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Eine Wucht!

Der neueste Wurf des chilenischen Filmemachers Pablo Larraín: „Maria“
Verena Schmöller

Der Blick durch die offenen Türen. Wer Pablo Larraíns Filme gesehen hat, kennt diese Einstellung. Man blickt aus einer gewissen Distanz auf ein Geschehen, das in einem Innenraum stattfindet, nicht unbedingt öffentlich, aber eben auch nicht hinter verschlossenen Türen. Man ist Voyeur, der geduldet, vielleicht sogar gewollt ist. Beobachtet Staatsgeschehen wie im Fall von „Neruda“ (2016) oder „Jackie“ (2016) oder die Dynamik einer Königsfamilie wie in „Spencer“ (2021). Erhält Einblicke und spürt in der Fiktion nach, wie es diesen Menschen aus der realen Zeitgeschichte in ihren Rollen ergangen sein mag. Mit seinem neuen Film „Maria“ beschließt Pablo Larraín seine Trilogie über prominente wie rätselhafte Frauen aus dem vergangenen Jahrhundert.

Larraíns Film über die Opernsängerin Maria Callas beginnt mit einer solchen Einstellung: Als Publikum befinden wir uns im Schlafzimmer ihres Pariser Apartments und sehen durch die offene Tür in den Raum, in dem der imposante Flügel im Laufe des Films immer wieder an einer anderen Stelle stehen wird. Eine Trage wird hereingefahren, Menschen stehen um den Leichnam der gerade gestorbenen Diva herum. „Maria“ (USA/Italien/Deutschland 2024) erzählt von den letzten Tagen der Callas vor ihrem Tod und ergründet, wie sich das Altern einer Sängerin und eines Stars anfühlen muss, wie Maria Callas auf ihr Leben zurückblickt, sich nach echter Liebe sehnt, aber sich nicht aussöhnen mag mit dem, was ihr widerfahren ist.

Wieder taucht Pablo Larraín ein in die Psyche einer Frau, die lange Zeit ihres Lebens im Rampenlicht stand, die als Spielball benutzt und in glitzernden Käfigen gefangen gehalten wurde und doch Millionen Menschen – in diesem Fall mit ihrer Stimme – verzaubert hat. Wie auch in „Jackie“ und „Spencer“ widmet er sich auf wohlkomponierte Weise den Persönlichkeiten dieser Frauen und sucht nach Motiven und Umständen, die sie zu dem gemacht haben, was sie waren: ein Mysterium für die Öffentlichkeit.

Er gibt sich nicht mit dem allseits bekannten öffentlichen Bild zufrieden, sondern blickt dahinter, wagt sich in ihre Vergangenheit und Erinnerungen, in Gedanken wie Dämonen oder ihre Fähigkeit, ihr Schicksal zu erdulden. Eindringlich, intensiv, ungeschönt, aber stets mit einer sanften Zärtlichkeit für seine Figuren. Wie schon in „Jackie“ macht er sich eine Interviewsituation zunutze, damit die Hauptfigur aus ihrem Leben erzählen kann. Im Fall von „Maria“ aber wird nie deutlich, ob es das Interview wirklich gab, oder besser gesagt: Es sieht vielmehr danach aus, als würde Maria Callas alles inszenieren, sich imaginieren, unter dem Einfluss von Medikamenten halluzinieren.

Opulente Inszenierung

Angelina Jolie ist umwerfend in der Rolle der Callas. Pablo Larraín weiß seine Hauptrollen ideal zu besetzen und sie zu Höchstleistungen zu trimmen: Nathalie Portman als Jackie Kennedy, Kirsten Stewart als Diana Spencer, nun Angelina Jolie als Maria Callas. Sie spielt die Diva nicht nur, sondern verschmilzt mit ihr, ist Maria Callas und gleichzeitig all die Figuren, denen der Opernstar auf der Bühne seine Stimme gab.

„Maria“ selbst ist opulent inszeniert, die Räume dekoriert und die Figuren gekleidet, als spiele die Geschichte auf einer der großen Opernbühnen der Welt. Das ist stimmig, denn die Tragik der Hauptfigur hat tatsächlich etwas Opernhaftes. Maria sagt an einer Stelle: „Mein Leben ist die Oper“, und genauso wirkt es. Ihre Leidenschaft für den Gesang, ihre Suche nach Liebe, aber auch ihr Hadern mit dem Altwerden und Nicht-Mehr-Funktionieren. Sortiert in eine Drei-Akt-Struktur.

Auch der Gesang fließt wohldurchdacht in den Film ein. Musik samt ihrer Macht als Erzählerin spielt immer eine große Rolle in den Filmen Larraíns, der seine Karriere startete mit dem Film „Fuga“ (Chile 2006) über einen jungen Komponisten, den ein Kindheitstrauma verfolgt, das seine Gesundheit wie sein kreatives Schaffen beeinflusst. Auch in „Maria“ liegen Wahn und Können nah beieinander, was in grandios arrangierten Orchesterszenen kulminiert: Maria, die sich vorstellt, im Pariser Regen als Turandot zu performen oder auf dem Trocadero einem Männerchor entgegenzuschreiten. Angelina Jolie mimt den Gesang auf hervorragende Weise, singt, spielt, schreitet als Diva durch den Film. Und bringt uns die Figur der Maria Callas auf intensiv berührende Weise näher. Bravissima!

Im Jahr 2009 hat Dr. Verena Schmöller für ihr Buch „Kino in Chile – Chile im Kino. Die chilenische Filmlandschaft nach 1990“ mehr als 200 Filme gesehen. Darunter auch Pablo Larraíns Debütfilm „Fuga“, von dessen Erzählkunst sie sofort begeistert war. Dass seine späteren Filme sie jedes Mal noch mehr faszinieren würden, ahnte sie damals noch nicht.