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Goldesel für Frankreich

Interview mit Monique Clesca über Haitis Forderung nach Reparationen

Ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen fordert, dass Frankreich die Reparationszahlungen zurückerstattet, die dem karibischen Staat vor 200 Jahren auferlegt wurden. In jüngster Zeit gewinnen Forderungen nach einer Wiedergutmachung durch Frankreich an Dynamik. In einem erneuten Vorstoß für historische Gerechtigkeit hat eine Koalition von etwa 20 Nichtregierungsorganisationen Frankreich aufgefordert, Rückerstattungen zu leisten. Diese Forderung ist Teil einer langen Protestgeschichte gegen die ungerechte Schuldenlast. Aktivist*innen, NRO und politische Vertreter*innen setzen sich dafür ein, dass Frankreich die historische Schuld anerkennt und die entstandenen Folgen adressiert. Die ila hatte die Gelegenheit, mit Monique Clesca, Autorin, Journalistin und Sprecherin der Bewegung, über die Rückerstattungskampagne zu sprechen.

Im vergangenen April berichtete The Guardian, dass 20 NRO Frankreich auffordern, die enormen Reparationszahlungen von 150 Millionen Goldfrancs zurückzuzahlen, die 1825 für die diplomatische Anerkennung Haitis verlangt wurden. Wie ist diese Initiative entstanden?

Es gab über die Jahre hinweg viele Initiativen, die von Frankreich eine Rückzahlung forderten. Bereits seit 1825 protestieren Bürger*innen und Organisationen wiederholt gegen die Zahlung dieser „Entschädigung“. Im Jahr 2003 forderte der damalige Präsident von Haiti, Jean-Bertrand Aristide, die Rückzahlung der Schulden. Er wurde dann aber 2004 weggeputscht. Mittlerweile gibt es mehrere Gruppen der haitianischen Zivilgesellschaft, die Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden aufgrund dieser „doppelten Schuld“ verlangen.

Wir sind schließlich beim dritten „Permanent Forum on People of African Descent“ (PFPAD), einem Treffen verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen und Intellektueller aus Haiti und der Diaspora im April 2024, aktiv geworden und haben beschlossen, das „Kolektif Ayisyen Afwodesandan“ (KAAD) zu gründen, um den Kampf für Gerechtigkeit weiter voranzutreiben.

Welchen Stand haben die Bemühungen aktuell?

Wir haben beschlossen, unsere Argumente gezielt an die Presse zu richten, um medialen Druck aufzubauen und das Thema auf internationaler Ebene voranzutreiben. Im September 2024 forderte Haitis Übergangsrat bei den Vereinten Nationen offiziell Reparationszahlungen. Am 1. Januar, dem Jahrestag der Unabhängigkeit Haitis, bekräftigte der präsidiale Rat diese Forderung erneut. Der Koordinator des Präsidialrats wird in den nächsten Tagen in Frankreich sein und sich vermutlich mit Präsident Macron treffen, um auch dieses Thema anzusprechen. Das nächste große Ziel ist das vierte Forum, das am 17. April 2025 in New York stattfinden wird – genau 200 Jahre nach Beginn der Zahlungen an Frankreich. In Paris sind Veranstaltungen an der Sorbonne und am Collège de France geplant, um das Bewusstsein für diese historische Ungerechtigkeit zu schärfen.

Gibt es Diskussionen darüber, wie diese Schulden die wirtschaftliche, soziale und politische Situation Haitis bis heute beeinflussen?

Erstens muss Frankreich anerkennen, dass die Zahlung ein großes Unrecht war. Die Forderung wurde damals unter der Androhung von Kriegsschiffen und bewaffneten Soldaten gestellt. Zweitens müssen die Konsequenzen anerkannt werden: Jahrzehntelang leistete Haiti Zahlungen, die stattdessen in den Aufbau von Gesundheitszentren, Schulen, Straßen und anderen Infrastrukturen hätten fließen können. Und drittens geht es nun darum, gemeinsam mit Frankreich einen Weg zu finden, wie genau die Anerkennung dieses Unrechts und seiner Folgen aussehen könnte. Wir führen einen medialen, diplomatischen und nicht zuletzt politischen Kampf.

Wie schätzt du die Möglichkeit ein, dass Frankreich dies anerkennt?

Ich denke, dass es irgendwann eine systematische und öffentliche Anerkennung geben wird. Präsident François Hollande hat das bereits teilweise getan, auch wenn er seine Aussage später relativiert hat. Jetzt liegt es an Emmanuel Macron, der aktuell im Amt ist. Ich glaube daran, dass er die Schuld anerkennt.

Habt ihr Kontakte zu Gruppen, Parteien oder Medien in Frankreich? Wird das Thema dort diskutiert?

Ich glaube nicht, dass es dort ein großes Thema in der öffentlichen Debatte ist. Aber sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten gibt es Gruppen, die unsere Forderungen unterstützen, insbesondere haitianische Organisationen und zivilgesellschaftliche Gruppen in Frankreich, der Schweiz und Kanada. Auch Medien wie Libération, Le Monde und BRUT haben berichtet und der Forderung Sichtbarkeit verschafft.

Als Jean-Bertrand Aristide im April 2003 die Rück­zahlung der Schulden forderte, war von einem Betrag von fast 22 Milliarden Dollar die Rede. Das entsprach damals etwa dem Drei- bis Vierfachen des jährlichen Bruttoinlandsprodukts Haitis. Ist eure Initiative mit einem konkreten Betrag verbunden?

Nein, es geht derzeit um den politischen Kampf. Man kann zwar die historischen Beträge berechnen – damals, 2003 und heute –, aber letztlich geht es darum, dass sich beide Länder an einen Tisch setzen und gemeinsam Lösungen finden. Es geht nicht darum, dass Frankreich eine bestimmte Summe bezahlt. Es muss verhandelt werden.

Welche Herausforderungen gibt es auf diesem Weg?

Ein Hindernis liegt darin, dass sich Frankreich schwer damit tun könnte, das begangene Unrecht anzuerkennen. Es gibt Schritte in die richtige Richtung, beispielsweise in der Debatte über die Rückgabe gestohlener Kunstwerke an afrikanische Länder. Präsident Macron hat eine Kommission eingerichtet und die Rückgabe hat begonnen. Dennoch bleibt ein politisches Risiko: Wenn sich Frankreich diese Fehler eingesteht, könnte das politische Kosten haben. Manche befürchten, dass Frankreich an Prestige verliert. Außerdem gibt es wirtschaftliche Herausforderungen.

Gibt es dennoch Hoffnung?

Ich bin optimistisch. Fortschritte wie die Anerkennung von Unrecht in Algerien und die Rückgabe geraubter Kunstwerke an verschiedene afrikanische Länder sind positive Zeichen. Ich denke, dass Frankreich irgendwann systematisch und öffentlich dieses Unrecht anerkennen wird. Präsident Macron hat nun in seiner Amtszeit die Chance, das zu tun.

Denkt oder hofft ihr, dass die Forderung von Haiti auch vor dem Hintergrund von Black Lives Matter, den Forderungen nach Reparationen für die Sklaverei in den USA und in Afrika für den Kolonialismus eine größere Beachtung finden wird?

Unsere Forderungen sind eng mit diesen globalen Bewegungen verbunden. Jede hat ihre Besonderheiten, aber sie teilen die Grundüberzeugung: Sklaverei ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und wenn es ein Verbrechen gibt, gibt es Täter und Opfer. Es ist normal, dass Opfer Wiedergutmachung verlangen.

Welche Unterstützung erhofft ihr euch? Was könnten Menschen in einem Land wie Deutschland tun?

Ich hoffe, dass deutsche Organisationen auf uns aufmerksam werden, sich mit uns solidarisieren und unsere Forderungen unterstützen. Deutschland hat finanzielle Mittel und Ressourcen und hat sich nach der Shoah dem Prinzip „Nie wieder“ verschrieben. Ich wünsche mir daher, dass unsere Initiative Unterstützung erfährt.

Das Online-Interview führte Anna Buhl am 22. Januar 2025.