Weg mit dem neoliberalen Neokolonialismus!
Man mag das Wort Freihandelsabkommen (englisch abgekürzt: FTA) schon gar nicht mehr in den Mund nehmen, sogleich schiebt sich die Frage in den Vordergrund, ob solche rechtlich bindenden Vereinbarungen in der Ära Trump nicht ohnehin obsolet geworden sind. Was ist aus der Prämisse geworden, dass Freihandel, so wie bislang in Abkommen festgehalten, eigentlich schon immer zu bekämpfen war? Sie traut sich heute kaum noch auf die Bühne. Schließlich ist Freihandel auf einmal ein Synonym für Demokratie geworden. Und die wollen wir ja alle verteidigen. Dass diese Gleichsetzung falsch, vielmehr seit Erfindung der Abkommen das Gegenteil der Fall ist – was der trampelnde Trump sicher nicht in seinem Begründungskatalog schreiben würde –, zeigt der Mexikaner Manuel Pérez Rocha in seinem neuen Buch „Apuntes altermundistas“ haarklein auf.
Der Titel ist zielführend: „altermundistas“ klingt nach „Eine andere Welt ist möglich“. „Apuntes“ (Anmerkungen) deutet an, dass es um gut verdauliche Häppchen geht, Zeitungsartikel eben, ist aber zu bescheiden für die gut recherchierte Beweisführung, die der Autor in leicht lesbaren Klartext zu bringen wusste. Das Buch versammelt Artikel des Forschers und Aktivisten Manuel Pérez Rocha, die zwischen 2021 und 2024 in der Meinungssparte der mexikanischen Tageszeitung La Jornada erschienen. Pandemie und Postpandemie bedeuteten also für die Freihandelsabkommen, die bei Manuel Pérez Rocha auch mal „Freiplünderabkommen“ („tratados de libre despojo“) heißen, kein Innehalten, geschweige denn Umdenken.
Der Band beginnt mit dem effektivsten Besteck zur Zerlegung des Gegners (der in Abkommen „Partner“ genannt wird): den BITs, also den Bilateralen Investitionsschutzabkommen. Die Ära der BITs begann 1959, als die BRD das erste Abkommen dieser Art mit dem erst 1947 unabhängig gewordenen Pakistan abschloss. Niemand sollte in Pakistan auf die Idee kommen, Anlagen deutscher Konzerne durch Gesetze, Tarife, Verbote oder ähnlich Wirkendes zu schmälern. Die Keule heißt Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Die verhängt ein internationales Schiedsgericht, das zuvor von einem sich betroffen fühlenden Unternehmen angerufen wurde. Zu dem Zweck ist bei der Weltbank das „ICSID“ (spanisch CIADI) angesiedelt1; das entsprechende Schiedsgericht DSB bei der WTO ist seit Jahren durch die Haltung der USA lahmgelegt.
Die Höhe der im Raum stehenden Zahlungsaufforderungen an unterschiedliche Staaten macht schwindelig. Manuel Pérez Rocha geht in seinen Artikeln immer wieder faktenreich sowie mit weiterführenden Links versehen auf dieses Thema ein. Und er nennt Ross und Reiter („Nord-Konzern verklagt Süd-Regierung“). Seit die BITs in den neueren Freihandelsabkommen verankert worden sind, gehen weltweit gewonnene politische Spielräume für Regierungen und Parlamente dauerhaft verloren – zugunsten privater Konzerne und deren Profitinteressen. In den Handelsverträgen der Europäischen Union heißt das Instrument ISDS. Warum, fragt Pérez Rocha rhetorisch, gelten BITs/ISDS nicht innerhalb der EU und wurden im NAFTA-Nachfolgevertrag T-MEC zwischen Kanada und den USA gestrichen, nicht aber für Mexiko?
Klagen wegen „indirekter Enteignung“
Der Mexikaner Pérez Rocha hat nicht nur die neoliberalen Verstrickungen seines Landes im Blick („29 BITs und elf FTAs, eines der sechs meistverklagten Länder der Welt.“). Er zeigt, wie das modernisierte Freihandelsabkommen mit der EU mit seinem integrierten BIT die Zwangsjacke noch enger schnüren wird, aber auch, dass der Süden überall geplündert wird. Kläger sind vor allem Unternehmen aus dem Bergbau- und Energiebereich, einschließlich solcher für erneuerbare Energien, die seltene Mineralien abbauen, ebenso Pharmakonzerne. Im Fadenkreuz stehen auch öffentliche Dienstleistungen. Die Begründung „indirekte Enteignung“ zieht immer da, wo Umwelt- oder Sozialgesetze Profitaussichten schmälern. Die zunehmend autoritären Regierungen in Lateinamerika spielen mit, auch weil Drehtüren zu lukrativen Jobs in der Privatwirtschaft locken. Auf Rohstoffausbeutung ausgerichtete Wirtschaftskurse bieten eine offene Flanke. Allein zwischen 2020 und 2021 gingen beim ICSID 72 neue Fälle ein: Nord-Konzerne gegen Länder des Südens. Bis Ende 2024 hatte allein Mexiko ganze 30 Klagen beim ICSID am Hals, mit astronomischem Streitwert. Eine neuere Methode zur Einschüchterung von Seiten der Konzerne besteht darin, unbequeme Umwelt-, Wasser- oder Klimaschützer*innen gerichtlich anzuzeigen.2 Es lohnt, sich die zahllosen Beispiele, auch zu Steuerhinterziehung, zu Gemüte zu führen, um abzuschätzen, wohin das Geld fließt und welche Kräfte das stoppen können, ja müssen. Sonst werden sich Klimawandel, soziale Ungleichheit und Abwehr von Migrant*innen weiter verschärfen, sagt Manuel Pérez Rocha. Er empfiehlt ein Ende des Wachstumswahns und eine Aufkündigung aller FTAs und BITs. Freilich nicht à la Trump, sondern um Regeln für Menschenrechts- und Umweltschutz sowie Abbau von Ungleichheit auszugestalten. Genügend Impulse von Seiten der betroffenen Gemeinschaften zählt Pérez Rocha auf.
Immer wieder gibt es Kolumnen zu Letelier-Moffitt-Preisträgern3 des Institute for Policy Studies (IPS), dem auch Manuel Pérez Rocha angehört. Der Menschenrechtspreis ist ein Schutz. Trotzdem wurden einige Preisträger ermordet. Der Band schließt mit einem Lichtblick, nämlich dem Freispruch von fünf Wasserrechtsverteidigern von Santa Marta in El Salvador, die 21 Monate in Untersuchungshaft verbringen mussten. Ein Sieg für alle, die gegen Bergbau, in diesem Falle drohenden Goldabbau, kämpfen. Aber eben nur ein Etappensieg. Auch daher ist es gut, dass das Buch ohne weiteres fortgeschrieben werden kann, da es aus dem Netz herunterladbar ist. Sicher werden Kolumnen ab 2025 angefügt werden. Und sicher wird wieder der Zusammenhang von Menschenrechtsverletzungen und ausbeuterischen Wirtschaftsregimen Thema sein. Besonders gespannt aber darf man sein, wie die Kolumnen Trumps Wüten gegen alle Regeln betrachten.
- 1. ICSID: International Centre for Settlement of investment Disputes. Außer Brasilien und Cuba sind alle Länder Lateinamerikas Mitglied des ICSID, Mexiko trat 2018 bei.
- 2. Sogenannte SLAPP-Klagen: „Strategic Lawsuit Against Public Participation“
- 3. Der Menschenrechtspreis erinnert an Orlando Letelier, Diplomat und Minister der Allende-Regierung, der 1976 in Washington zusammen mit seiner Kollegin Ronni Moffitt ermordet wurde.
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