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Die Bodenschätze, der Dreck und die Krisen

Stefan Peters‘ Arbeit über (Neo-)Extraktivismus und Rentenökonomien
Zeljko Crncic

Es ist ruhig geworden um die Linksregierungen Lateinamerikas und ihre Wirtschaftsmodelle. Vor zehn Jahren herrschten in Venezuela, Bolivien, Uruguay, Argentinien, Brasilien oder Ecuador Regierungen, die eine Umverteilung des Reichtums anstrebten. Auch in den hiesigen Tageszeitungen wurde über die Vor- und Nachteile dieser Politik geschrieben. Das Ziel war, die Gewinne aus dem Export von Öl, Gas, Fleisch oder Soja so zu verteilen, dass sie möglichst vielen zugute kommen sollten. Und in Ländern wie Argentinien, Bolivien oder Ecuador begannen die Regierungen erfolgreiche Schritte in diese Richtung. Begriffe wie Rentenökonomie, Extraktivismus oder Neoextraktivismus machten die Runde. Zunächst waren die Ergebnisse zwischen etwa 2003 und 2013 in vielen Ländern beeindruckend. Aber ab etwa 2013 ging vielen Ländern der Treibstoff für die ambitionierten Entwicklungsprojekte aus. Stefan Peters hat nun ein Buch vorgelegt, das unter dem theoretischen Begriff der Rentengesellschaft genau diese Mechanismen erneut unter die Lupe nimmt. Im Folgenden ein paar Schlaglichter auf das umfängliche Buch.

Zunächst geht der Autor auf das Spannungsverhältnis zwischen zwei gegensätzlichen Erklärungsmustern ein. Kurz gesagt: Ist die Tatsache, dass viele Länder über Ressourcen verfügen, für ihre Entwicklung ein Fluch oder ein Segen? (S. 58 ff). Peters beschreibt die Entwicklung dieser Debatte seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er legt dar, dass in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts viele Autor*innen das Thema Ressourcenabbau sehr positiv bewerteten. Der Abbau und Verkauf von Ressourcen wurde als Möglichkeit der Entwicklung von kapitalarmen Ländern des Südens angesehen.

In Reaktion darauf entstanden Arbeiten, die den Abbau und Verkauf von Rohstoffen eher kritisch sahen, international am bekanntesten Eduardo Galeanos Buch „Las venas abiertas de América Latina“ aus dem Jahr 1971 (dt. Die offenen Adern Lateinamerikas, 1972). Aber auch weitere Arbeiten, die das Phänomen unter dem Schlagwort des Ressourcenfluchs zusammenfassten, betonten negative Auswirkungen wie die Bildung von einseitigen Ökonomien, die Herausbildung autoritärer politischer Systeme und das Fehlen von Anreizen für eine Diversifizierung der Wirtschaft. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts begann sich wieder eine positivere Beurteilung des Ressourcenabbaus und Verkaufs durchzusetzen.

Stefan Peters setzt sich in seinem Rentenkonzept für eine erweiterte Herangehensweise ein, etwa dadurch, dass die ökologischen Auswirkungen mit berücksichtigt werden, was die aktuellen Debatten zum Thema weitgehend ausklammern (S. 108 ff). Auch kritisiert er die von rationalen, also westlichen Entwicklungsidealen geprägte Herangehensweise der meisten Autor*innen, was sich dann auch in entsprechenden Handlungsempfehlungen zur Überwindung der Entwicklungshemmnisse niederschlägt.

Ein wichtiger Teil der Arbeit ist die rententheoretische Analyse lateinamerikanischer Fallbeispiele, allen voran von Venezuela. Das Land ist seit den 1920er-Jahren Erdölexporteur, und die Ausfuhr sowie die Einnahmen aus dieser Aktivität beeinflussen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des Landes zutiefst (S. 139 ff). Das Land ist auf dem Subkontinent am stärksten vom Erdöl abhängig. Gleichzeitig durchlief es in der Vergangenheit verschiedene Phasen, von einer Diktatur unter Marcos Pérez Jiménez, einer relativen Stabilität zwischen 1958 und 1989, politischen Turbulenzen zwischen 1989 und 1998, einer sozialistischen Phase unter Hugo Chávez zwischen 1998 und 2013 und der politischen und vor allem ökonomischen Krise der letzten Jahre. Mit Hilfe des Beispiels Venezuela möchte Peters eine Brücke zwischen der Rententheorie und dem (Neo-)Extraktivismus schlagen und eine Neujustierung der Debatten zum Rohstoffabbau anstoßen.

Der Autor hat ein detailreiches und fundiertes Buch zu einem nach wie vor wichtigen Thema vorgelegt. Sei es der Umbau der europäischen Ökonomien hin zu grüneren Technologien oder die Zukunft von Gesellschaften des Südens: Am Verkauf oder der Nutzung verschiedener Ressourcen kommt niemand vorbei, ob in Caracas oder in Berlin. Wie der Gewinn aus den Ressourcen genutzt wird, ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung für die jeweilige Gesellschaft.

Wie in seinen früheren Büchern kombiniert Stefan Peters eine eingängige Darstellung der verschiedenen Theorien mit profundem Wissen zu den gewählten Fallbeispielen, vor allem zu Venezuela (S. 257 ff). Diejenigen, die mehr zur Beziehung von Ressourcenreichtum und der Entwicklung einer bestimmten Gesellschaft wissen wollen, haben mit Peters‘ Buch eine sehr gute Einführung in Händen. Auch über Venezuela ist hier viel zu erfahren, in erster Linie im Bezug auf den Zusammenhang zwischen dem Abbau und Verkauf des Erdöls und dem Niedergang von Staat und Gesellschaft in den letzten Jahren. Das Buch ist jedoch nicht für Neulinge beim Thema des Ressourcenabbaus und seiner Folgen geeignet. Dafür ist es zu dicht geschrieben und erfordert zumindest Grundkenntnisse der behandelten Themen.

Interessant ist der Versuch, ein Rentenkonzept zu entwerfen, das so unterschiedliche Staaten wie Venezuela oder Angola beinhaltet (S. 411 ff). Stefan Peters‘ Rentenkonzept ist ein spannender Beitrag auf dem Weg zu einer differenzierteren Rententheorie, die lokale Gegebenheiten stärker berücksichtigt.

Allerdings hätte Peters durchaus stärker auf die Grenzen nicht-westlicher, partikulärer Erklärungsweisen eingehen können, etwa die Schwierigkeit, lokale Entwicklungsbedingungen zu verallgemeinern. Die Übertragbarkeit, der Autor spricht von „Reisefähigkeit“ westlicher Modelle, wird zu Recht infrage gestellt. Allerdings gilt das ja auch umgekehrt. Wenn eine Erklärung nicht ohne Weiteres von Norden nach Süden „reisen“ kann, ohne lokale Gegebenheiten zu unterschlagen, so gilt dies durchaus auch für Reisen entlang des Äquators oder von Süden nach Norden. Zusätzlich wäre zu fragen, ob dieser Ansatz nicht auch die real existierenden Grenzen von Staaten und/oder Märkten berücksichtigen muss, jenseits seiner Kritik an eurozentrischen Ansätzen. Sind also Staaten, bei all ihrer Unterschiedlichkeit, überhaupt in der Lage, ganz neue und andere Entwicklungswege einzuschlagen, bei gleichzeitig fortwährender Einbindung in den Weltmarkt und seine Gesetze? Peters‘ Konzept der Rentengesellschaft verspricht einen neugierigen und kontextsensiblen Beitrag zu dieser Diskussion und wird diesem Anspruch auch gerecht.

Es bleibt zu hoffen, dass das Buch weitere Arbeiten zum Thema inspiriert, die den Gegensatz zwischen Ressourcenfluch und Ressourcensegen zum Ziel haben. Denn das Thema des Ressourcenabbaus wird die Menschen zu ihrem Vor- oder Nachteil sicherlich noch lange beschäftigen.