Ein Solarzug in den argentinischen Anden
Seit Mitte 2024 wird ein kleiner Teil der vor mehr als 30 Jahren stillgelegten Eisenbahnstrecke in der argentinischen Provinz Jujuy wieder von einem Zug befahren. Die Betreibergesellschaft bewirbt ihn als den „ersten Solarzug Lateinamerikas“. Anwohner*innen der Strecke stehen diesem Projekt kritisch gegenüber.
Die „Quebrada de Humahuaca“ ist eine 150 Kilometer lange Schlucht im Norden Argentiniens, mit spektakulären Felsformationen in verschiedensten Formen und Farben, von hellgelb über rosa bis violett und patinagrün. Im Jahr 2003 wurde die Quebrada als Teil des alten Inka-Pfades von der UNESCO zum Weltkultur- und Naturerbe erklärt. Für den Tourismus wird die Gegend seitdem zunehmend interessanter. Mitten in dem hochgelegenen Andental mit seinen Riesenkakteen liegt das Dorf Purmamarca an dem „Siebenfarbigen Berg“. An der Straße, die durch die Quebrada nach Bolivien führt, gibt es hier eine Abzweigung nach Chile. An dieser Straße liegen die von Tourist*innen gerne besuchten Salinas Grandes, eine große Salzwüste. An dieser strategisch wichtigen Kreuzung fanden im Juni 2023 während des Aufstands gegen den Provinzgouverneur die größten Blockaden und Auseinandersetzungen statt (siehe ila 469). Gouverneur Morales hatte im Eilverfahren eine Verfassungsänderung durchgesetzt, die unter anderem Zwangsräumungen begünstigt. Ein Wandgemälde an der Kreuzung erinnert an diese Ereignisse. Ansonsten sind kaum noch Spuren des Aufstands zu sehen.
Durch die Quebrada fuhren früher Güter- und Personenzüge. Die Strecke von Buenos Aires bis an die bolivianische Grenze wurde in den 1990er-Jahren stillgelegt. Wie ein Großteil der Bahn-Infrastruktur in Argentinien fiel sie der neoliberalen Privatisierungspolitik von Präsident Carlos Menem zum Opfer. Im Jahr 1994 rollte in Jujuy der letzte Zug über die Schienen. 30 Jahre später, seit Mitte 2024, verkehrt nun wieder ein Zug auf der restaurierten Strecke. Schilder am Straßenrand verkünden die frohe Botschaft: „Der Zug kommt wieder“ und „Wir arbeiten dran“.
Nur für Tourist*innen
Bislang fahren die neuen Züge aus China nur die 42 Kilometer zwischen den Ortschaften Volcán und Tilcara. Sie bestehen aus zwei Waggons mit Rundumverglasung, die einen freien Blick auf die großartige Landschaft ermöglicht. Eine Verlängerung der Strecke in beide Richtungen, bis zur Provinzhauptstadt San Salvador de Jujuy und bis La Quiaca an der Grenze zu Bolivien, ist geplant. Die Passagier*innen zahlen einen Einheitspreis mit Hop-On-Hop-Off-Option. Sie können einen Tag lang an den bislang fünf Stationen aus- und in den nächsten Zug wieder einsteigen. Eine eher teure aber schöne Möglichkeit, die Quebrada ohne Auto zu erkunden. Der Eintrittspreis ist wie bei vielen touristischen Attraktionen gestaffelt. Nicht-Argentinier*innen zahlen 65 000 Pesos (etwa 65 Euro), argentinische Tourist*innen 45 000 Pesos und Bewohner*innen der Provinz Jujuy zahlen 10 000 Pesos. Der Preis klingt im Vergleich zu den Tourismustickets günstig, dürfte aber für die meisten Anwohner*innen nicht infrage kommen. Angesichts der selten verkehrenden Busse wäre der Zug für sie eine Alternative. Aber wer kann zehn Euro für eine so kurze Strecke bezahlen? In der Provinz liegt die Armutsquote bei 55,7 Prozent, das Anfangsgehalt einer Lehrerin zum Beispiel beläuft sich auf etwas mehr als 500 Euro im Monat.
Vermutlich ist es aber gar nicht erwünscht, dass Einheimische den schicken neuen Zug nutzen und vielleicht mit Dingen, die sie transportieren müssen, die Aussicht verstellen. Im Bahnhof von Tilcara reagiert eine Angestellte auf die Frage, ob auch Menschen aus der Gegend mit diesem Zug fahren würden, verwundert: Nein, der sei doch nur für Tourist*innen. Wie an den anderen Bahnhöfen des Solarzuges ist das historische Bahnhofsgebäude als Ticket-Verkaufsstelle hübsch restauriert worden. Als Wartesaal wird daneben gerade ein luftiges und lichtdurchflutetes Gebäude in modernem Stil mit viel Holz und Metall gebaut. Wir fragen die Angestellte, was denn in den 30 Jahren ohne Zugverkehr im Bahnhof passiert sei. Da seien Leute unberechtigt in das Bahnhofsgebäude eingezogen, erzählt sie. Es sei ein schwieriger Kampf gewesen, das Gebäude zurückzubekommen. Die Geräumten hätten aber alle Ersatzwohnraum angeboten bekommen.
Zwangsräumungen
Nicht nur die Bewohner*innen des alten Bahnhofsgebäudes wurden für den Solarzug aus ihren Wohnungen vertrieben. Von den Räumungen waren weitere 60 Familien im Barrio „Radio Estación“ betroffen, darunter viele alleinerziehende Frauen mit Kindern. Manche der Häuser an der Bahnstrecke hatten sie oder ihre Eltern eigenhändig gebaut. Die Grundstücke wurden nach der Streckenstilllegung in den 90ern den Bahnarbeiter*innen zum Kauf angeboten. Die meisten der heutigen Bewohner*innen sind Nachfahren der damaligen Eisenbahner*innen. Ihre Häuser stehen nicht auf den Gleisen, aber die neuen Bahnbetreiber beanspruchen den Platz drumherum für die Neugestaltung des Bahnhofs und den Bau eines Supermarktes für Tourist*innen.
Im Jahr 2022 zeigte die Provinzregierung die Anwohner*innen wegen Besetzung an und behauptete, sie wollten mit dem Gelände Geschäfte machen. Im November 2023 unternahmen 250 Polizist*innen den ersten Räumungsversuch. Eine Anwältin der Betroffenen konnte dies mit einer einstweiligen Verfügung stoppen. Angesichts der drohenden Gewalt durch Polizei und Abrissbagger akzeptierten jedoch einige Bewohner*innen die Umsiedlung in die Ersatzbehausungen. Die Verbliebenen, die weiter um ihre rechtmäßigen Wohnungen kämpften, wurden im Januar 2024 gewaltsam geräumt. Tourismusminister Federico Posadas erklärte danach gegenüber der Presse, alle „Besetzer“ seien in Häusern untergebracht worden. Tatsächlich besteht das Ersatzangebot aus Behausungen von 3x3 Metern, in denen es zwar eine Toilette gibt, aber weder fließendes Wasser noch Strom. Ganze Familien sollten in diese Einraumbehausungen ziehen. Im August 2024 kam es in Tilcara zu weiteren Beeinträchtigungen für die Anwohner*innen. Für den Bahnhofsausbau wurde die Straße „Ferrocarril Argentino 1906“ gesperrt. Der Name erinnert an den damaligen Eisenbahnbau, und so lange gab es auch die Straße. Nun ist sie gesperrt, wodurch Garagen und Hauseingänge nicht mehr zugänglich sind, ein Hotel kann nicht mehr angefahren werden. Und bei medizinischen Notfällen oder einem Brand käme kein Notarzt- oder Feuerwehrauto mehr zu den Anwohner*innen durch.
Inzwischen haben einige staatliche Stellen bestätigt, dass die Zwangsgeräumten die rechtmäßigen Besitzer*innen sind, ein Bundesgericht hat sich für zuständig erklärt. Die Anwältin hofft, auf diesem Weg doch noch etwas rückgängig machen zu können.
Ein Fake-Zug und Solargeschäfte
Verärgerte Anwohner*innen der Strecke haben bei Institutionen des Verbraucherschutzes wegen irreführender Werbung Anzeige gegen das Unternehmen erstattet. Sie weisen darauf hin, dass der Tren Solar nicht wirklich ein Solarzug ist, sondern nur ein Elektrozug. Die Dächer der Züge sind nicht mit Solarmodulen ausgestattet, sondern mit sechs Lithiumbatterien pro Waggon, die an den Bahnhöfen aufgeladen werden. Da 80 Prozent der Stromversorgung der Provinz inzwischen aus Solarenergie gewonnen werden, dürfte der Ladestrom für den „Solarzug“ tatsächlich aus Solarmodulen stammen. Aber die von den Zügen benötigten Lithiumbatterien sind für viele Menschen in Jujuy ein Alarmzeichen. Im Dreiländereck Argentinien, Bolivien und Chile lagern unter Salzseen die weltweit größten Lithiumreserven. Anwohner*innen wehren sich gegen die Lithiumförderung, die ihre bisherige Ökonomie und die Umwelt aus dem Gleichgewicht bringen würde, unter anderem durch den enormen Wasserverbrauch (siehe ila 467).
Im Westen der Provinz Jujuy befindet sich in der Wüste auf über 4000 Metern Höhe der Solarpark Cauchari mit einer Million Solarmodulen. Mit der hier gewonnenen Energie soll auch das Lithiumprojekt Cauchari Alaroz betrieben werden. Die Bewohner*innen der Provinz haben von der Sonnenenergie weniger Vorteile. Sie sind mit ständig steigenden Strompreisen konfrontiert, schließlich muss Geld reinkommen für die Gewinne der beteiligten Multis und für die Auslandskredite, die für den Solarpark aufgenommen wurden.
Auf der mehrsprachigen Website des Tren Solar ist viel von Nachhaltigkeit, Umwelt und Innovation zu lesen. Betreiber ist das Konsortium Grupo Roggio, das über sein Unternehmen Emova auch die Konzession für die Subte hat, die Metro von Buenos Aires. Dort kämpfen die Kolleg*innen seit Jahren gegen die Asbestverseuchung und für eine Erneuerung der veralteten Technologie, die nicht gewartet und in die nicht investiert wird (siehe ila 476). Im November ist wieder ein Kollege an Krebs gestorben, der vermutlich durch Asbest ausgelöst wurde.