ila

Mojito, Strand und Injektion

Neues aus dem Forschungslabor: Der cubanische Impfstoff Soberana02 weckt Hoffnungen

Etwas pathetisch klingt der Name des weit fortgeschrittenen cubanischen Coronaimpfstoffs Soberana02. Auf Deutsch: Souverän02. Vielleicht haben sich Cubas Forscher*innen am russischen Beispiel von Sputnik 05 orientiert. Sicher ist jedoch, dass dieser Impfstoff und weitere Präparate gegen Covid-19 in den letzten Monaten in Havanna entwickelt worden sind. Cubanische Forscher*innen sind somit auf dem besten Weg, Cubas Ruf als Forschungsstandort des globalen Südens aufzupolieren.

Knut Henkel

Wir Cubaner werden Impfstoffe haben“, lautet die Ankündigung von Dagmar García Rivera auf Twitter. Die Forschungsdirektorin des Finlay-Instituts weiß, wovon sie spricht, denn das Wissenschaftszentrum im Westen der cubanischen Hauptstadt konzentriert sich auf die Impfstoffforschung und sorgt im Anschluss auch für dessen Herstellung. Vier Präparate gegen Covid-19 haben cubanische Forscher*innen in der Pipeline. „Soberana02“ heißt der Impfstoff, der derzeit erste positive Schlagzeilen macht.

Die klinischen Tests der Phase II sind in Havanna mit insgesamt rund 900 Freiwilligen am 22. Dezember angelaufen. Die WHO ist informiert und hat den cubanischen Impfstoff bereits im November auf ihre Seite über laufende Impfstoffprojekte aufgenommen. Das Finlay-Institut hat die vorklinischen Studien (Phase I) als positiv bewertet, ist auch mit den bisherigen klinischen Tests der Phase II zufrieden, sodass die Vorbereitungen für die Phase III bereits laufen. Die sollen im Februar im Iran stattfinden. Die nötigen Verträge für die Kooperation wurden Anfang Januar zwischen den Verantwortlichen des Finlay-Instituts und ihren Kollegen des Pasteur-Instituts im Iran unterzeichnet. Dort sollen 150 000 Menschen testweise geimpft werden, was in Cuba angesichts von landesweit bisher rund 23 000 Infizierten (Stand 27. Januar) keinen Sinn ergibt. Das Infektionsrisiko ist schlicht nicht hoch genug, weshalb auf den Iran, wo zum selben Zeitpunkt knapp 1,4 Millionen Infizierte nachgewiesen wurden, ausgewichen wird.

Wie schnell Phase III abgeschlossen werden kann, steht zwar noch nicht fest, aber in den cubanischen Forschungsinstituten im Westen Havannas, die mit Produktionsanlagen ausgestattet sind, ist die Produktion von 100 Millionen Dosen bereits angelaufen. „Wir organisieren unsere Produktionskapazitäten neu, weil wir wirklich eine große Nachfrage nach dem Impfstoff haben und uns darauf vorbereiten müssen“, so Vicente Vérez, Direktor des Finlay-Institutes, gegenüber in Havanna akkreditierten Journalist*innen am 22. Januar 2021. Ziel sei es nicht nur, die eigene Bevölkerung im Jahr 2021 zu impfen, sondern auch interessierte Nationen wie Vietnam, Iran, Venezuela, Pakistan und Indien mit Soberana02 beliefern zu können, so Vérez Ende Januar.

Dabei habe der cubanische Impfstoff Vorteile. Größere Nebenwirkungen seien nicht aufgetreten, weil der Impfstoff nicht das lebende Virus enthalte, sondern nur Teile davon. Zudem müsse Soberana02 nicht extra gekühlt werden wie mehrere der bisher auf dem Markt verfügbaren Impfstoffe großer Pharmakonzerne, ein Vorteil gerade für Länder des Südens, wo sich Kühlketten oft nur schwer aufrechterhalten lassen und wo die cubanische pharmazeutische Forschung und Industrie einen guten Ruf genießt. Cuba versteht sich traditionell als medizinisch-pharmazeutischer Forschungsstandort im Dienste des globalen Südens. So formulierte es einst auch die 2016 verstorbene Revolutionsikone Fidel Castro.

Daran hat sich nichts Wesentliches geändert, wenn man den Worten des Direktors des Finlay-Institutes Glauben schenken darf. Cubas Strategie bei der Kommerzialisierung sei eine Kombination aus Menschlichkeit und den Auswirkungen auf die Weltgesundheit. „Wir sind kein multinationaler Konzern, wo die Rendite über allem steht. Unser Ziel ist es, mehr Gesundheit zu fördern“, so Vérez gegenüber der argentinischen Tageszeitung Página 12. Klare Worte.

Auch der Repräsentant der Weltgesundheitsorganisation in Cuba, José Moya, zeigt sich erfreut über die Fortschritte und die Tatsache, dass Cuba den ersten Impfstoff in Lateinamerika vorweisen könne, für die Region, die sehr hohe Infektions- und auch Todeszahlen vermeldet, ein Hoffnungsschimmer. Länder wie Guatemala und Honduras haben, anders als Panama oder Brasilien, wo Tests der Phase III stattfanden, kaum Impfstoffe der Pharmakonzerne zu erwarten, weil die Regierungen entweder nur über knappe Ressourcen verfügen oder weil die Verantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung eher rudimentär ausgebildet ist.
Mit dem Impfstoff Soberana02 sind in Cuba allerdings auch bestimmte Hoffnungen verbunden, denn mit dem Einbruch des Tourismus, den US-Sanktionen und der laufenden Währungsreform (siehe Artikel auf S. 30) stellt sich die ökonomische Situation des Landes als verheerend dar. Daran könnte sich mit Soberana02 sowie den drei weiteren Impfstoffen, Soberana01, Mambisa und Abdala, die sich allesamt in Tests befinden, etwas ändern.

Reisen nach Cuba, um sich impfen zu lassen, sind eine neue Option, wie ein Telesur-Video von Ende Januar zeigt, wo Finlay-Direktor Vicente Vérez für Mojito, Strand und Injektion wirbt. Das mutet etwas verzweifelt an, nimmt aber auch den biotechnologisch-pharmazeutischen Forschungssektor der Insel in den Fokus, der zu Beginn der 1980er-Jahre gepuscht wurde, um Interferone zu produzieren. Das damals als Heilsbringer in der Krebstherapie geltende Präparat haben die Cubaner*innen auch heute noch im Angebot. Eines, das Interferon alpha 2b, wurde in China auch in der Therapie von Covid-19-Patient*innen eingesetzt. Die Forschungsinstitute haben in den letzten drei Dekaden eine Reihe von Präparaten hervorgebracht, die durchaus Potenzial haben, darunter ein Hepatitis-B- und ein Meningitisimpfstoff, diverse Krebsmedikamente und Diagnosepräparate sowie Medikamente und Therapeutika zur Versorgung von Brandwunden, Schuppenflechte und einiges mehr. Auch an einem HIV-Impfstoff wurde lange gearbeitet. Allerdings haperte es in der Vergangenheit oft bei der Kommerzialisierung der Produkte. Kooperationen mit der Insel gelten als schwierig, nicht zuletzt wegen des US-Embargos, das in den letzten Jahren mehrfach verschärft wurde. Die cubanische Bürokratie gilt aber auch als erschwerender Faktor. Unstrittig ist jedoch, dass die Markteinführung eines Präparats kostspielig ist. Und genau das kann sich die chronisch klamme Insel schon lange nicht mehr leisten.

Gleichwohl generiert das Land rund 500 Millionen US-Dollar an Einnahmen aus dem biotechnologisch-pharmazeutischen Sektor, so der cubanische Finanzexperte Pavel Vidal. „Das Potenzial ist da, aber die Hürden beachtlich.“ Dennoch sieht er im Ausbildungsniveau und in der flächendeckenden Präsenz von Gesundheitseinrichtungen die wichtigsten Gründe dafür, weshalb Covid-19 in Cuba bisher mehr oder minder unter Kontrolle scheint, auch wenn die Zahlen seit Mitte Januar 2021 nach oben gehen.

Das soll sich alsbald mit den ersten Impfungen ändern, die in Cuba spätestens ab Juni 2021 durchgeführt werden sollen. Ziel ist es, die erste Nation mit einer komplett durchgeimpften Bevölkerung zu sein.