Deals mit Diktatoren
Der Potsdamer Historiker Frank Bösch hat im Verlag C. H. Beck eine erhellende zeitgeschichtliche Abhandlung darüber veröffentlicht, wie die Bundesrepublik Deutschland bis zur Wiedervereinigung mit Diktaturen in Ost- und Südeuropa, Asien, Afrika und Lateinamerika zusammenarbeitete. Er legt damit eine Nachkriegsgeschichte Deutschlands vor, die verschiedene Perspektiven berücksichtigt: etwa die Lehren aus der NS-Zeit für die Menschenrechte und für den Umgang mit Potentaten einerseits sowie mit Exilierten, „Gastarbeitern“, Geflüchteten andererseits, oder die Frage, inwiefern zivilgesellschaftliches Engagement die Regierungen Adenauer, Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl beziehungsweise einige Ministerpräsidenten wie Strauß oder Filbinger beeinflusst und entsprechende Handlungen hervorgerufen hat.
Im Mittelpunkt steht die Politik der BRD gegenüber Diktaturen in China, Iran, Osteuropa, Spanien, Südafrika oder Libyen. Uns interessieren die Kapitel 7 bis 9, die Beziehungen zu den Diktaturen in Lateinamerika. Bösch lässt mittelamerikanisch-karibische Tyrannen wie Trujillo, Somoza oder Batista außer Acht, Castros Cuba streift er nur am Rande. Er konzentriert sich auf die Militärregimes in Chile, Argentinien und Brasilien, auf die Hilfe für Geflüchtete oder die verweigerte Solidarität mit Verfolgten, auf die Reaktionen von Kirchen, einiger Städte wie Frankfurt, München, Bremen oder Hamburg sowie der Zivilgesellschaft.
Der Rolle der deutschen Sektion von Amnesty International bei der Unterstützung von Gefangenen und Geflüchteten aus Chile und Argentinien ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Bösch untersucht die Ursprünge Amnestys in den 1960er-Jahren, und wie die Organisation in den ersten Jahren agierte. Er hat den „seit 1968 dichten Archivbestand“ und die „zahlreichen Amnesty-Schreiben in Regierungsakten und den Nachlässen von frühen Akteuren“ erstmals ausgewertet. Damit zeigt er, wie Amnesty mit Regierung und Behörden interagierte und wie die Hilfsorganisation „trotz Spannungen maßgeblich den bundesdeutschen Umgang mit Diktaturen beeinflusste“.
Besonders lesenswert ist, wie das Wirken der deutschen Sektion von Amnesty rekapituliert wird: die Mobilisierung von Unterstützung für Gefangene in aller Welt in den 1970er-Jahren, vor allem im Cono Sur, das strategische Orchestrieren von Briefbombardements an Politiker*innen in Deutschland und aller Welt. Bösch schildert dies überzeugend als eine „Neuentdeckung der Menschenwürde“, die „ein Gegengewicht zur pragmatischen deutschen Regierungspolitik“ darstellte, die sich immer gerne auf Autokratien eingelassen, deutsche Interessen verfolgt und den Handel befördert habe. Die Reaktionen auf den Chile-Putsch, so Bösch, können als „Durchbruch des Einsatzes für die Menschenrechte in den internationalen Beziehungen“ gelten. Schließlich habe kaum ein Militärputsch die Menschen in aller Welt so intensiv bewegt wie der vom 11. September 1973. Schon die ersten Meldungen über den Sturz der demokratisch gewählten Regierung Allende sorgten in Ost und West für Solidarität mit den Gefangenen und für massenhafte Proteste gegen die brutale Repression des faschistisch anmutenden Regimes. Auch diese bewegenden Passagen, vor allem die Reaktionen in der DDR und der BRD, die sich in einem Systemwettbewerb befanden, tragen zum Reiz des Buches bei.
Bei den älteren Leser*innen werden Erinnerungen wach: an das unselige, in alter Tradition wurzelnde Agieren der Deutschen Botschaft in Santiago, der ein Alt-Nazi vorstand. Oder an das destruktive Treiben von konservativer Seite, etwa von Franz-Josef Strauß in Bayern. Der Freistaat nahm, abgesehen vom SPD-regierten München, kaum Exil-Chilen*innen auf. Aber es werden auch Erinnerungen an das durchaus erfolgreiche Wirken (für Freilassung und Aufnahme von Gefangenen) von Akteuren wie Willy Brandt, Hans Matthöfer oder Gustav Heinemann geweckt.
Breiten Raum nimmt die Rolle des damals in Chile wirkenden evangelischen Theologen Helmut Frenz ein, dem es gelang, Hunderte aus Pinochets Kerkern zu retten. Sein Engagement führte nicht nur dazu, dass ihm von Pinochet die Wiedereinreise nach Chile verweigert wurde, sondern auch dazu, dass sich in Chile die Evangelisch-lutherische Kirche spaltete und sich dort eine regimetreue Lutherische Kirche gründete.
Das gut lesbare Buch liefert Anregungen für eine weitere Auseinandersetzung mit dem bundesdeutschen Umgang mit Pinochets Chile, zeigt aber auch die Unterschiede zum Umgang mit der argentinischen Diktatur auf. Der dortige Putsch 1976 sorgte für weitaus weniger Empörung, da er sich, so Bötsch, auch gegen instabile Verhältnisse und Terrorismus richtete, mit dem die BRD damals ebenfalls konfrontiert war. Zudem ist das Buch aktuell, denn Themen wie Umgang mit Diktaturen, Stärkung der Menschenrechte, Flucht und Migration beschäftigen uns heute mehr denn je.