Fremd bin ich und ich bin es gerne
Der DDR-Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel besang in „Corn Island“ einst seine Sehnsucht nach seiner Geliebten. Die Corn Islands sind eine zu Nicaragua gehörende Inselgruppe in der Karibik. Von Nicaragua in den kalten Norden, die DDR, reiste 1984 Carlos Ampié Loría. Über seine Geschichte ist jetzt ein Buch erschienen. Der Titel bedient sich bei Liedermacher Wenzel: „Fremd bin ich und ich bin es gerne“ – wie der Refrain im Lied.
Auf der Leipziger Buchmesse trug der ehemalige sandinistische Aktivist, inzwischen gealtert, seine Lebensgeschichte vor. Seine Lesung begann mit dem Brief seines Freundes, der ihm die Vorzüge des Dazulernens im „unverbrüchlich“ zu Nicaragua stehenden Bruderland anpries. Zum Abschluss gab es nostalgisch tränenreich die Hymne „Nicaragua Nicaraguita“ des großen Barden Carlos Mejía Godoy.
Auf gut 400 Seiten kann man das als „autobiographisch-historischen Roman“ deklarierte Tagebuch eines jungen Sandinisten nachlesen. Nach dem Sieg der Revolution in Nicaragua bekam er einen Studienaufenthalt in der DDR angeboten. Von 1984 bis zum Zusammenbruch der DDR und der Abwahl der Sandinisten lebte er also im Bruderland, allerdings aufgrund eines „Missverständnisses“. „Als man mir den Vorschlag machte in die DDR zu gehen, war ich bereits im zweiten Semester und ich verstand, unser Betrieb schicke mich zum Studium dahin. Ein Missverständnis, an dem nicht ich und auch nicht die DDR schuld war. So paradox es klingen mag, lag es an unserem revolutionären Prozess. Alle Aufgaben sollten schnell, unbürokratisch, revolutionär erledigt werden. Ein offizielles Dokument, in dem zu lesen gewesen wäre, was ich konkret in der DDR machen sollte, habe ich nie zu Gesicht bekommen. Auf diese Weise geriet ich in diese blöde Situation, die man leicht hätte vermeiden können.“
In dem Buch werden die Gedanken und Motive eines überzeugten Sandinisten lebendig. Er hatte am Aufstand 1979 zwar nicht teilgenommen, aber sehr wohl die erste Welle der gesellschaftlichen Veränderungen erlebt und aktiv die Alphabetisierungskampagne sowie die militärische Verteidigung gegen die von den USA finanzierten Contra weitergeführt. „1980 zogen wir wieder in die Berge – diesmal mit Lehrmaterialien bewaffnet –, und in knapp einem halben Jahr reduzierten wir das Analphabetentum von fast 50 auf 12 Prozent. Wir, das waren etwa hunderttausend junge Leute. Nach Beendigung der Alphabetisierungskampagne kehrten die meisten von uns in die Klassenräume zurück. Kostenlos studieren konnten damals alle, die die Fähigkeit dazu hatten. Die Revolution hatte es möglich gemacht: Ein Studium war nicht mehr das Privileg der Kinder aus „besseren Familien“, sondern das Recht aller, die sich durch eigene Leistung einen Studienplatz verdienten.“
Fleißiges Lernen und Balzen
Prägende Stationen seines Aufenthalts in der DDR waren das Sprachausbildungszentrum Wernigerode (1984), die Facharbeiterausbildung als Funkmechaniker in Rostock (1985/87), seine Interimsbeschäftigung als Bauhelfer in Thüringen (1987/88) und Studienjahre an einer Ingenieurschule in Leipzig (1988/1990).
Ausführlich führt der ehemalige Sandinist seine Begegnungen mit den Frauen der DDR aus: Seine Schilderungen davon, wie er sich um zwischenmenschliche Kontakte bemüht, insbesondere auf der partnerschaftlichen Ebene, kann man getrost als machohaft beziehungsweise aus dem Kontext heraus nachvollziehbar werten.
Erklären musste man ihm, was mit DRÜBEN gemeint war. „Später habe ich verstanden, dass drüben viel mehr als ein Adverb, als eine Ersatzbezeichnung für das andere Deutschland oft Ausdruck von Sehnsucht war, von Neid. Von Wut auf das Hier- und nicht Drübensein, von Hass, von Gleichgültigkeit, aber auch von Ungewissheit und Unwissenheit, je nach Situation und Sprecher.“
In der nicht nur klimatisch kalten DDR wollte er alles geben, um möglichst schnell wieder der Revolution in Nicaragua dienen zu können. „Mit dem Stipendium, das wir von der DDR bekamen, konnten wir besser leben als viele Leute in unserem vom Krieg heimgesuchten Land. Dafür verlangte man von uns lediglich, dass wir fleißig lernen sollten. Fleißig lernen, damit wir nach Ablauf von drei Jahren als gut qualifizierte Fachleute nach Nicaragua zurückkehren konnten. Drei Jahre …“
Am Ende bleibt unklar, warum diese Tagebuchaufzeichnungen „Roman“ genannt werden. Der Akteur tritt mit seinem Schreibstil sowie den vielen Fotos sehr klar als er selbst zu Tage, einschließlich eines abschließenden Statements zur politischen Lage heute in Nicaragua.