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Schläge gegen das Wahlvolk

Die Autonomiereferenden tragen kaum zur Klärung des Machtkonflikts in Bolivien bei

Unerbittlich schien die Referendumsuhr auf der Homepage von El Deber aus Santa Cruz den großen Showdown am 4. Mai näher zu rücken. Die größte (rechte) Tageszeitung Boliviens kündigte dabei auch ihre Online-Berichterstattung über die Auszählung überall in den Tieflanddepartements an. Doch nachdem die Ergebnisse erster Befragungen vor den Wahllokalen mit über 70 Prozent Zustimmung zum Autonomiestatut vermeldet, zum Teil blutige Auseinandersetzungen etwa im Cruzeñer Armenviertel Plan 3000 beendet, die Wahllokale geschlossen waren und der Präfekt von Santa Cruz die Gunst der Stunde zu Jubelfeiern mit Tausenden seiner AnhängerInnen nutzte, brach die Zeitung die versprochene Berichterstattung über die Einzelwahlergebnisse auf der Website ab. Es sollte Tage dauern, die Wahlbehörde sollte mehrmals die angebliche Zahl der Wahlberechtigten und Wahlbeteiligten korrigieren, Anhänger der Regierung sollten Vorwürfe von Wahlfälschungen erheben, bis die Zeitung schließlich über das Endergebnis informierte: 85 Prozent Zustimmung zum Autonomiestatut, 15 Prozent Gegenstimmen, bei rund 60 Prozent Wahlbeteiligung.

Peter Strack

Die Regierung Morales hatte zum Boykott des aller legaler Grundlagen entbehrenden Urnengangs aufgerufen. Und deshalb zählte sie einfach Gegenstimmen und Enthaltungen zusammen, um das Autonomiestatut als abgelehnt zu bezeichnen. Rein mathematisch ist das fast, aber eben nicht ganz korrekt. Und nicht jede Wahlenthaltung kann als Gegenstimme gewertet werden. Wegen der zahlreichen Unregelmäßigkeiten bleibt letztlich jedoch unklar, wie die politischen Kräfteverhältnisse tatsächlich sind. Ohne Zweifel jedoch wünscht sich eine satte Mehrheit der Bevölkerung im Tiefland stärkere Autonomie, ohne Zweifel hat aber auch die Unterstützung für die radikalisierte Regionalregierung und deren auf Interessen der Eliten zugeschnittenes Autonomiestatut abgenommen. Offensichtlich konnte die Regierung Morales im Tiefland aus einer relativ schwachen Position heraus leicht an Boden gewinnen. Dies vor allem in den benachteiligten ländlichen Regionen und indianischen Gemeinden, denen im nationalen Verfassungsentwurf weit mehr Rechte zugestanden werden, als im Cruzeñer Autonomiestatut.

Statt massivem Rückenwind, den sich die wohlhabenderen Staaten des Tieflandes, der so genannte Halbmond versprochen hatte, artikulierte sich nun verstärkte Kritik. Nach der großen Mehrzahl der Bürgermeister im kleinen Amazonas-Departement Pando sprachen sich auch 126 soziale Organisationen des Nachbar-Departaments Beni, darunter das dem Unternehmerlager nahestehende Comité Cívico von Trinidad, gegen die für ihre Regionen vorgeschlagenen Autonomiestatuten aus und forderten die Verschiebung der für Anfang Juni geplanten Referenden und erst einmal Bürgerbeteiligung bei der Erarbeitung der Texte. Die jüngsten Übergriffe auf das Büro des Comité Cívico von Trinidad und die Entsendung von 1400 Jugendlichen der für ihre rassistischen Prügelorgien berüchtigten Unión Juvenil Cruceñista als „WahlbeobachterInnen“ zu den Referenden im Pando und Beni dürften dabei kaum geeignet sein, die Kritik an den Autonomiestatuten und den regionalen Eliten zu entkräften. 

Gleichzeitig mobilisieren soziale Organisationen im Hochland gemeinsam mit der Regierungspartei MAS für eine Abstimmung über den nationalen Verfassungsentwurf im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Fristen. Dabei ist in den meisten Fällen das, was sich die Mehrheit der Tieflandbevölkerung an Autonomie wünscht, durchaus vereinbar mit dem nationalen Verfassungsentwurf. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb weigern sich die Präfekten der Tieflanddepartaments immer noch, über die Harmonisierung von Autonomiestatuten und Verfassungsentwurf zu verhandeln. Stattdessen drängte Jorge Quiroga, Chef der politisch an den Rand geratenen größten Oppositionspartei im bolivianischen Parlament, auf eine baldige Durchführung der Referenden, bei denen die Amtszeit von Präsident, Vizepräsident und Präfekten vorzeitig beendet werden kann. Zum Entsetzen vieler Präfekten nahm die Regierungspartei den Vorschlag auf. Denn zur Abwahl reicht laut Gesetz eine Stimmenzahl, die mindestens so hoch ist wie die Zahl der Stimmen, mit denen die Amtsträger gewählt wurden, oder alternativ ein mindestens so hoher Prozentsatz. 

Stimmen gegen einen Politiker zu sammeln, ist immer leichter als ein Votum der Unterstützung. Dennoch dürfte Evo Morales mit seinen 53,7% Prozent der Stimmen die Chance auf einen Verbleib im Amt haben. Auch Rubén Costas in Santa Cruz, der mit 48% gewählt wurde, aber kaum Konkurrenz hat, ebenso wie Mario Cossio in Tarija. Anders in denjenigen Departaments, wo die Entscheidung schon damals knapp war wie im Pando, Chuquisaca oder Cochabamba oder der Stimmenanteil ohnehin niedrig war wie in La Paz (38% für Paredes). Selbst bei Abwahl des Präsidenten und Neuwahlen innerhalb eines halben Jahres wäre der Vorteil von Evo Morales, dass er befugt wäre, sofort Ersatzleute für diejenigen Präfekten zu ernennen, die abgewählt werden.

Angesichts dieser möglichen Verschiebung der Kräfteverhältnisse zu ihren Ungunsten griff die rechte Opposition wieder einmal zur Gewalt. In Sucre wurden Bauern, die für den Departamentsfeiertag in die Stadt gekommen waren, gewaltsam aus ihren Unterkünften geholt und auf offener Straße misshandelt. Wieder einmal griff die Polizei nicht ein, erhob aber heftige Vorwürfe gegen die Regierung, die vorherige Warnungen nicht ernst genommen habe. Wieder einmal wurden die Bauern allein gelassen, um Polizeigewalt und schlechtes Medienecho zu vermeiden und die Verhandlungen nicht zu gefährden. Die fanden aber selbst dann nicht ernsthaft statt, als die Sucreñer Oberschicht wegen der Übergriffe heftig kritisiert wurde und sich die Bürgermeisterin sogar entschuldigte. 

Ob den Grundrechten der indianischen Bauern deshalb nun endlich Respekt verschafft wird, darf jedoch bezweifelt werden – obwohl sie bei den kommenden Urnengängen auch Wähler sind. Dass die indianischen Organisationen nach den skandalösen Übergriffen in Sucre nicht selbst gewaltsam reagiert haben und der Deeskalierungspolitik der Regierung wieder einmal gefolgt sind, mag ein Zeichen dafür sein, dass sie noch Vertrauen in den verfassungsmässigen Prozess und Wahlen haben. Es könnten aber auch erste Anzeichen von Ohnmachtsgefühlen und Hoffnungslosigkeit sein, die auch für die bolivianische Oberschicht fatale Folgen haben könnte. Denn ein Zurück zum rassistischen Obrigkeitsstaat ist, auch wenn der verkrustete Teil der Elite das erträumen mag, die unwahrscheinlichste Alternative.