Ein sicherer Hafen für Narcos
Ende August wurden zwei spektakuläre Drogenfunde in europäischen Häfen gemeldet. Erst wurden in Spanien vier Tonnen Kokain beschlagnahmt, wenige Tage später 3,6 Tonnen in Portugal. Beide Fälle verbindet, dass die Drogen über den Hafen von Montevideo über den Atlantik verschifft wurden. Die Funde belegen einmal mehr, dass Uruguay für den internationalen Drogenhandel immer bedeutender wird. Wobei das Land bereits davor für dessen Geschäfte wichtig war, allerdings in anderer Hinsicht: als ein sicherer Hafen für die erzielten Gewinne.
Es klingt wie Satire, war jedoch Realität: Nach jahrelangem Vorlauf sollte 2007 im Hafen von Montevideo ein moderner Scanner zur Kontrolle von Frachtcontainern installiert werden, doch dazu kam es nicht. Irgendjemand schien vergessen zu haben, dass das teure Hightechgerät beim Entladen ausreichend mit Gurten zu sichern sei. So geriet es langsam ins Schwanken, kollidierte schließlich mit einem Hafenkran und war kaputt. Immerhin spendete die chinesische Regierung 2009 einen neuen Scanner, der zwar sachgerecht entladen wurde, jedoch mit der Zeit trotzdem zunehmend den Dienst verweigerte, was dazu führte, dass im wichtigsten Hafen Uruguays mitunter wochenlang der Inhalt von Containern nur minimal kontrolliert wurde.
Expert*innen gehen davon aus, dass konstant große Mengen von Drogen in Uruguay gelagert werden, um, sobald sich die Gelegenheit bietet, diese auf die Frachtschiffe zu bringen. Das beschlagnahmte Kokain dürfte dabei nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs sein, vermutet doch etwa Interpol, dass 80 bis 85 Prozent aller Lieferungen nach Europa unentdeckt bleiben. Angesichts dessen mutmaßen alle wichtigen Medien des Landes, dass zumindest eines der großen Kartelle des Subkontinents, das brasilianische „Primeiro Comando da Capital“ (PCC), verfestigte Strukturen im Land geschaffen habe, um seine Waren sicher aufzubewahren und weiterzutransportieren. Gleichzeitig warnen Sicherheitsexpert*innen, dass Uruguay auf eine solche Situation in keiner Weise vorbereitet sei. Zumal die Befürchtung im Raum steht, dass der Einfluss des PCC bis in die höchste administrative und politische Sphäre reicht. Diese Einschätzung scheint sich durch die zweifelhafte Rolle uruguayischer Behörden beim Untertauchen des gesuchten Narcos Sebastián Marset zu bestätigen (siehe ila 470). Weil Marset sich geweigert hatte, den uruguayischen Behörden einen Wohnsitz nachzuweisen, war ihm ein Reisepass vorenthalten worden. Er reiste daraufhin mit gefälschten Dokumenten. Doch das wurde ihm zum Verhängnis: 2021 wurde er in den Vereinigten Arabischen Emiraten festgenommen. Wenige Wochen später konnte er das Gefängnis jedoch schon wieder verlassen, weil die uruguayischen Behörden so nett waren, ihm nun doch einen Pass auszustellen. Seitdem gilt er als unauffindbar. Laut Medienberichten soll er für das Kartell PCC eine zentrale Rolle bei der Abwicklung des Drogenhandels über Uruguay spielen.
Unorganisierte Kriminalität
Die mit dem Drogenhandel einhergehende Kriminalität spielt seit Jahren eine wichtige Rolle im öffentlichen Diskurs. Allerdings nicht in Bezug auf die Kartelle, sondern auf rivalisierende Banden. Die liefern sich blutige Territorialkämpfe für den Vertrieb der Armendroge „Pasta Base“ in den Außenbezirken von Montevideo. Es sind viele Banden, oft haben sie nur wenige Dutzend Mitglieder. Deswegen wird oft, wie vor wenigen Wochen von Innenminister Martinelli, das Bild einer „Unorganisierten Kriminalität“ gezeichnet, die die innere Sicherheit des Landes bedrohe.
Im Gegensatz dazu wird den Netzwerken der Kartelle kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Sie nutzen nur selten lokale Bandenstrukturen, um ihre transkontinentalen Geschäfte abzuwickeln, sondern schaffen sich in der Regel die Strukturen selbst, sei es, indem sie auf Logistikfirmen, die im Alltagsgeschäft legalen Tätigkeiten nachgehen, Einfluss nehmen, oder indem sie eigene Unternehmen gründen, über die sie die erzielten Gewinne in den legalen Geldkreislauf einspeisen. Vor allem dafür gilt das Land seit Jahrzehnten als prädestiniert.
Bereits in den 1960er-Jahren wurde in Uruguay die Möglichkeit geschaffen, Konten in US-Dollar zu führen. Später trieb die zivil-militärische Diktatur (1973-1985) eine radikale Deregulierung des Finanzwesens voran, inklusive der Garantie eines umfassenden Bankgeheimnisses, das in der Konsequenz auch jegliche Ermittlungen im Bereich der Wirtschaftskriminalität de facto verunmöglichte. Auch nach Ende der Diktatur wurde dieser Weg, Uruguay als attraktiven Anlageort zu etablieren, weiter beschritten: Immobilienkäufe wurden vereinfacht, ebenso wie Firmengründungen. Diese Rahmenbedingungen wussten auch die Kartelle zu nutzen, wie in dem bekannt gewordenen Fall von Juan Carlos Ramírez, einem führenden Mitglied des kolumbianischen „Cartel del Norte del Valle“, der 2007 in Brasilien festgenommen wurde. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass er über uruguayische Bankkonten Gewinne des Kartells aus dem Drogengeschäft gewaschen und nach Brasilien weitergeleitet hatte. Darüber hinaus wurde berichtet, dass der international gesuchte Ramírez nicht nur mehrmals nach Uruguay gereist war, sondern offenbar sogar den Umzug in das Land plante, da er sich dort sicherer gefühlt habe als in Brasilien. Zumindest hatte er über eine Scheinfirma bereits eine entsprechende Immobilie angemietet.
Das Land der Notar*innen
Es dürften nicht zuletzt solche Fälle gewesen sein, die Anfang des Jahrtausends den internationalen Druck auf Uruguay erhöht hatten, multilaterale Abkommen gegen Geldwäsche zu unterzeichnen und das strikte Bankgeheimnis zu lockern. Tatsächlich gibt es heute schärfere Gesetze und seit kurzem auch eine Sonderstaatsanwaltschaft, die sich ausschließlich um Geldwäschedelikte kümmern soll. In der Praxis scheint dies indes kaum etwas zu bewirken. Zu umfangreich sind die Strukturen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten rund um Finanz- und Anlagegeschäfte gebildet haben. Nicht nur zahlreiche internationale Banken und sonstige Finanzdienstleister sind in dem Land tätig, sondern auch eine Vielzahl individueller Akteur*innen. Symptomatisch ist die Zahl der Notar*innen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht hat. Ihre Dienstleistungen sind für Firmengründungen und Immobiliengeschäfte unerlässlich. In dem Standesverband AEU sind nach eigenen Angaben rund 7000 Personen zusammengeschlossen, eine Notarin oder ein Notar pro 500 Einwohner*innen des Landes. In Deutschland beträgt das Verhältnis 1:12 000.
Die immense Zahl lässt sich nur dadurch erklären, dass sich viele, vor allem größere, Notariate auf die Betreuung solventer Kund*innen aus dem Ausland spezialisiert haben. Kontrolliert wird dieser Sektor kaum, nicht nur aufgrund seiner starken politischen Lobby, sondern auch wegen der großen wirtschaftlichen Bedeutung, die der Geldfluss aus dem Ausland vor allem im Immobiliensektor hat. So flossen zwischen 2020 und 2023 allein im Gebiet des renommierten Badeorts Punta del Este rund sechs Milliarden Dollar in diesen Sektor, wobei das Geld fast ausnahmslos aus dem Ausland stammte. Bei dieser Höhe scheinen die existierenden Kontrollmechanismen eher formale Standards zu simulieren, als Geldwäsche effektiv zu bekämpfen. In der Sonderstaatsanwaltschaft, die Geldwäsche verfolgen soll, arbeiten nach Medienberichten gerade einmal „sechs oder sieben Personen“.
Ein Loch im Dach
Auch andere Teile des Staatsapparates geben ein zweifelhaftes Bild ab, wenn es um die Bekämpfung der Drogenkartelle geht. Als bekanntestes Beispiel gelten die Vorkommnisse um das Ndrangheta-Mitglied Rocco Morabito. Obgleich er zu den weltweit meistgesuchten Personen zählte, hatte Morabito unter falschem Namen 13 Jahre lang unbehelligt in Punta del Este gelebt, bevor er 2017 festgenommen werden konnte. Was folgte, waren zwei Jahre Auslieferungshaft. Morabito sollte nach Italien überstellt werden, wo er aufgrund seiner zentralen Rolle beim Drogenhandel von Brasilien nach Italien zu 30 Jahren Haft verurteilt worden war. Allerdings verschwand Morabito von einem Tag auf den anderen zusammen mit drei weiteren Inhaftierten bei einem Arbeitseinsatz außerhalb des Gefängnisses. Das Quartett sollte helfen, das ehemalige Zentralgefängnis von Montevideo zu renovieren, und floh durch ein Loch im Dach. Offenbar kam niemandem, weder im Innenministerium noch im Justizapparat, in den Sinn, dass ein Narco dieses Kalibers mit besonderen Sicherheitsvorgaben zu bewachen sei.
Marset, Ramírez und Morabito sind lediglich die bekanntesten Beispiele für den eigenwilligen Umgang uruguayischer Behörden mit wichtigen Personen des internationalen Drogenhandels. Ob es sich bei diesem Agieren tatsächlich, wie oft behauptet, um eine Mischung aus Fahrlässigkeit, unzureichenden Kontrollmöglichkeiten und mangelndem Problembewusstsein handelt, mag dahingestellt sein. Genauso legitim erscheint die Vermutung, dass dem Laissez-faire im Umgang mit den Narcos eine Furcht vor einer offenen Konfrontation zugrunde liegt, im übertragenen Sinne wie ein Appell an den alten Bandenkodex: Wir lassen das eigene Viertel in Ruhe, dafür halten die Leute gegenüber der Polizei den Mund.
Tatsächlich blieb Uruguay als eines der wenigen Länder der Region bisher von blutigen Machtdemonstrationen der Kartelle verschont, mit denen sie nicht nur offen die staatlichen Institutionen herausfordern, sondern im Extremfall die gesellschaftliche Verfasstheit ins Wanken bringen. So zuletzt geschehen in Ecuador. Dabei steht außer Frage, dass die Sicherheitskräfte Uruguays im Falle einer Eskalation Strukturen wie dem PCC nur wenig entgegenzusetzen hätten. Es mag deswegen nachvollziehbar sein, den „Kampf gegen den Drogenhandel“ nicht allzu konsequent zu führen, zumal die Wirtschaft des Landes von den erwirtschafteten Geldern der Narcos in der Vergangenheit zweifelsfrei profitiert hat.
Entsprechend skeptisch sollte man die Meldung interpretieren, dass der Hafen von Montevideo künftig wieder strenger kontrolliert werde. Anfang Oktober wurden drei neue Scanner in Betrieb genommen. Aber ob die das menschliche Wegsehen bei manchen Kontrollen verhindern, bleibt abzuwarten. Zumindest bei dem Drogenfund in Portugal stellte sich heraus, dass der Container bereits in Montevideo gescannt wurde. Es war wohl niemandem aufgefallen, dass sich unter Tonnen von Sojamehl eine illegale Fracht befand.