Was vom Täter übrig bleibt
Vor drei Jahren, am 11. September 2021, starb Abimael Guzmán im Alter von 86 Jahren. Der Tod ereilte ihn in seiner Zelle, wo der historische Anführer der berüchtigten Kommunistischen Partei Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) seit 1992 saß. Er war gleich zwei Mal zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. In fast 30 Jahren hatte er sich kein einziges Mal für die unzähligen Verbrechen entschuldigt, die der Leuchtende Pfad von 1980 bis 2000 während des bewaffneten Konflikts in Peru begangen hatte. Guzmáns Tod löste eine Debatte aus: Was sollte mit seinen sterblichen Überresten geschehen? So begann das politische Leben eines Leichnams.
Angesichts des Todes von Abimael Guzmán stellt sich die Frage, was mit dem Leichnam eines „Täters“ geschehen soll, der Verbrechen gegen die Menschheit begangen hat. Der Begriff „Täter“ tauchte zum ersten Mal im Zusammenhang mit Studien über die Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg auf. Seitdem wird er von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen überarbeitet und neu definiert. Im Allgemeinen bezieht sich der Begriff „Täter“ auf Einzelpersonen oder Gruppen, die für die Planung, den Befehl und/oder die Ausführung von Verbrechen unter schwerer Verletzung der Menschenrechte verantwortlich gemacht werden. Vor diesem Hintergrund gehören Kriegsverbrecher, Diktatoren, Tyrannen und internationale Terroristen zum Kreis der Täter.
Insbesondere die Nürnberger Prozesse (1945-1946) waren ein prägendes historisches Ereignis, bei dem ein Täterbild geschaffen wurde, das Elemente von Abnormität und Sadismus aufweist. Dass ein Täter als ein Wesen gilt, das dermaßen gegen alles Menschliche verstößt, zeigt, wie unvorstellbar es ist, sich selbst in dieser Rolle vorzustellen. Erst die Überlegungen der Philosophin Hannah Arendt ermöglichten es, Täter als Personen und nicht nur als Dämonen mit unmenschlichen Zügen zu verstehen sowie ihre Subjektivität, ihre ideologischen Positionen und Erinnerungen zu untersuchen. Das Problem ihrer sterblichen Überreste geht mit der Frage einher, wie man ihrer Verbrechen gedenken und mit ihrem Erbe umgehen soll, insbesondere in den Gesellschaften, die noch immer mit der gewalttätigen und schmerzhaften Vergangenheit zu kämpfen haben, die diese Täter verursacht haben.
Das politische Leben bestimmter Leichname
Auf der ganzen Welt wurden Leichen von Tätern ausgegraben und wieder bestattet, geschändet, verstümmelt, zurückgefordert und zurückgegeben. Bestimmte Leichen haben also ein „politisches Leben“, können politisch instrumentalisiert werden, um eine Wiederbelebung von Erinnerungen oder eine Neubewertung der Vergangenheit zu bewirken. Die Leiche von Abimael Guzmán bildet da keine Ausnahme.
Als sein Tod bekannt wurde, beantragte seine Witwe, die ebenfalls inhaftierte Kampfgefährtin Elena Iparraguirre, als erste die Freigabe des Leichnams. Die Behörden lehnten ihren Antrag ab, aus Gründen der inneren Sicherheit. In bestimmten Kreisen der Öffentlichkeit löste die Nachricht vom Tod Abimael Guzmáns Unglauben aus. Vermutet wurde eine Falschmeldung, die die Regierung als politisches Ablenkungsmanöver inszeniert habe. Deshalb zwang eine Gruppe von Kongressabgeordneten die Staatsanwaltschaft dazu, Beweise zu veröffentlichen, die den Tod des ehemaligen Anführers des Sendero Luminoso bestätigen sollten. Angehörige von Opfern des Konflikts und Menschenrechtsorganisationen sprachen sich ihrerseits gegen ein Grabmal aus. Stattdessen schlugen sie die Einäscherung seines Leichnams vor: „Obwohl seine Angehörigen das Recht haben, seine sterblichen Überreste zu erhalten und zu begraben, kann das Land nicht den Bau von Mausoleen oder Pilgerstätten zulassen“, so die Menschenrechtskommission. „Dieser Mörder muss eingeäschert werden und seine Asche muss verschwinden“, sagte die Vereinigung von Familienangehörigen der Entführten, Verhafteten und Verschwundenen.
Die Idee der Einäscherung gewann schnell an Bedeutung, sodass der Sprecherausschuss des Kongresses vom damaligen Präsidenten Pedro Castillo forderte: „Der Leichnam des Völkermörders Abimael Guzmán sollte verbrannt werden. Den Gefolgsleuten des Sendero Luminoso und ihren derzeitigen Tarnorganisationen sollte nicht der Raum gegeben werden, um den Terroristenführer zu legitimieren, der für Tausende Tote in unserem Land verantwortlich ist.“ Lediglich ein Abgeordneter setzte sich dafür ein, Guzmáns sterbliche Überreste menschenwürdig zu behandeln: „Er muss seinen Verwandten übergeben werden, wie jeder andere Mensch, wie jeder andere Peruaner auch“, sagte Guillermo Bermejo.
Der Minister für Justiz und Menschenrechte unterstützte jedoch die Idee der Einäscherung. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass in Peru jede Würdigung von Menschen, die als Terroristen galten, gleichbedeutend mit Rechtfertigung von Terrorismus ist und ein Verbrechen darstellt, das mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft wird. Daher verabschiedete der Kongress das Gesetz Nr. 31352, das dem Staat erlaubt, die Leiche eines inhaftierten Terroristenführers einzuäschern, und ihn davon befreit, die Asche an seine Verwandten zu übergeben. Gemäß diesem Gesetz wurde der Leichnam von Guzmán zwei Wochen nach seinem Tod eingeäschert, ohne preiszugeben, was mit seiner Asche geschah.
Angst vor dem Täterkult
Der Tod des Anführers vom Leuchtenden Pfad beschwor alte Schreckensbilder herauf, die an die Zeit der kollektiven Angst erinnerten. Zugleich kam die – berechtigte – Befürchtung auf, dass seine Grabstätte zu einem Wallfahrtsort werden könnte. Zu Guzmáns Lebzeiten war der Kult um seine Figur wesentlich für sein politisches Projekt. Bei diesem Personenkult überlagerten sich politisch-ideologische mit quasi-religiösen Überzeugungen. Die Leichen bestimmter Sendero-Mitglieder dienten der Heldenverehrung, sowohl bei ihrer Beerdigung selbst als auch danach an ihren Grabstätten. Ein erster Präzedenzfall führt uns zurück in die Zeit, als Sendero Luminoso bei der Landbevölkerung noch gewissen Anklang fand, weil er Gerechtigkeit und Gleichheit versprach. Im Jahr 1982 starb die Sendero-Studentin und Dichterin Edith Lagos bei einer Konfrontation mit antisubversiven Kräften. Eine Menschenmenge von 10 000 Menschen begleitete den Trauerzug der jungen Aktivistin vom Leuchtenden Pfad. Seitdem wird ihr Grab besucht, wurde aber auch einige Male in die Luft gesprengt. Ende 2018 sorgte ein weiteres Grab für Kontroversen. Das Mausoleum, in dem die Leichen von acht Senderistas lagen, die 1986 im Gefängnis „El Frontón“ von Staatsbeamten ermordet worden waren, wurde abgerissen. Die Leichen wurden an unbekannten Orten beigesetzt. Als dies bekannt wurde, bezeichnete eine Lokalzeitung die Forderung der Angehörigen nach einer würdigen Bestattung ihrer Toten als „Rechtfertigung von Terrorismus“. Diese Formulierung taucht seitdem immer wieder in der Presse auf. Nach Ansicht der Anthropologin Valérie Robin hat der Abriss des Mausoleums dazu geführt, dass das Bild der Märtyrer vom Leuchtenden Pfad verstärkt und damit diese Toten verherrlicht wurden.
Die Forderung nach einer würdevollen Bestattung führt uns zu der Frage, ob ein Täter gleichzeitig Opfer sein kann. Dieses Spannungsverhältnis wird durch das Mahnmal „El ojo que llora“ („Das weinende Auge“) in Lima verkörpert. Auf dem Felsbrocken stehen 41 Namen von Mitgliedern des Leuchtenden Pfades, die in den 1990er-Jahren von der Polizei umgebracht wurden. Dass Namen von Senderistas neben den Namen von zivilen und militärischen Opfern stehen, hat zu einer gewissen Ablehnung der Gedenkstätte geführt. Mehrere Male hat es dort sogar Akte von Vandalismus gegeben. In gewisser Weise entspricht die Ablehnung dieser Gedenkstätte der Logik des „Leuchtenden Pfades“, der die Toten ebenso wenig mit Würde behandelte. Der Modus Operandi des Sendero Luminoso während des internen Konflikts zeigte eine tiefe Missachtung des menschlichen Lebens. Durch das Verbot von Beerdigungs- und Trauerritualen versuchte die subversive Organisation, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Die schwierige Frage, wie mit einem „unerwünschten“ Leichnam umzugehen sei, stellte sich erneut mit dem Tod von Abimael Guzmán, dessen Bild mit Terror und Schmerz verbunden ist.
Bilder zu Abimael Guzmán
In den letzten vier Jahrzehnten sind verschiedene Vorstellungen rund um den historischen Anführer des Leuchtenden Pfades entstanden. Abimael Guzmán wurde in der kollektiven Vorstellung vom Universitätsprofessor zum schlimmsten Feind des Landes, der in der Lage war, sein politisches Projekt durch Terror zu verfolgen. Nach seinem Tod stand das Gesicht von Abimael Guzmán, das seit seiner Festnahme 1992 nur selten in der Öffentlichkeit gezeigt wurde, wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Die Titelseiten der peruanischen Presse verkündeten seinen Tod mit Schlagzeilen wie: „Er starb besiegt“, „Die Bestie starb“, „Das Monster starb!“, „Mörder in der Hölle“, „So starb die ‚Hyäne‘“, „Der Teufel ist weg“, „Nie wieder Terrorismus“. Sprache ist wesentlich bei der Konstruktion von Bildern. So überrascht es nicht, dass er als Tier dargestellt wird, als Bestie, gleichzeitig mit „dämonischen“ Bezügen, die für religiöse Sprache typisch sind: das Bild eines Täters, der seiner menschlichen Natur beraubt ist, der göttlichen Gerechtigkeit unterworfen. Im Gegensatz dazu hatten die Zeitungen 1992 die Nachricht von seiner Festnahme als seine große Niederlage dargestellt: „Abimael ist gefasst“ oder „Der meistgesuchte Attentäter des Jahrhunderts – Abimael Guzmán ist endlich festgenommen“. Seine öffentliche Zurschaustellung in einem riesigen Käfig und in einem emblematischen schwarz-weiß gestreiften Anzug wurde zum ikonischsten Bild von ihm. Mit der Bekanntgabe seines Todes verblasste paradoxerweise dieses kollektive Gefühl des Triumphs und der Erleichterung, das nach seiner Festnahme vorgeherrscht hatte. Der größte Teil der Presse griff das Bild des „animalischen“ Gesichts wieder auf und bediente sich einer Sprache, die die Angst vor seiner Gestalt schürte. So entstand der Eindruck einer Rückkehr in eine höllische Zeit. Mit dem Tod von Abimael Guzmán ist diese potenzielle Bedrohung auf den Ort übergegangen, an dem sein Leichnam liegen könnte. Das so konstruierte Schreckensbild zeigt die Macht eines Diskurses, der ein Anderssein suggeriert, das keine würdige, geschweige denn öffentliche Trauer verdient.
Ironie der Geschichte
In Peru lösten die fehlenden Vorschriften zum Umgang mit den Leichen und Gräbern der Anführer terroristischer Organisationen, wie im Fall von Abimael Guzmán, eine scheinbar kontroverse Debatte aus. Das Entsetzen über seine Gestalt führte dazu, dass andere mögliche Alternativen zum Verschwindenlassen seines Leichnams verworfen wurden. Somit verfielen der peruanische Staat und die gesamte Gesellschaft der gleichen Logik wie der des Sendero Luminoso: den Feind zu eliminieren, einschließlich seines Leichnams und des Gedenkens an ihn. Ironie der Geschichte: Ebenfalls an einem 11. September starb 2024 der ehemalige Diktator Alberto Fujimori, der auch in Verbrechen gegen die Menschheit verwickelt war. Am gleichen Tag und in genau demselben Alter wie Abimael Guzmán. Fujimori, der sich ebenso wenig für seine Verbrechen entschuldigt hat, wurden bei seiner Beerdigung fragwürdige staatliche Ehren zuteil. Dieser Zufall ist niemandem entgangen. Von nun an wird es sehr schwierig sein, den Tod der beiden Figuren voneinander zu trennen.
Übersetzung: Hans Ulrich-Dillmann
Anmerkung: Die offizielle deutsche Übersetzung des englisch formulierten Straftatbestands „crime against humanity” ist „Verbrechen gegen die Menschlichkeit”; es gibt aber einen auf Hannah Arendt zurückgehenden Diskurs, das mit „Verbrechen gegen die Menschheit” zu übersetzen. (Anm. d. Säzz.)