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Die ecuadorianische Künstlerin Polii Lunar zeigt, was die Regierung verschweigt

Als Polii Lunar begann, ihre Bilder auf Instagram zu veröffentlichen, wurden plötzlich immer mehr Leute auf sie aufmerksam. Sie stieg von Pinsel und Ölfarben auf digitale Zeichnungen per Tablet um. Während ihre Reichweite wächst und zunehmend in die analoge Welt überschwappt, möchte sie vor allem eins: Frauen in Ecuador und Lateinamerika vereinen. Doch vom Metauniversum wird sie abgestraft.

Marisa Hempelmann

Polii Lunar, die mit bürgerlichem Namen Polett Zapata heißt, ist überzeugt: „Kunst kann Botschaften vermitteln und Dinge unmittelbarer ausdrücken, als Worte es vermögen.“ Erst gegen Ende ihrer Schulzeit entdeckte sie ihr Talent und ihre Leidenschaft für die Kunst und entschied sich, Bildende Kunst zu studieren. Nach ihrem Studienabschluss begann sie zu zweifeln: „Hatte ich die richtige Entscheidung getroffen? In Ecuador ist es besonders schwer, von Kunst zu leben. Es gibt wenig Kulturangebote und die Menschen gehen kaum in Museen.“ Ausgerechnet der pandemiebedingte Ausnahmezustand ab 2020 setzte ihren Zweifeln ein Ende. In Quarantäne begann die in Quito lebende Künstlerin, sich intensiv dem Malen zu widmen und ihre Bilder auf ihrem Instagramprofil @p.o.l.i_lunar zu veröffentlichen, das heute rund 13 000 Follower zählt. Sowohl in Ecuador als auch international wurden immer mehr Menschen auf sie aufmerksam und sie erhielt Einladungen zu Ausstellungen und Interviews. „Für mich ist die Kunst ein Werkzeug, Wirk­lichkeiten zu zeigen und zu verbreiten, besonders wenn die Regierung sie lieber verschweigt.“ Deswegen veröffentlicht Zapata immer wieder digitale Illustrationen, mit denen sie auf aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse reagiert.

Im Dezember letzten Jahres verschwanden vier afroecuadorianische Jugendliche nach einem Militäreinsatz in Guayaquil. Veröffentlichte Videos und Telefonate lassen vermuten, dass Soldaten sie auf gewaltsame Weise entführten. Erst über zwei Wochen später wurden ihre verkohlten Überreste gefunden. Polii Lunar postete zwei Zeichnungen zu dem Fall auf Instagram und solidarisierte sich so mit den Angehörigen sowie den landesweiten Protesten. Nur zwei Tage später löschte Meta einen der Posts, angeblich weil er Gewalt darstelle. „Das ist lächerlich und frustrierend zugleich“, schreibt Zapata, als sie das Bild mit angepasster Überschrift erneut postet. „Anstatt sich dem zu widmen, was wirklich wichtig ist, zensieren sie lieber regierungskritische Kunstwerke.“ Im Mittelpunkt ihrer Kunst steht ein wiederkehrendes Element: Frauen. Vor gesellschaftlichen Tabus wie weiblicher Masturbation oder Menstruation schreckt sie nicht zurück. Sie möchte aufklären, aber vor allem, dass Frauen sich mit ihren Werken identifizieren. „Kunst muss nicht immer wahnsinnig komplex sein. Mir ist wichtig, dass sie verbindet.“ Ihre Kunst ist eine Liebeserklärung an die Frauen, mit denen sie aufgewachsen ist: ihre Mutter, Großmutter, Tan­ten und Freundinnen.

Ein Thema, das in vielen ihrer Bilder auftaucht, ist Schwes­tern­schaft: Empathie und Zusammenhalt unter Frauen, über alle Unterschiede hinweg. Als 2022 Indigene einen landesweiten Streik anführten (siehe ila 457), veröffentlichte Zapata vier Illustrationen, die besonders große Aufmerksamkeit erregten. Mit der Serie solidarisierte sie sich mit den Protestierenden und drückte ihre Wertschätzung aus, insbesondere gegenüber den beteiligten indigenen Frauen. In ihrer aktuellen Ausstellung dreht sich viel um Hexen. Die Ausstellung setzt sich mit der historischen Gewalt und Kontrolle über weibliche Körper auseinander. Polii Lunars Hexen hingegen sind frei, halten zusammen und genießen das Leben: „We dance, we fuck, we are free.“