Christlich mit Krone
Es geht doch nichts über Familie. Der Opa Finanzminister Hitlers, der Cousin Chefstratege einer reaktionären Gesellschaft, die die Monarchie zurückwill. Die Rede ist von Beatrix von Storch. Sie und ihr Ehemann sind zentrale Bindeglieder zwischen der deutschen AfD und brasilianischen rechtsextremen Akteuren rund um die Familie Bolsonaro. Und sie sind nicht die einzigen.
Bei einem Mittagessen im Januar dieses Jahres in den USA hält Steve Bannon, ehemaliger Berater von Donald Trump und Stratege der globalen extremen Rechten, auf einer improvisierten Bühne eine Rede. Umgeben von Ultrakonservativen aus aller Welt, die aus Anlass von Trumps Wahlsieg zusammengekommen sind, feiert er die „globalen Siege“ seines politischen Lagers. Mit schräg nach oben erhobenem rechtem Arm dankt er der angereisten deutschen Delegation der AfD.
Im Anschluss ehrt er Jair Bolsonaro, den ehemaligen Präsidenten Brasiliens, der vom Obersten Wahlgericht des Landes wegen Machtmissbrauchs und des rechtswidrigen Einsatzes staatlicher Kommunikationsmittel verurteilt wurde und bis 2030 nicht mehr kandidieren darf. Bolsonaro konnte an der Feier nicht teilnehmen: Wegen Fluchtgefahr wurde ihm der Reisepass entzogen. Aktuell läuft ein Verfahren gegen ihn, weil er im Oktober 2022 einen Staatsstreich gegen Luiz Inácio Lula da Silva mitgeplant haben soll, nachdem der die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte. Der von Bolsonaro-nahen Politiker*innen und Militärs geplante Staatsstreich sah unter anderem die Ermordung Lulas, seines Vizepräsidenten Geraldo Alckmin sowie des damaligen Präsidenten des Obersten Bundesgerichts, Alexandre de Moraes, vor. Bei der Ehrung ruft Bannon schließlich Eduardo Bolsonaro auf die Bühne, den Sohn des Ex-Präsidenten und Abgeordneten im brasilianischen Parlament. Er verkündet, dieser werde „in nicht allzu ferner Zukunft“ Präsident Brasiliens sein.
Jair Bolsonaro regierte Brasilien von 2018 bis 2022. Obwohl er bereits seit rund 20 Jahren in der Politik aktiv war, inszenierte er sich im Wahlkampf als Außenseiter und moralischer Verteidiger konservativer Werte. Die evangelikalen Kirchen unterstützten seinen Wahlkampf und schließlich seine autoritäre Regierung. Bolsonaro ist bekennender Verteidiger der Militärdiktatur (1964-85), immer wieder ehrte er bekannte Folterer. Während seiner Amtszeit attackierte er die Presse und beendete staatliche Programme für Frauen und LGBTQIA+-Personen. Sein Sohn Eduardo Bolsonaro gilt als noch radikaler – und womöglich gefährlicher – als sein Vater, nicht zuletzt wegen seiner weitreichenden internationalen Verbindungen.
Christliches Kontakteknüpfen
Die Beziehungen zwischen der extremen Rechten in Deutschland und Brasilien haben sich in den vergangenen Jahren vertieft. Die Nachrichtenagentur Agência Pública deckte auf, dass im März 2021, mitten in der Corona-Pandemie, Waldemar Herdt nach Brasilien reiste. Das Mitglied des christlichen Flügels der AfD traf sich dort mit Politiker*innen und evangelikalen Pastoren. Dabei besuchte er auch den „Templo de Salomão“, den Hauptsitz der Universalkirche vom Reich Gottes (Igreja Universal do Reino de Deus). Mit 100 000 Quadratmetern ist es die größte evangelikale Kirche Lateinamerikas. Gegründet von Bischof Edir Macedo ist die Igreja Universal do Reino de Deus eine der einflussreichsten und reichsten neopentekostalen Kirchen Brasiliens. Sie unterhält Ableger in aller Welt, auch in mehreren deutschen Städten. In Brasilien betreibt die Kirche außerdem eine eigene Partei – die Republikaner – und stellt Bischöfe und Pastor*innen als Parlamentsabgeordnete. Bischöfe der Igreja Universal wurden mit zahllosen Skandalen und mutmaßlichen Straftaten in Verbindung gebracht, von Geldwäsche bis hin zu sexuellem Missbrauch an Kindern.
Der Plan, nach Brasilien zu reisen, entstand offenbar bereits 2019 beim „National Prayer Breakfast“ im Weißen Haus in Washington, einer jährlichen Veranstaltung, bei der sich christliche Politiker*innen und Kirchenvertreter*innen aus aller Welt versammeln. In jenem Jahr nahmen zehn deutsche Abgeordnete teil, darunter auch Waldemar Herdt. Im Gespräch mit brasilianischen Politiker*innen sei ihm damals bewusst geworden, dass die AfD bislang kaum Verbindungen nach Lateinamerika unterhielt.
Bei seinem Besuch in Brasilien 2021 traf sich Herdt auch mit ultrakonservativen Abgeordneten, die im brasilianischen Nationalkongress den Rechteabbau vorantreiben und teils wegen verschiedener Straftaten unter Verdacht stehen oder standen. Dazu gehört Marcelo Crivella von der Partei Republikaner, Bischof der Universal-Kirche und ehemaliger Bürgermeister von Rio de Janeiro. Ebenfalls dabei: die Bundesabgeordnete Bia Kicis, radikale Unterstützerin Bolsonaros und eine der lautstärksten Gegner*innen von Abtreibungs- und LGBTQIA+-Rechten im Parlament, sowie der evangelikale Pastor und Bundesabgeordnete Marco Feliciano. Er ist eine Schlüsselfigur an der Schnittstelle von Kirche und Politik und bekannt für seine homofeindlichen Aussagen. Crivella wird verdächtigt, sich während der COVID-19-Pandemie der Vetternwirtschaft und Schädigung der öffentlichen Verwaltung schuldig gemacht zu haben. Bia Kicis wurde bereits mehrfach wegen der Verbreitung von Fake News verklagt. Marco Feliciano wiederum wurde wegen Hassrede verurteilt, wegen Transfeindlichkeit angezeigt und der sexuellen Gewalt beschuldigt (das Verfahren wurde eingestellt). Geplant war auch ein Treffen mit Eduardo Bolsonaro. Das kam jedoch nicht zustande, da er sich zu diesem Zeitpunkt im Urlaub befand.
Hätte Brasilien doch wieder einen König
Im Juli desselben Jahres reiste dann die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch nach Brasilien, in Begleitung ihres Ehemanns, des deutsch-chilenischen Ökonomen Sven von Storch. Anders als bei Waldemar Herdts Besuch war ihre Reise breit in den Medien präsent und löste öffentliche Empörung aus – vor allem, weil Beatrix von Storch die Enkelin von Hitlers Finanzminister ist. Sie traf sich mit dem damaligen Präsidenten Jair Bolsonaro, mit Eduardo Bolsonaro sowie weiteren ultrakonservativen brasilianischen Abgeordneten. Auf ihren Social-Media-Kanälen veröffentlichte sie Fotos mit den Bolsonaros und erklärte, ihre Partei wolle „ihre Verbindungen stärken und unsere christlichen und konservativen Werte auf internationaler Ebene verteidigen“. In einem weiteren Post betonte sie: „Neben den USA und Russland ist Brasilien ein globaler strategischer Partner für uns, mit dem wir gemeinsam eine Zukunft aufbauen wollen.“
Beatrix und ihr Ehemann Sven von Storch gelten laut einem Beitrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung als die aktivsten Figuren in der Verbindung zwischen der deutschen und der brasilianischen extremen Rechten. Beatrix von Storch leitete über Jahre den deutsch-brasilianischen Parlamentsausschuss im Bundestag, sie und ihr Mann sollen enge Beziehungen zur Familie Bolsonaro gepflegt haben. Diese übt auch nach dem Machtverlust noch immer erheblichen Einfluss auf den Neofaschismus in Brasilien aus, sowohl innerhalb der Institutionen als auch auf der Straße.
Der Soziologe Andreas Kemper verweist darauf, dass die Familie von Storch seit mindestens 20 Jahren Verbindungen zur brasilianischen Gesellschaft zur Verteidigung von Tradition, Familie und Privateigentum (TFP) unterhält. Dieses christlich-aristokratische Netzwerk versteht sich als Speerspitze einer konservativen „Gegenrevolution“ und strebt die Wiederherstellung mittelalterlicher hierarchischer Strukturen an. 1960 in Brasilien gegründet, stützte die TFP das damalige rechte Militärregime. Sie setzte sich dafür ein, die Agrarreform zu verhindern und die Monarchie wieder einzuführen. Heute gibt es zahlreiche TFP-Ableger in den USA und Europa. Ulli Jentsch und Niklas Franzen schreiben, einer der wichtigsten Ideologen der Bewegung sei Paul von Oldenburg, ein Cousin von Beatrix von Storch. Er leitet das Brüsseler Büro der TFP Europa.
Die AfD – auch international normalisiert
Als Jair Bolsonaro im Oktober 2022 die Präsidentschaftswahl gegen Lula da Silva verlor, verbreitete Beatrix von Storch in den sozialen Netzwerken unbelegte Behauptungen über Wahlbetrug. Nach einer weiteren Brasilienreise im Juni 2023 griff sie in ihrer Funktion als Mitglied der deutsch-brasilianischen Parlamentariergruppe im Bundestag den Präsidenten des Obersten Wahlgerichts, Alexandre de Moraes, auf Instagram an und bezeichnete ihn als den „größten Verbrecher Brasiliens“. Die Äußerung löste einen diplomatischen Eklat aus. Inzwischen gehört von Storch nicht mehr der deutsch-brasilianischen Parlamentariergruppe an.
Der Wunsch von Beatrix von Storch und Waldemar Herdt nach einer transnational vernetzten radikalen Rechten ist nicht neu, aber er wird zunehmend Realität. Kongresse, Konferenzen und Treffen, bei denen sich Politiker*innen, Geistliche und Vertreter*innen konservativer Organisationen mit teils faschistischen Tendenzen austauschen, finden monatlich in Europa, den USA und Lateinamerika statt. Bislang war die AfD in diesen Kreisen wegen zahlreicher Vorfälle, in denen sich Parteimitglieder offen extremistisch oder geschichtsrevisionistisch in Bezug auf den Nationalsozialismus äußerten, weitgehend unerwünscht. Doch je mehr die Partei in Deutschland an Popularität gewinnt, desto stärker knüpfen Akteure wie Steve Bannon, Elon Musk und die Bolsonaros Verbindungen zu dieser Strömung der deutschen Rechten. Wir leben in finsteren Zeiten.
Andrea Dip ist Investigativjournalistin, Autorin des Buches „In Whose Name? The Evangelical Caucus and its Project for Power” und Mitglied des Projekts Research Against Global Authoritarianism (ReGA). Ihr Fokus liegt auf dem Aufstieg des christlichen Fundamentalismus in Lateinamerika sowie auf der europäischen extremen Rechten.
Übersetzung: Mirjana Jandik