Zwischen Hoffen und Bangen
Wir spulen ein bisschen vor: Es ist der 28. Mai 2025. Ein besonderer Tag für den Andenbauer und Bergführer Saúl Luciano Lliuya aus Peru. Knapp zehn Jahre, nachdem Saúl Klage bei einem deutschen Zivilgericht gegen den Energiekonzern RWE eingereicht hat, hat das Oberlandesgericht Hamm eine Entscheidung getroffen. Durch das Gletscherschmelzen steigt der Wasserpegel des Palcacocha-Sees kontinuierlich an. Womöglich droht eine Flutkatastrophe für Saúl und 50 000 Bewohner*innen der Stadt Huaraz. Saúl kämpft daher für mehr Aufmerksamkeit und Schutzmaßnahmen, die anteilig durch RWE finanziert werden sollen. Lucy Weiler hat vor Bekanntgabe der Gerichtsentscheidung mit Saúl Luciano Lliuya persönlich gesprochen.
Der Prozess dauerte knapp zehn Jahre. Im Mai soll ein richterlicher Beschluss gefasst werden, ob RWE zur Verantwortung gezogen wird. Wie fühlen Sie sich nach diesen zehn Jahren, und wodurch konnten Sie so viel Durchhaltevermögen zeigen?
Die Hoffnung auf Gerechtigkeit hat mich immer angetrieben. Die Hoffnung darauf, dass sich RWE zu seiner Verantwortung bekennt und uns darin unterstützt, Huaraz und die Menschen hier zu schützen. Schließlich gehört RWE zu den Top CO2-Emittenten Europas. Da Gerichtsprozesse in Peru oft sehr lange dauern, war es für mich nicht sonderlich schwer, Geduld aufzubringen. Die Leute von Germanwatch, die mich von Beginn an mit Beratungen und Anwält*innen unterstützten, haben es überhaupt möglich gemacht, so lange zu kämpfen.
Wie hat Ihre Klage Ihr Leben in Huaraz verändert?
Wie man so schön sagt: Das Leben geht weiter. Mein Leben würde ich fast als normal bezeichnen: Ich bin immer noch Bauer und Bergführer in den Anden für Tourist*innen und liebe diesen Beruf. Was sich verändert hat, sind die Interviews mit Journalist*innen aus aller Welt und dass sie mich manchmal hier besuchen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Es sind so gesehen zwei Leben: als Bewohner von Huaraz und als Umweltaktivist.
Wie steht es aktuell um den Gletscher und den Palcacocha-See?
Allgemein gehen die Gletscher aufgrund des Klimawandels und der globalen Erwärmung zurück. Das erleben wir hier in Huaraz täglich hautnah mit. Unser Trinkwasser erhalten wir aus dem Fluss Cojup, der wiederum aus dem Palcacocha-See aus den Bergen gespeist wird. In Dürrephasen wird das Wasser in diesem Fluss weniger. Dementsprechend gibt es weniger Trinkwasser für uns. Das führt teilweise zu Konflikten, denn wir Bauern nutzen das Wasser größtenteils für die Landwirtschaft im Hochgebirge. Die Bewohner*innen von Huaraz sind angesichts dieser Situation besorgt. Kontrollieren können wir das Schmelzen des Gletschers nicht mehr. Die örtlichen Behörden versuchen, die Risiken einzudämmen, die durch das Ansteigen des Wasserpegels des Palcacocha-Sees entstehen. Das Ziel ist, den Pegel um drei Meter zu senken. Somit würde bei einer möglichen Flutwelle weniger Schaden angerichtet werden. Wenn der See bei seinem natürlichen Wasserstand bleibt, geht davon eine große Überschwemmungsgefahr aus. Die Tourismussaison in unserer Region beginnt nächsten Monat. Aktuell lernen wir in Workshops, wie Rettungsmaßnahmen in den Bergen ablaufen.
Als Bergführer kommen Sie mit internationalen Tourist*innen in Kontakt. Wie schätzen Sie die Tourist*innen ein? Sind sie sich über den Klimawandel und dessen Folgen bewusst?
Bei den Bergführungen möchte ich die Tourist*innen über den Klimawandel und dessen Folgen informieren. Einige Tourist*innen sind besser über den Klimawandel aufgeklärt als die Menschen hier. Wenn ich mit ihnen zum Gletscher aufsteige, sehen sie mit eigenen Augen, welche Spuren das Schmelzen des Gletschers hinterlassen hat. Man kann erkennen, wo er zuvor war und jetzt geschmolzen ist. Mit eigenen Augen die Folgen zu sehen, ist etwas anderes, als Fotos anzuschauen oder nur davon zu hören. Das macht nicht nur sie traurig, sondern auch mich. Jedes Mal.
Welches Gefühl hat bei Ihnen in den letzten zehn Jahren überwogen? Hoffnung oder Sorge?
Es ist eher eine Mischung der beiden Gefühle. Letztendlich sind es die Hoffnung und die Unterstützung, die ich durch Journalist*innen und Germanwatch erfahren darf, die mich antreiben. Dieser Prozess ist der Versuch, indirekt das Gletscherschmelzen zu verlangsamen.
Angenommen, das Gericht entscheidet, dass RWE nicht verantwortlich ist. Waren es diese zehn Jahre Prozess dennoch wert?
Wir fordern von RWE, dass das Unternehmen seine Verantwortung anerkennt und mit 17 000 Euro einen Schutz für den Palcacocha-See mitfinanziert. Diese Finanzierung ist keine komplette Entschädigung, sondern nur ein kleiner Teil von den notwendigen Schutzmaßnahmen, es ist eher ein symbolischer Wert. Sollten wir verlieren, habe ich dennoch die Hoffnung, dass es in Zukunft weitere Klagen gibt und mehr Betroffene Druck machen. Und dass schließlich die Hauptakteure für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden können. Allein, dass die Klage für so viel mediale Aufmerksamkeit gesorgt hat, ist ein Gewinn.
Sollten Sie den Prozess verlieren, würden Sie dennoch weiter für Unterstützung, Gerechtigkeit und mehr Bewusstsein für die Umwelt kämpfen? Was erhoffen Sie sich von der globalen Klimabewegung?
Ich bin ehrlich und realistisch: Ob wir gewinnen oder verlieren – die Situation des Gletschers und der Gletscher im Allgemeinen wird sich dadurch kaum verbessern. Im Gegenteil. Ich möchte dennoch auf das Gute und das Menschliche vertrauen und Zuversicht haben. Von der globalen Klimabewegung erhoffe ich mir noch mehr Aufmerksamkeit und dass weitere Klagen und Forderungen gestartet werden.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, mit RWE persönlich zu sprechen – was würden Sie gerne sagen?
Ich würde hervorheben, dass es mir um die Natur und die Sicherheit der Menschen geht und nicht darum, RWE an sich zu kritisieren. Vielmehr möchte ich mich darüber beklagen, welche Auswirkungen Huaraz und ich aufgrund der immensen Emissionen zu spüren bekommen. Mir ist klar, dass hinter RWE große wirtschaftliche Interessen stehen. Ich hingegen möchte den Fokus auf die Natur und die Konsequenzen menschlichen Handelns legen.
Wenn Sie den Prozess gewinnen würden, wie würden Sie dieses Gefühl beschreiben? Und was würden Sie insbesondere zukünftigen Generationen mit auf den Weg geben?
Wir Bauern und Bergführer in Huaraz sehen eine schwere Zukunft für all die Generationen, die kommen. Die Sorgen begleiten uns täglich. In jedem Gespräch mit Nachbar*innen und Freund*innen ist es ein Thema. Wie wird eine Zukunft ohne Gletscher sein? Daher mein Appell an alle: Seid euch darüber im Klaren, dass sich unsere Erde erwärmt. Wir müssen alle wollen, dass sich die Situation verändert. Wenn wir den Prozess gewinnen, bin ich sehr glücklich und zufrieden damit, die Verursacher*innen zur Verantwortung gezogen und aktiv etwas unternommen zu haben. Aber unabhängig davon, wie das Ergebnis im Mai ist, haben Germanwatch und ich schon einiges erreicht. Die letzten zehn Jahre waren geprägt von Sorgen und Hoffnungen. Jetzt, nachdem ich alles in meinem Rahmen Mögliche unternommen habe, hoffe ich auf ein positives Urteil.
Siehe auch das Interview zum Fall in der ila 433 vom März 2020.
Das Online-Interview führte Lucy Weiler am 14. April 2025.