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Feministische Energie

Dezentrale Alternativen in Chile

Chile und Deutschland streben gemeinsam nach „nachhaltiger Rohstoffgewinnung“. Im Jahr 2019 unterzeichneten die beiden Regierungen eine Absichtserklärung für eine Energie­partnerschaft. Auch wenn das Verhältnis zuweilen kriselt, ist Chile für Deutschland ein Hauptpartner der Energiewende. Aber wenn die feministische Wissenschaftlerin und Aktivistin Francisca Fernández Droguett „nachhaltige Rohstoffgewinnung“ hört, schüttelt sie nur den Kopf: Nachhaltigen Extraktivismus kann es nicht geben, sagt sie. Dem staatlichen Energiewendeprojekt steht sie skeptisch gegenüber. Für sie liegen die Alternativen in der dezentralen Energieversorgung – und bitte in feministisch. Im Interview erklärt sie, wie beides zusammenhängt.

Anna Buhl

Du beschäftigst dich mit Dekolonisierung, Plurinationalität und Feminismus. Wie hängen diese Themen miteinander zusammen?

Der Feminismus, den wir vertreten, baut auf der Verteidigung des Wassers unserer Territorien auf. Es ist nicht die klassische Erzählung des hegemonialen, eurozentrischen, beschönigten Feminismus. Ich verwende gerne den Begriff „Feminismus mit beiden Beinen auf dem Boden“, denn uns interessiert das Erbe unserer Vorfahr*innen, die unsere Territorien verteidigten. Die haben sich wohlgemerkt nicht als Feministinnen bezeichnet, weil das eine fremde Kategorie war. Aber ihr Widerstand und ihre Lebenspraxis verweisen auf ein Erbe, das das Patriarchat als Weltsystem infrage stellt und gleichzeitig den Kolonialismus und den Kapitalismus unter Druck setzt. Plurinationalität verstehen wir als Dialog, Wissen, aber auch als gegenseitige Unterstützung zwischen verschiedenen Völkern. Aus dieser Perspektive verbinden wir Feminismus und Plurinationalität, einen bäuerlichen, gemeinschaftlichen und territorialen Feminismus im Sinne der Koexistenz und Verständigung zwischen den Völkern.

Im Kontext von Extraktivismus und Dekolonisierung sprichst du von feministischen Alternativen und einem feministischen Widerstand. Wie sieht das konkret aus?

Die feministischen Widerstände sind breit gefächert. Sie kämpfen gegen den Extraktivismus an, der auf die gleiche Weise funktioniert wie das Patriarchat. Der Schlüssel dafür ist ein gemeinschaftlicher und territorialer Feminismus. Unser Widerstand ist beispielsweise mit selbstbestimmter Ernährung verbunden. Wir wollen uns für den Erhalt des ursprünglichen, einheimischen Saatguts einsetzen, für Agrarökologie, bäuerliche Familienlandwirtschaft und für die gemeinschaftliche Verwaltung von Wasser und Energie für die Gemeinden. Es geht dabei nicht nur um die klassischen Themen des Feminismus, sondern zum Beispiel auch um die Struktur der Gemeindeverwaltung. Die besteht zum Großteil aus Männern, während die Mehrheit derer, die sich um die Gewässer kümmern, Frauen sind. Wir sehen dort eine stark sexistische Struktur, die wir anfechten müssen.

Deutschland möchte seinen Zugang zu chilenischem Lithium und Kupfer ausbauen. Welche Rolle spielt Deutschland in diesem globalen Extraktivismus­system?

Deutschland agiert als internationaler Akteur der Zerstörung und Reproduktion von Kolonialität der Natur. Deutschland ist Teil dieses Gefüges, das Territorien und Gemeinschaften ausbeutet. Wir sprechen von einer imperialen Lebensweise1, einem Lebens- und Konsumstandard auf Kosten von Natur und Menschen in anderen Weltregionen (siehe auch Seite 19). Dieses Modell hat sich leider nicht geändert. Deswegen sprechen wir auch von falschen Lösungen: Windparks, Photovoltaikkomplexe, die Bereitstellung von grünem Wasserstoff, Lithium, die Erzeugung von Ökokraftstoffen und Wasserautobahnen, die alle Lügen sind, weil sie die Kolonialisierung der Natur weiter verfestigen und von einer Profitlogik getrieben sind (siehe auch Seite 28). Die Wind- und Photovoltaikkomplexe zum Beispiel: Sie liefern angeblich mehr saubere Energie, aber letztlich tragen sie dazu bei, dass die Struktur, die bestimmt, wie viel Energie produziert und verbraucht wird, aufrechterhalten wird.

Offizielle Stellen argumentieren, dass Lithiumabbau in Chile nachhaltiger sei. Auch kommt „Eco Mining“, also nachhaltiger Bergbau, immer mehr ins Gespräch. Ist das alles Greenwashing?

Absolut. Die Vorstellung eines nachhaltigen Extraktivismus ist ein Widerspruch in sich. Lithiumabbau zerstört Ökosysteme und entzieht Gemeinschaften lebenswichtiges Wasser. Solche Narrative dienen lediglich dazu, wirtschaftliche Interessen zu verschleiern. Konzerne sprechen von „grünem Bergbau“, aber diese Erzählung dient dazu, den globalen Norden zu beruhigen, während lokale Gemeinschaften die Umweltfolgen tragen.

Ihr vertretet als Kollektiv keine antitechnologischen Positionen, doch die meisten konkreten Ansätze basieren auf kleinen lokalen Initiativen wie etwa der Verwendung von altem Saatgut, Landwirtschaft, Kooperativen, Recycling. Aber Computer und Telefone müssen ja weiterhin produziert werden. Welche Vorschläge habt ihr, um den Konsum zu reduzieren oder die Produktion notwendiger Dinge zu organisieren?

Die große Debatte dreht sich heute um die Frage, wie wir über Energie denken, wie wir Energie produzieren. Deshalb sprechen wir auf der lokalen Ebene über Gemeinschafts­management, territoriale Kontrolle und territoriale Ökonomien. Wir sind nicht gegen Technologie oder gegen Solar- und Windenergie, das wäre lächerlich. Wir sind gegen Wind- und Photovoltaikanlagen, die eine Profitlogik subventionieren, die die Gebiete verwüstet und auf einer Logik von Import, Export und Profit basiert. Stattdessen kann man im Rahmen einer gemeinschaftlichen Verwaltung, die solidarische Preise festlegt, mit einem einzigen Solarpanel Energie für ein ganzes Viertel erzeugen. Wir sprechen also zunächst einmal darüber, unser Verständnis von Energieerzeugung zu verändern. Es bedarf staatlicher Maßnahmen, einer Umgestaltung der Wirtschaft, eines Nachdenkens über die Artenvielfalt, eines Verständnisses der Kreisläufe der Natur und der Auseinandersetzung mit diesen Kreisläufen, um eine andere Struktur zu schaffen.

Welche Alternativen siehst du? Wie kann Veränderung stattfinden?

Ich denke, dass wir die heutige neoliberale Subjektivität, die uns glauben lässt, wir könnten nur in einem kapitalistischen Rahmen leben, intensiv diskutieren und infrage stellen müssen. Deshalb müssen wir unsere Träume, unsere Erzählungen dekolonisieren und über die kapitalistische Erzählung hinausgehen. Wir müssen aufhören zu denken, sie wäre die einzig mögliche.

Aber ich denke auch, dass große Veränderungen nie im Rahmen großer Kollektive möglich sind. Die Gemeinschaften und Kollektive leben oft sehr verstreut und passen wegen ihrer alternativen Lebensweisen nicht in das dominante Gesellschaftsbild. Aber in dieser Vielfalt liegt die Möglichkeit des Widerstands und der Transformation. Ich denke an die zapatistischen Gemeinschaften. Wir von der Wasserbewegung sprechen über Wasser, Saatgut und Energie, das sind die drei Bereiche, die wir gemeinschaftlich organisieren wollen. Oder ich denke an die Energiegenossenschaften, die beginnen, Energie auf lokaler Ebene bereitzustellen und nicht zur zentralen Energiematrix beitragen. Klar, sie sind klein, aber es gibt diese Fluchtpunkte, diese Widerstandsorte.

  • 1. ein von Ulrich Brand und Markus Wissen geprägtes Konzept

Francisca Fernández Droguett ist Teil der Bewegung „Movimiento por el Agua y los Territorios“ (MAT), die gegen die Privatisierung von Wasser in Chile kämpft, sowie der „Escuela Popular Campesina de Curaco de Vélez“ in Chiloé. Außerdem gehört sie den feministischen Netzwerken „Abya Yala“ und „Mujeres y la Sexta“, einem Unterstützungsnetzwerk für die zapatistischen Gemeinschaften in Mexiko, an. Sie verbindet die Kritik am Extraktivismus mit dekolonialen und feministischen Perspektiven.

Das Online-Interview führte Anna Buhl am 26. März 2025.