen, Zerstörung sozialer Sicherungssysteme, Kahlschlag im Bildungswesen. Das „nationale Kapital“ ging manchmal pleite, meist rettete es sich als Ein- oder Anlage bei den großen Multis (von denen es auch etliche „national“-lateinamerikanische gibt (wie z.B. Bunge & Born mit Hauptsitz in Argentinien).

Ein wenig anders war die Situation bei den Klientel-Diktaturen der Somozas in Nicaragua, der Duvaliers auf Haiti oder des Stroessner-Klüngels in Paraguay. Hier war vor allem das politische System der Zuteilung und Grenzziehung von Macht und Staatspfründen nicht mehr überlebensfähig, weil es wachsende Teile des Bürgertums von einer Beteiligung an den staatlichen Einflußapparaten fernhielt. Wenn aber Geld- und EinflußbürgerInnen von den staatlichen Machtkanälen ausgeschlossen sind, drängen sie nach Absicherung und Erweiterung ihrer kapitalen Möglichkeiten.

In Nicaragua z.B. erwuchs gegen die Diktatur Somozas auch eine bürgerliche Opposition, die sich nicht einmal scheute, mit jenen Kräften zu paktieren, die andernorts in Lateinamerika als „Subversive“ gejagt und gefoltert wurden. Das erfolgreiche Bündnis aus Bürgerlichen und sozialreformerischen Kräften verjagte schließlich 1979 den Somoza-Klüngel und errichtete den bürgerlichen Nationalstaat Nicaragua. Einmal im Sinne ihrer Interessen integriert, setzten die Bürgerlichen im Bündnis mit den US-Imperialisten alles daran, die Macht im Staat definitiv zu übernehmen und vor allem die Kosten für die soziale Integration der gesamten Bevölkerung, – die staatliche Garantie auf ein Minimum an Bildung und sozialer Sicherheit also – so weit wie möglich zu reduzieren. Wir wissen heute, wie dieses Gesellschaftsspiel (vorläufig) ausgegangen ist.

National, Nationalismus – was ist das? Ist der Nationalstaat der Staat der kapitalistischen Konkurrenz, der Staat des Bürgertums schlechthin? War das, was die nationalen Befreiungsbewegungen (und damit auch die sie unterstützende Solibewegung) unter nationaler und sozialer Integration verstanden haben, vielleicht gar nicht möglich? Weil nämlich vor allem das Bürgertum nur an einer sehr begrenzten nationalen Integration interessiert ist: am gleichberechtigten Zugang aller GeldbürgerInnen zu den staatlichen Einflußhebeln bei ansonsten freier Kapitalverfügung. Der Widerspruch zur sozialen Integration in solch einem nationalen Gebilde ist evident.

Wir haben uns diesem Thema von mehreren Seiten her angenähert und mußten dabei feststellen, daß die „nationale Frage“ äußerst komplex und schwierig – vor allem aber wenig diskutiert worden ist. Warum verwandeln sich nationale Befreiungsbewegungen, einmal an der Macht, immer wieder zu Gespenstern der Macht? Ist die Errichtung eines nationalen Staates notwendig, v.a. wenn die betroffene Bevölkerung als Minderheit in anderen Nationalstaaten lebt (Kurdistan, Palästina)? Warum hat auch der revolutionärste Staat seine männerbündlerische Machtstruktur nie ernsthaft in Frage gestellt? Warum trifft das Phänomen von „Patriotismus“, Nationalismus und Rechtsradikalismus gerade auch in wirtschaftlich imperialen Staaten auf so viele aufnahmebegierige Individuen?

Wir hoffen, die in dieser Nummer begonnene Diskussion fortsetzen zu können. Wir würden uns freuen, wenn unsere LeserInnen entsprechende Beiträge, Briefe, Anmerkungen,... schickten.