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Bei Anruf Mord: Ein Geschäftsmodell der besonders giftigen Art

Feministisch und trans* inklusiv – der neue Roman von Claudia Piñeiro
Klaus Jetz

In dem Roman „Die Zeit der Fliegen“ von Claudia Piñeiro spielen Feminismus, gendergerechte Sprache, Transgeschlechtlichkeit und die Rechte von trans* Personen eine zentrale Rolle. Angesichts des Rollbacks und des Vormarsches der Antigenderbewegung in aller Welt, gerade auch im Argentinien Mileis, ein hochaktuelles Buch, das im spanischen Original bereits 2022 und nun in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Die Protagonistin Inés kennen wir bereits aus dem Roman „Ganz die Deine“ (2009). Vor 16 Jahren versuchte sie ihre Ehe zu retten und erschoss Charo, die Geliebte ihres Mannes Ernesto Pereyra. Nach all den Jahren im Gefängnis muss sie sich, wieder in Freiheit, an eine völlig veränderte, modernere Welt gewöhnen. Frauen kämpfen für mehr Partizipation und weniger patriarchale Einstellungen, LSBTIQ haben gleiche Rechte erstritten, zusammen demonstrieren sie oft und eindrucksvoll für ihre Anliegen.

Inés tut sich mit der Manca, ihrer Freundin aus dem Knast mit der abgestorbenen Hand (daher der Spitzname), zusammen, um mit ihr die Firma FFF, Frauen, Fliegen, Finale – ökologische Schädlingsbekämpfung und private Ermittlungen zu gründen. Inés ist die Kammerjägerin, die Manca die Privatdetektivin. Letztere woke, Lesbe, verliebt in Inés. Die wiederum ist konservativer, glaubt an hierarchische Strukturen im Unternehmen und „ist nicht so angetan von diesem modernen Sprachgebrauch“. Beide haben sich einen neuen Namen zugelegt: María Lamanca unter Verwendung ihres Spitznamens, Inés Experey als Ex-Frau von Pereyra.

Die beiden Frauen pflegen eine „strikte Arbeitsteilung, beraten sich aber, wenn die Fälle es erfordern, auch wenn Inés mehr über Autopsien, Forensik und Profiling weiß, als die Manca über Kakerlaken“. Durch die Zusammenlegung konnten sie die Kosten senken und sich gegenseitig unterstützen, „als es galt einen Weg zu finden, das Überleben draußen zu sichern.“ So viel zu dem ungewöhnlichen Geschäftsmodell.

Eines Tages macht eine Kundin, Susana Bonar, Inés ein verlockendes Angebot: Sie soll ihr hochwirksames Gift besorgen, mit dem ein Mensch getötet werden kann. „Eine Frau, die mir meinen Mann wegnehmen will, genau wie dir das passiert ist“, sagt ihr die Bonar und legt einen prall gefüllten Umschlag mit Dollars auf den Tisch. Inés erliegt der Versuchung und nimmt an, nicht zuletzt um der Manca, die an Brustkrebs erkrankt ist, schnellstmöglich eine Operation zu ermöglichen. Dies ist offenbar nur durch Bestechung möglich.

Der Bonar aber geht es um etwas Anderes, sie hat einen teuflischen Plan ausheckt, um den Selbstmord ihres trans* Kindes zu rächen. Jahrelang hat sie ihr Kind gegängelt und bevormundet, die Transgeschlechtlichkeit geleugnet. Die Schuld am Tod gibt sie Laura, Inés‘ Tochter, die mit ihrer Mutter nach dem Mord an Charo gebrochen, sich rührend um Bonars Kind gekümmert und dessen geschlechtliche Identität immer wieder bestärkt hat. Für wen die Bonar letztlich das Gift vorgesehen hat, soll hier nicht verraten werden.

Die Zusammenhänge und Beziehungen wirken zwar auf den ersten Blick ein wenig konstruiert, sind aber in sich stimmig. Interessant ist auch: Bei sieben der 45 Kapitel handelt es sich um Einschübe eines Chores von Feministinnen. Vorbild dafür ist der Chor in der griechischen Tragödie, etwa der Chor der Frauen in Euripides‘ Medea, der die Handlung kommentiert. Piñeiro lässt bekannte Autorinnen, Geschlechterforscherinnen oder Philosophinnen wie Marguerite Duras, Sara Ahmed oder Judith Butler zu Wort kommen und erläutert und vertieft mit entsprechenden Zitaten feministische oder trans* Themen, auch zur Frage, ob Frauen Femizide begehen, zu Flintas und TERFs. Dadurch wird der Lesefluss im Handlungsablauf etwas gehemmt, doch durch diesen literarischen Trick gelingt es Piñeiro, die Leser*innen zu nicht immer einfachen Sachverhalten aufzuklären, emotional vorzubereiten und ihnen ethisch-moralische Einsichten zu vermitteln. Andere Kapitel sind veritable Abhandlungen über Motten und Schädlingsbekämpfung oder die Kunst der Ganzkörpermassage.

Der Roman, dem es an Spannung nicht fehlt und den Silke Kleemann in bestes Deutsch übersetzt hat, ist nur scheinbar ein Krimi. Es gibt, abgesehen vom immer wieder evozierten Mord an Charo in Ganz die Deine, keine Toten, allerdings einen Mordversuch. Das Buch liefert interessante Einblicke in die Gesellschaft der argentinischen Hauptstadt, ihren Umgang mit Geschlechterfragen, Mutterschaft, streift Fragen zur sozialen Gerechtigkeit und zu Abstiegsängsten und thematisiert die ewigen Themen Liebe und Hass, Rache und Vergebung oder Hoffnung und Einsamkeit.