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Donald Trump Reloaded

USA: Alte-neue Migrationspolitik

Preisfrage: Was tat Joe Biden eher heimlich und Donald Trump obszön offen? Migrant*innen festnehmen und abschieben. Mehrere hundert jeden Tag. Ein Blick hinter Trumps rassistisches Spektakel.

Willivaldo Delgadillo

Als Mariann Budde von der Kanzel aus Donald Trump um Barmherzigkeit für die Menschen bat, die in Angst leben – insbesondere für die, die von Abschiebung bedroht sind –, setzte sich die Bischöfin für Hunderttausende von undokumentierten Migrant*innen, Geflüchteten und Asylbewerber*innen ein. Sie alle wären von der verschärften Migrationspolitik betroffen, die der neu gewählte US-Präsident ankündigte. Budde sprach von der Angst, die schwangere Frauen davon abhält, zum Arzt zu gehen, aus Furcht, abgeschoben zu werden. Von der Angst, die Eltern dazu bringt, ihre Kinder nicht mehr zur Schule zu schicken. In den Wochen nach Trumps Amtseinführung starteten die Einwanderungsbehörden eine Reihe spektakulärer Aktionen: Verdächtige Kriminelle wurden in Flugzeugen, gefesselt und mit Fußketten, in ihre Herkunftsländer abgeschoben oder sogar ins berüchtigte Gefangenenlager Guantánamo gebracht. Die Razzien, die angeblich kriminelle Migran*tinnen aufspüren sollen, sind in Wahrheit eine Strategie zur Kriminalisierung der gesamten migrantischen Bevölkerung. Trumps wahres Ziel ist nicht der Kampf gegen den Fentanylschmuggel. Er will eine Atmosphäre der Angst zu schaffen, sowohl für undokumentierte Migrantinnen als auch für ihre Unterstützer*innen.

In El Paso, Texas, an der Grenze zu Ciudad Juárez, führt die Einwanderungs- und Zollbehörde ICE gezielt diskriminierende Razzien durch. Sie wendet dabei das sogenannte racial profiling an und betritt ohne Genehmigung Bäckereien und Friseursalons in mehrheitlich mexikanischen Vierteln. So etwa im Fall von Oscar’s Barbershop: Mehrere ICE-Agenten betraten den Salon gemeinsam mit Inspektoren, die die Betriebsgenehmigung überprüften. Einer der Beamten blieb im Laden, bis die Inspektoren ihre Arbeit beendet hatten, obwohl der Besitzer ihn mehrfach aufforderte, zu gehen. Der Vorfall wurde auf Video festgehalten und verbreitete sich in den sozialen Netzwerken.

Diese Vorgehensweise ist nicht neu. Die Bundesbeamten handeln nicht im Bewusstsein, etwas Illegales zu tun, sondern sehen sich als Ausführer der Regierungspolitik, mitunter sogar einer patriotischen Mission. Paradoxerweise verstoßen sie damit gegen den vierten Zusatzartikel der US-Verfassung, der alle Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, vor staatlicher Willkür schützt, etwa vor Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss. Nicht weit von Oscar’s Barbershop entfernt, in Sunland Park, New Mexico, wurden Arbeiter eines Pferderennstalls von ICE-Agenten belästigt, die ohne Durchsuchungsbeschluss in ihre Unterkünfte eindringen wollten. Die Männer verweigerten den Zutritt, doch die Beamten blieben fast eine Stunde, verhörten sie und versuchten weiterhin, sich Zutritt zu verschaffen. Die Arbeiter verteidigten ihre Rechte, aber dennoch bleibt das Trauma polizeilicher Drangsalierung. Und solche Szenen ereignen sich in ganz Texas.

Nicht nur unmenschlich, auch unwirtschaftlich

Doch nicht nur Migrant*innen und Menschenrechtsorganisationen sind besorgt über die strikte Migrationspolitik. Auch Unternehmerinnen fürchten den Verlust der illegalisierten Arbeitskräfte, von denen viele Wirtschaftszweige abhängig sind. Im Städtchen Cactus im Texas Panhandle zum Beispiel, dem wichtigsten Viehzuchtgebiet des Bundesstaates. In einem Artikel für das Magazin Texas Monthly beschreibt Journalist Jack Herrera, wie im Jahr 2006 eine Massenrazzia zur Abschiebung von zehn Prozent der Stadtbevölkerung und der Hälfte der Belegschaft eines Schlachthofs führte. Innerhalb eines Tages waren viele Kinder von ihren Eltern getrennt. Die Gemeinde zeigte sich solidarisch und suchte Pflegefamilien für die betroffenen Kinder. Doch wirtschaftlich geriet der Ort in eine Krise: Der Schlachthof konnte seinen Betrieb nicht aufrechterhalten, denn nur wenige US-Bürger*innen waren bereit, die freien Stellen zu besetzen, selbst bei höherem Lohn. Herrera zeigt auf, dass Migrant*innen traditionell diese Jobs übernehmen: Im 19. Jahrhundert waren es deutsche und polnische Arbeiter, die das Vieh zerlegten. Heute ist Cactus eine der kulturell diversesten Städte der USA, 97 Prozent der Einwohner*innen sprechen neben Englisch noch eine andere Sprache. Die Arbeitskräftelücke, die entstanden war, wurde nämlich mit Menschen geschlossen, die bereits als Geflüchtete in den USA lebten. Das liegt daran, dass die Arbeitskräftelücke durch Geflüchtete geschlossen wurde. Doch nun hat Trump per Dekret ein Ansiedlungsprogramm (USRAP) aufgehoben, das es Menschen aus besonders gewaltgeplagten Ländern ermöglichte, Zuflucht in den USA zu finden. Rund 100000 Geflüchtete kamen im vergangenen Jahr durch das Programm in die USA. Oft sind sie es, die die Jobs machen, für die keine US-Amerikaner*innen bereit sind.

Ist das alles so neu?

Die US-mexikanische Grenze steht seit Jahrzehnten im Zentrum der politischen Debatte. Doch während Trumps erster Amtszeit (2017-2021) erreichte das Thema eine neue Dimension. Trump machte Migration und Grenzsicherung zu einem zentralen Pfeiler seiner Politik und verschärfte bestehende Maßnahmen drastisch. Der Bau einer Mauer, striktere Einwanderungsbeschränkungen und die harte Behandlung von Asylbewerber*innen wurden zu Markenzeichen seiner Amtszeit. Doch trotz massiver Investitionen in Grenzsicherheit, verstärktem Einsatz von Drohnen und Sensoren sowie einer erhöhten Anzahl an Grenzpatrouillen gelang es nicht, die Migration wesentlich zu reduzieren. Die Menschen wichen einfach auf gefährlichere Routen aus. Und ihre Situation wurde durch die 2018 eingeführte „Null-Toleranz-Politik“ noch prekärer. Tausende Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, was unermessliches Leid verursachte. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Praxis als Verstoß gegen grundlegende Rechte von Migrant*innen. Auch der Umgang mit Asylsuchenden wurde verschärft. So zwangen die „Migrant Protection Protocols“ (MPP) Asylsuchende dazu, während des laufenden Verfahrens in Mexiko auszuharren – oft unter unsicheren Bedingungen, der Gewalt des organisierten Verbrechens schutzlos ausgeliefert.

In den vier Jahren ohne Trump im Weißen Haus ebbte die fremdenfeindliche Stimmung nicht ab – im Gegenteil, sie radikalisierte sich weiter. Unter Joe Biden (2021-25) wurden Texas und Florida zu Hochburgen der Anti-Migrationspolitik. Der republikanische Gouverneur Greg Abbott ließ Migrant*innen per Bus in demokratisch regierte Städte und sogenannte „Sanctuary Cities“ (sichere Häfen) verfrachten. Mit der „Operation Lone Star“ sollten Migration und Fentanylschmuggel bekämpft werden. Er setzte dafür die Nationalgarde entlang der Grenze zu Mexiko ein. Nun fordert Abbott vom Bund eine Rückerstattung von elf Milliarden Dollar für die angefallenen Kosten.>

Biden nahm zwar einige der repressivsten Maßnahmen Trumps zurück, darunter das MPP und die Einreiseverbote für Menschen aus muslimischen Länder. Aber eine konsequent migrationsfreundliche Politik verfolgt er nicht. So hielt er etwa an den pandemiebedingten Abschieberegelungen von „Title 42“ fest und wurde dafür scharf kritisiert. Einen Fortschritt brachte immerhin die digitale Plattform „CBP One“, die ursprünglich zur Koordination von Lkw-Inspektionen entwickelt worden war, nun aber zur Terminvergabe für Asylanträge dient und den Antragsteller*innen etwas mehr Sicherheit gibt.

Trump kommt mit dem Abschieben nicht hinterher

Seit seinem ersten Tag im Amt setzt Trump alles daran, die migrationspolitischen Maßnahmen der Biden-Regierung rückgängig zu machen. In einer Rede vor dem Kongress erklärte er kürzlich, die USA hatten kein neues Einwanderungsgesetz, sondern einen neuen Präsidenten gebraucht. Er verwies auf die rückläufigen Festnahmezahlen an der Grenze als angeblichen Beweis für sein hartes Durchgreifen. Doch der Migrationsforscher Héctor Padilla Delgado von der Autonomen Universität Ciudad Juárez weist darauf hin, dass nicht nur politische Maßnahmen, sondern auch das Verhalten der Migrant*innen selbst die Zahlen beeinflusst. Erfahrungswerte zeigen, dass Migrant*innen nach einem Regierungswechsel oft eine Weile abwarten, da sich die migrationspolitische Lage zunächst neu sortieren muss. Hinzu kommt die verstärkte Rolle Mexikos als „Pufferstaat“: Die mexikanische Regierung hat landesweit Kontrollpunkte eingerichtet und 30000 Mitglieder der Nationalgarde mobilisiert, um Migrant*innen an der Weiterreise zu hindern. Unter dem Druck neuer Strafzoll-Drohungen Trumps hat Präsidentin Claudia Sheinbaum kürzlich weitere 10000 Nationalgardisten an strategische Orte entsandt, um Migrant*innen verdeckt zu überwachen und einzuschüchtern.

Padilla Delgado ist überzeugt, dass sich die US-Migrationspolitik im Kern nie grundlegend ändert – unabhängig davon, welche Partei regiert. Abschiebungen sind immer Teil der „Lösung“. Dennoch hält er Trumps Ankündigung massenhafter Deportationen für unrealistisch – allein schon aus rechtlichen und logistischen Gründen. Der New York Times zufolge wurden in den ersten Monaten der neuen Trump-Administration zwar durchschnittlich 872 Migrant*innen pro Tag abgeschoben – ein deutlicher Anstieg gegenüber den 242 täglichen Abschiebungen unter Biden. Doch im Vergleich zum Jahresanfang sind die Zahlen bereits wieder auf unter 600 pro Tag gesunken. Von den 23000 Festnahmen im letzten Monat führten nur 18000 tatsächlich zu einer Abschiebung, wodurch sich ein Rückstau von 4000 Personen in den völlig überfüllten Haftzentren gebildet hat. Ein kleiner Teil kam gegen Kaution frei. Besonders bemerkenswert: Der Anteil an Festgenommenen ohne Vorstrafen steigt. Im Februar machten sie bereits 16 Prozent der Inhaftierten aus.

Auch die erwartete Welle an Abschiebungen nach Mexiko bleibt bislang aus. Seit Januar wurden rund 15000 Mexikaner*innen aus den USA ausgewiesen – durchschnittlich 356 pro Tag. Das vom mexikanischen Staat errichtete Mega-Flüchtlingslager in Ciudad Juárez steht bisher weitgehend leer: Von den 2.500 Plätzen sind täglich nur rund 15 belegt. Die Behörden denken daher bereits über eine Schließung nach.

Auf die Straßen – endlich

Während die Proteste gegen Trumps Migrationspolitik noch eher unkoordiniert und verstreut sind, gab es im Februar erste größere Mobilisierungen in den USA. Der Aktionstag „Ein Tag ohne Migrant*innen“ löste Demonstrationen in Metropolen wie Houston und Los Angeles aus, aber auch in kleineren Städten. Migrant*innenorganisationen starteten zudem Informationskampagnen, um die Betroffenen über ihre Rechte aufzuklären. Doch Widerstand zeigt sich nicht nur auf den Straßen, sondern auch im Alltag: Sei es die Bischöfin Mariann Budde, die Trump öffentlich zur Barmherzigkeit aufruft, oder der anonyme Friseur in El Paso, der sich gegen eine Razzia in seinem Laden wehrte – immer wieder gibt es Momente, in denen Mut über Angst triumphiert. Hoffnung machen auch die Hunderte von Schülerinnen in Los Angeles und Houston, die aus Solidarität mit ihren Familien und Freund*innen den Unterricht verließen.