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Nur gemeinsam zu haben

Rezension: „Die Grüne Matrix. Naturschutz und Welternährung am Scheideweg“ von Peter Clausing

Kenntnisreich und knapp stellt Peter Clausing die aktuelle Debatte und Entwicklung um den Naturschutz und ihre Bedeutung für die Ernährung der Menschheit dar. Der Autor ist ein ausgewiesener Experte, selbst Agrarwissenschaftler und vielfältig aktiv zum Thema, sowohl als Aktivist wie publizistisch. So verwundert es nicht, dass auf den 120 Textseiten so manch spannender Aspekt des Themas nur angerissen werden kann. Dieses Manko wird wettgemacht durch ein umfassendes Literatur- und Quellenverzeichnis, das weitere Lektüre in Fülle anbietet, und ein Register, das dabei hilft, im Buch selbst die gewünschten Themen sofort aufzufinden.

Werner Rätz

Drei der vier Kapitel des Buches befassen sich mit Methoden, die für die Welternährung wie den Naturschutz gleichermaßen schädlich sind – das nämlich ist für Clausing klar, dass diese beiden Anliegen keinen Widerspruch darstellen, sondern nur gemeinsam zu haben sind.

Im ersten Teil geht es um Landgrabbing. Dabei liegt der Akzent darauf, dass nicht nur industrielle Landwirtschaft und Großkäufe oder -pacht seitens der Schwellenländer, sondern auch das aktuelle Naturschutzkonzept der UNO selbst Vertreibungen in großem Umfang bewirkt. Es wird ein „Naturschutz ohne Menschen“ (S. 47) betrieben, bei dem die Schutzgebiete mehr oder weniger gewaltsam vor den Menschen abgeschirmt werden, die bis dato in und von ihnen lebten. Keinesfalls immer heißt das auch, dass TouristInnen die Areale nicht mehr betreten dürfen. Auch weniger problematische Ansätze wie gemeindebasierter Naturschutz werden vorgestellt und ihre Vor- und Nachteile diskutiert.

An den Vertreibungen sind zumindest indirekt auch die großen internationalen Naturschutzorganisationen beteiligt. Oft wissen sie genau darüber Bescheid und decken die Vorgänge, manchmal schauen sie einfach weg. Systematisch liefern sie die Legitimationsbasis für das Vorgehen der Agrarmultis. Diesem Greenwashing ist das dritte Kapitel des Buches gewidmet, das sich mit den Runden Tischen für Palmöl und „verantwortliche“ Soja beschäftigt. Dort sitzen die Naturschützer von WWF und Co. gemeinsam mit einer Mehrheit von Industrieverbänden und erteilen Umweltsiegel. Letzteres umfasst ausdrücklich auch gentechnisch produzierte Soja, da die ja wegen angeblich geringerer Herbizidausbringung ökologisch vorteilhaft sei.

Das zweite Kapitel stellt ein in Deutschland bisher wenig bekanntes Konzept vor, das ausdrücklich die Aufgabe der Nahrungsmittelsicherung in den Vordergrund stellt. Es geht davon aus, dass auch die Landwirtschaft ein Problem für den Artenschutz darstellt, und findet eine originelle Lösung: „Mehr Schutzgebiete und weniger landwirtschaftliche Nutzfläche, wobei auf letzterer dann mit hochintensiven Anbauverfahren unter Anwendung von Agrochemikalien, patentgeschützten Sorten und ggf. mit Gentechnik maximale Hektarerträge erzielt werden sollen.“ (S. 49) Mit diesem Vorgehen, so die Behauptung, würde die Urbanisierung gefördert (wenn das nicht tatsächlich von allein geschieht, dann helfen die Protagonisten durchaus auch mehr oder weniger gewaltsam nach) und so Platz auch für die Rückkehr der Wälder geschaffen. Die können dann wieder als Kohlenstoffsenken in den internationalen CO2-Handel eingebracht werden.

Im vierten und längsten Kapitel werden Methoden der Agrarökologie vorgestellt und unter dem Stichwort Land Sharing zusammengefasst. Dabei verweist der Text auf eine umfassende Metaanalyse, die 293 Studien zum Ertragspotenzial des agrarökologischen und des konventionellen Anbaus auswertet und der Frage nachgeht, „ob die Welt – theoretisch – mit dem jetzigen Stand des Wissens und der Verfahrensentwicklung agrarökologisch ernährt werden könnte“ (S. 100). Detailliert wird diese Möglichkeit nachgewiesen, auch in der Diskussion und Zurückweisung von Gegenargumenten und abweichenden Studien. Nicht nur mengenmäßig, sondern auch in der Energieeffizienz sind die Methoden der industriellen Landwirtschaft den ökologischen unterlegen. Dazu kommt, dass großtechnologische Verfahren massive Bodenschäden hinterlassen, gigantische Transportketten verlangen und trotzdem nicht einmal Nahrungsmittelsicherheit herstellen können. Selbst physisch sind mit dieser modernen Form der Landwirtschaft nicht immer an allen Orten der Welt ausreichend Lebensmittel vorhanden, unabhängig von der jeweiligen lokalen Kaufkraft, deren Fehlen ja hauptsächlich den Hunger bewirkt.

Clausing macht allerdings sehr deutlich, dass ein nachhaltiges und gerechtes Agrarmodell auf Ernährungssouveränität setzen muss, also die eigene Verfügung der Menschen und ihrer Gemeinschaften vor Ort über die Mittel zur Nahrungsproduktion. Dafür werden umfassende Beispiele erörtert, wie mit ökologischen Methoden Probleme der kleinbäuerlichen wie der Landwirtschaft generell bearbeitet werden können, Schädlingsbefall etwa oder Nährstoffmangel im Boden. Zwei Länderbeispiele (Malawi und Niger) mit positiven Erfahrungen runden den informativen Band ab.