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Den Tätern geht es blendend

Interview mit dem ehemaligen Präsidenten der peruanischen Wahrheitskommission, Salomón Lerner

Für Salomón Lerner waren Menschenrechte vor allem ein Thema, das er an seinem Vorlesungspult an der Katholischen Universität von Lima erörterte. Bis der Philosophieprofessor und Heideggerexperte vor fünf Jahren zum Vorsitzenden der Wahrheitskommission ernannt wurde und die Opfer des Bürgerkrieges persönlich traf und ihre Aussagen hörte. „Nachdem ich den Schmerz, aber auch die Stärke so vieler Menschen, die Opfer wurden, erlebt habe, kann ich nicht mehr wie früher einfach Vorlesungen halten“, sagt Salomón Lerner. Er gründete deshalb das Menschenrechtsinstitut der Katholischen Universität, das ein wachsames Auge auf die Umsetzung der Empfehlungen der Wahrheitskommission hält. Im nachfolgenden Interview zieht er seine Bilanz nach fünf Jahren.

Hildegard Willer

Herr Professor Lerner, vor fünf Jahren haben Sie in einer vielbeachteten Rede die Indifferenz der peruanischen Gesellschaft gegenüber den Opfern des Bürgerkrieges angeklagt. Ist die peruanische Gesellschaft seither sensibler geworden für diese Anliegen?

Nach wie vor herrscht Gleichgültigkeit. Sicher gibt es Zeichen der Hoffnung von Seiten einiger Gruppen der Zivilgesellschaft und neuer Opfervereinigungen. Sie halten das Thema in der Öffentlichkeit wach. Aber sie können nur wenig machen. Leider haben die Regierungen dem Bericht keine Aufmerksamkeit geschenkt. Sie haben nicht bemerkt, dass es hier nicht nur um 20 Jahre Gewalt geht, sondern um die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen im Staat, damit der Staat die Grundrechte aller Bürger garantiert. Stattdessen nährt die Regierung die Illusion der wirtschaftlichen Entwicklung und nimmt dafür Ungerechtigkeiten in Kauf. Man vergisst die fundamentalen Rechte, um das Wirtschaftswachstum zu fördern, ein Wirtschaftswachstum ohne Umverteilung, deswegen sind die Leute frustriert.

Ist Ihrer Meinung nach die Gefahr eines erneuten Ausbruchs subversiver Gewalt in Peru gebannt?

Die Tatsache, dass der Rückgang subversiver Gewalt mit dem Wirtschaftswachstum zusammenfiel, könnte uns glauben machen, dass damit auch die Umstände hinfällig geworden sind, die zum Ausbruch der Gewalt geführt haben. Ich bin nicht davon überzeugt, denn das Wirtschaftswachstum alleine reicht nicht, wir brauchen auch eine Umverteilung. Ich glaube allerdings nicht, dass der Leuchtende Pfad wieder auftaucht – mit seiner messianisch-religiösen Ideologie war er eine absolute Ausnahmeerscheinung in Lateinamerika. Aber andere Umstände, unter denen es zu sozialen Spannungen und zu Gewaltanwendung kommt angesichts der Ungerechtigkeit, das kann es in Peru jederzeit wieder geben. 

Wie geht es heute, fünf Jahre später, den Tätern?

Denen geht es blendend. Ihnen passiert nichts oder nur sehr wenig. Ich befürchte auch, dass Fujimori sich in zweiter Instanz durch politische Absprachen herauswinden kann. Andere politische Verantwortliche werden gar nicht zur Rechenschaft gezogen. Alan García (1986 während seiner ersten Präsidentschaft für ein Massaker im Gefängnis verantwortlich) ist heute wieder Präsident. Und das Militär hat absolut kein Interesse daran, seine Akten herauszurücken, sie schließen ihre Reihen. 

Was hat die Arbeit der Wahrheitskommission den Opfern gebracht ?

Ich finde, unsere Arbeit hat sich für die Opfer gelohnt. Sie bekamen erstmals Gelegenheit, Peru mit seiner Vergangenheit und Verantwortung zu konfrontieren. Die Opfer wurden aus der Anonymität geholt, sie konnten wenigs-tens sagen: „Ich bin eine Person, an der Unrecht begangen wurde.“ Einige Mittel konnten für ihre Entschädigung aufgebracht werden, zum Teil auf regionaler, zum Teil auf nationaler Ebene. Wenig geschehen ist im Hinblick auf die strafrechtliche Aufarbeitung.

Ist Ihre Bilanz nicht etwas arg negativ? Immerhin steht Fujimori vor Gericht, es gibt kollektive Entschädigungen, es gibt einen funktionierenden Reparationsrat....

Die Enttäuschung kommt sicher daher, dass die Regierungen und Politiker kein Interesse an den Opfern zeigten – auch nicht der vorherige Präsident Toledo. Andererseits, wenn wir nach Chile und Argentinien bli-cken: Dort brauchte es eine ganze Generation, bis eine neue Generation von Militärs dazu bereit war, die Opfer um Entschuldigung zu bitten.

Das Interview führte Hildegard Willer im August 2008 in Lima.