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Chiapas im Schockzustand

Padre Marcelo, der mutigste Friedensprediger, ist ermordet worden

Am frühen Sonntagmorgen des 20. Oktober erschossen Unbekannte den Priester Marcelo Pérez, nachdem er eine Messe abgehalten hatte. Der Mord an einem Priester, mitten in der Stadt San Cristóbal, erinnert an das Attentat auf Bischof Oscar Romero, der in El Salvador während des Bürgerkriegs ermordet wurde. Marcelo, immer mit einer Che-Guevara-Mütze auf dem Schopf, trug oft ein T-Shirt des verehrten „San Romero“. Nun teilt er dessen Schicksal.

Philipp Gerber

Seit dem Mord am mutigen „Padre“ steht Chiapas unter Schock. „Nicht einmal in den 90er-Jahren, als der Krieg mit den Paramilitärs grassierte, verlor die Diözese von San Cristóbal einen der ihren“, bemerkte die Menschenrechtlerin Ana Valadez.

Kaum eine Tat wurde so lange angekündigt wie diese. Marcelo erhielt Drohungen, seit er vor über zehn Jahren als Pfarrer der Tsotsil-Gemeinde Simojovel gegen den Verkauf von Alkohol und Drogen predigte. Ab 2021 spitzte sich die Gewalt zu, und damit mehrten sich auch die Morddrohungen gegen den engagiertesten Priester des Hochlandes. Im Juni 2021 wurde in Simojovel der Pazifist Simón Pedro Pérez López ermordet. Selbstverständlich hielt Padre Marcelo die Messe beim Begräbnis des Aktivisten und führenden Mitglieds der basiskirchlichen Organisation „Las Abejas“.

Kurz darauf probte die Selbstverteidigungsgruppe „El Machete“ im benachbarten Pantelhó den Aufstand und vertrieb die Familie Herrera gewaltsam. Diese Familie, seit 20 Jahren an der Macht, pflege Kontakte zur organisierten Kriminalität und sei für über 200 Morde verantwortlich, klagten die Bewohner*innen von Pantelhó nach dem Aufstand. Padre Marcelo stellte sich mutig auf die Seite der Bevölkerung, betonte jedoch, dass Waffengewalt keine Lösung sei. Die Behörden müssten handeln, um einen gerechten Frieden herzustellen.

Auch einige der Bewaffneten von „El Machete“ begingen Straftaten. So verschwanden 21 Angehörige des Herrera-Clans spurlos. Deren Familien konnten erreichen, dass die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen den „roten“ Priester erließ, jedoch ohne Beweise vorzulegen. Die Morddrohungen gegen Padre Marcelo wurden immer heftiger. Seine Diözese versetzte ihn nach San Cristóbal, doch die Stadt verwandelte sich ebenfalls in einen Schauplatz von kriminellen Banden. So wurde Gregorio Pérez Gómez, Staatsanwalt für indigene Fragen, auf offener Straße ermordet, nachdem er die kriminellen Strukturen der Herreras zu untersuchen begann.

Padre Marcelo arbeitete weiterhin unermüdlich an der Kirchenbasis gegen die ausufernde Gewalt. „Chiapas ist ein Pulverfass, es gibt viele Verschwundene, Entführte und Ermordete aufgrund der Präsenz des organisierten Verbrechens“, warnte er am 13. September 2024 während eines Friedensmarsches in der Hauptstadt Tuxtla Gutiérrez, an dem Zehntausende teilnahmen.

Doch die politische Klasse in Chiapas hat andere Prioritäten. Der Morena-Gouverneur Rutilio Escandón übergibt sein Amt im Dezember an Eduardo Ramírez Aguilar, ebenfalls von Morena. Am 30. September setzte das von Morena dominierte Parlament in seiner letzten Sitzung einen neuen Gemeinderat für Pantelhó ein. Gewählt wurden berüchtigte Figuren wie Cleyimtin Rubén Herrera Gutiérrez, der Bruder von Daily de los Santos Herrera. Letzterer wurde als Drahtzieher des Mordes am Staatsanwalt Gregorio Pérez zu 25 Jahren Haft verurteilt. Die sogenannte Linke in Chiapas hat keinerlei Berührungsängste mit der Mafia. Tage später geschah der lange angekündigte Mord an Padre Marcelo.

Das Menschenrechtszentrum Frayba (Abkürzung für Fray Bartolomé de las Casas) erinnerte daran, dass der mexikanische Staat seit 2015 von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission angewiesen worden sei, Marcelos Sicherheit zu gewährleisten. Doch es sei nichts unternommen worden, um gegen die Ursachen der Bedrohungen vorzugehen. Deshalb bezeichnet das Zentrum den Mord an Marcelo Pérez als extralegale Hinrichtung. Das Menschenrechtsnetzwerk Red TDT Todos los Derechos para Todos, Todas y Todes, dt. Netzwerk Alle Rechte für Alle) betonte, das Verbrechen an Marcelo Pérez untergrabe „alle Friedensbemühungen in Chiapas“. Das UN-Menschenrechtsbüro in Mexiko verurteilte den Mord in ungewohnt harschem Ton als „absolut inakzeptabel“.

Das Begräbnis von Padre Marcelo fand in San Andrés Sakamchén de Los Pobres statt, seiner Heimatgemeinde, in der nach dem Aufstand der Zapatistas die Friedensverhandlungen stattfanden. „Gerechtigkeit! Schluss mit der Präsenz der organisierten Kriminalität“, riefen Tausende Indigene beim Abschied des geliebten Priesters. Am gleichen Tag vermeldete die Staatsanwaltschaft die Verhaftung des angeblichen Attentäters. Von den Drahtziehern fehlt noch jede Spur. Angeblich.

https://www.educaoaxaca.org/al-padre-marcelo-lo-mataron-por-acompanar-la...