An vorderster Front
Musik ist für ihn Agitation. Vor allem aber: Antifaschismus. Mit dieser Haltung rockt der baskische Musiker Fermin Muguruza die Bühnen, mittlerweile seit 40 Jahren. Allerdings hat ihm seine dezidierte Positionierung schon Dutzende abgesagte Konzerte in Spanien beschert, Bombendrohungen von Faschisten und immer wieder massive Polizeipräsenz rund um Auftrittsorte, zuletzt am 30. Mai in Mexiko-Stadt: Fermin musste sein Konzert nach wenigen Songs abbrechen, da 200 schwer bewaffnete Kräfte von Armee, Nationalgarde und Polizei das Multiforo Alicia gewaltsam zu stürmen drohten. Ein beispielloser Vorfall im 30-jährigen Bestehen des alternativen Konzertsaals und ein Zeichen für die fortschreitende Militarisierung in Mexiko.
Aktuell ist Fermin Muguruza nach seiner „No More Tour“ 2013 doch noch einmal mit großer Band auf Tour, Mitte Mai spielte er seinen einzigen Deutschland-Gig im Berliner SO36. Für das musikalische Vorglühen war das DJ-Kollektiv Lucha Amada zuständig. Und das hat zu Fermins Bühnenjubiläum einen formidablen Doppelsampler herausgebracht.
In 34 Songs wird dem 62-jährigen Musiker gehuldigt, der 1984 zusammen mit seinem Bruder Iñigo die Ska-Punk-Band Kortatu gründete. An den 2019 verstorbenen Iñigo wird auf der Tour immer wieder erinnert. Zunächst sangen die Brüder auf Spanisch, 1988 wagten sie es, ein komplettes Album auf Baskisch herauszubringen. Im selben Jahr, auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, löste sich Kortatu auf. Ab 1990 startete das Nachfolgeprojekt Negu Gorriak, eine der wegbereitenden Bands des Rock Mestizo. Zur musikalischen Basis Ska und Punk stoßen Reggae, Dub, Hiphop und diverse Latinorhythmen hinzu. Negu Gorriak brachte Fermin Muguruza und seine antifaschistischen und antikapitalistischen Botschaften auf Bühnen in ganz Europa sowie in Cuba und Chiapas. Dort trafen Fermin und zwei Bandkollegen im Jahr 1996 die Zapatistas. Zurück in der mexikanischen Hauptstadt bekamen sie eine Vorladung bei der mexikanischen Polizei. Dem konnten sie nicht Folge leisten, weil sie gerade ein Konzert gaben. Nach dem Gig wurden sie verhaftet und abgeführt, der Schlagzeuger musste fünf Tage im mexikanischen Knast verbringen. Nicht zuletzt dank einer riesigen Protest- und Solidaritätsbewegung kam er frei.
Fermin Muguruzas Verbindung mit Lateinamerika und den dortigen sozialen Bewegungen zeigt sich in zahlreichen Kooperationen mit Bands wie Desorden Público aus Venezuela oder Todos tus Muertos (Argentinien). Auf dem Sampler zu Fermins Ehren geben sich einige dieser alten und neueren musikalischen Compañerxs aus Lateinamerika das Mikro in die Hand: Cuatro Pesos de Propina aus Uruguay (mit einem soliden Skapunkcover von „La linea del frente“), die Argentinier Las Manos de Filipi (mit dem rockigen „Sospechosos“), der Mexikaner Lengua Alerta, der mit La Basu einen dubbigen Cumbia-Reggae präsentiert: „Nik baditut sei“ (darin wird dem Kollektiv von Lucha Amada gedankt). Karamelo Santo aus Argentinien verpassen zusammen mit den Mapuche-Musikern von Puel Kona dem Reggae-Hit „Urrun“ einen neuen Anstrich. La Terrorista del Sabor (Mexiko) schenkt uns die flirrende Electrocumbia „Alerta Guerrilla“ und unsere Lieblingsreggaetonera Chocolate Remix rappt auf Baskisch den Dub-Track „Askatasun parabolikoa“.
Die meisten Coverversionen auf dem Sampler sind im stabilen Ska-Punk gehalten, hin und wieder tönt es ungewöhnlicher: „Ipurbegia“ überrascht als Salsa-Stück, und Awakate aus Murcia lehnen sich mit ihrer Kirmestechnoversion von „Mierda de Ciudad“ weit aus dem Fenster. Neuentdeckungen sind The Salsa Punk Orkestra aus Katalonien mit einer umwerfenden Neuinterpretation von „Kolore bizia“, Hentrenamientoh aus Chile mit einer bouncenden Cumbia („El último Ska“) oder La Severa Matacera aus Bogotá mit „Hipokrisiari Stop“.
Ab dem 13. Juni hier: https://lalineadelfrente.bandcamp.com/, ab Anfang Juli als CD oder Vinyl in Läden und bei jumpup.de