Vivan las Mariposas
Es war ein Freitag, der 25. November 1960. Schon in den frühen Morgenstunden hatten die Widerstandskämpferinnen Patria, Minerva und María Teresa Mirabal die elterliche Finca in der Nähe der dominikanischen Kleinstadt Salcedo verlassen, um ihre Männer in Haft zu besuchen. Sie sollten nie zurückkehren. Ihre Geschichte steht symbolisch für den Kampf gegen Diktatur und Patriarchat. Und der 25. November vereint bis heute Feminist*innen weltweit.
Ein Fahrer sollte die Schwestern in die Hafenstadt Puerto Plata bringen, wo ihre Männer inhaftiert waren. Sie gehörten zur 1959 gegründeten Widerstandsbewegung „Movimiento Revolucionario 14 de Junio“ (1J4), die gegen das Terrorregime des Diktators Rafael Leónidas Trujillo Molina kämpfte. Der Hitler-Bewunderer hatte seit einem Militärputsch im März 1930 das Land tyrannisiert, das sich mit Haiti die Karibikinsel Hispaniola teilt.
Die vierte „Dedé“ gerufene Schwester Bélgica (1.3.1925 – 1.2.2014) war zu Hause geblieben (Nachruf siehe ila 373), um auf die Kinder der drei aufzupassen. Als es Abend wurde, waren die Geschwister nicht wie vereinbart zurückgekommen. Am anderen Morgen standen Militärs und Polizisten vor der Tür der Familie. Die Schwestern und ihr Fahrer seien tot. „Sie haben sie umgebracht“, schrie Dedé damals ihre Wut und Ohnmacht hinaus.
Die Tat wurde als Autounfall getarnt, eine damals auf der Insel übliche Praxis, um politische Gegner zu liquidieren. Denn auch die Mirabal-Schwestern waren Mitglieder des „14. Juni“. Ihr Tarnname: „Las Mariposas“, die Schmetterlinge. Die Schwestern stammten aus einer wohlhabenden Familie im Landesinnern. Der Vater Enrique schickte seine Töchter zur höheren Schule und förderte, ungewöhnlich für die Zeit, ihr Studium. Die älteste Tochter Patria verließ bereits mit 17 Jahren die Oberschule und heiratete Pedro González, einen Farmer. Die jüngste Tochter María Teresa studierte in den 1950er-Jahren an der Universität von Santo Domingo (UASD) Mathematik und heiratete den Ingenieur Leandro Guzmán. Dedé dagegen stieg schon früh in das Geschäft ihres Vaters ein, das sie nach seinem Tod übernahm.
„Minerva war die Selbstbewussteste“, erzählte Dedé Jahrzehnte später. Sie trug gerne Hosen, schmauchte Zigarren und fuhr das Fahrzeug des Vaters. Sie sei als Tochter eines Finca-Besitzers für die bessere Gesellschaft eine Provokation gewesen. Die selbstbewusste Minerva war bald Gesprächsstoff in der Hauptstadt. 1949 wurde die junge Frau zu einer von Trujillo ausgerichteten Party eingeladen, oft nutzte er diese Feste, um sich junge Frauen der Elite des Landes „zuführen“ zu lassen. Minerva Mirabal düpierte Trujillo, der sich gerne als der „erste Liebhaber“ des Landes gerierte, als sie sich seiner sexuell motivierten Anmache auf dem Fest widersetzte. Ob sie ihn auch ohrfeigte oder nicht, gehört eher zum Widerstands-Mythos des Landes.
Enrique Mirabal, der Vater der Widerspenstigen, bekam die Konsequenzen zu spüren. 1949 und 1951 wurde er willkürlich inhaftiert, im Dezember 1953 starb er an den Folgen der Inhaftierungen. Erst Mitte der 1950er-Jahre konnte sich Minerva für ein Jurastudium an der Universität von Santo Domingo einschreiben. Sie war die erste Frau des Landes, die ein Jurastudium abschloss, und das summa cum laude. In Santo Domingo lernte sie Manolo Tavárez kennen, einen Juristen. Wie die Familien von Guzmán und González war auch er ein Gegner des Karibik-Tyrannen. Eine erste Guerilla-Invasion zum Sturz Trujillos scheiterte am 14. Juni 1959. Die drei Paare gehörten zu den Gründungsmitgliedern der „Bewegung 14. Juni“.
Die Schwestern wurden Anfang 1960 gemeinsam mit ihren Ehemännern verhaftet, aber dann im Gegensatz zu diesen freigelassen. Dass sie maßgeblich zur Gründung der Bewegung beigetragen hatten, entzog sich Trujillos Spitzelsystem. Die Frauen wurden als „Ehefrauen“ und nicht als handelnde Subjekte innerhalb des Widerstandes wahrgenommen. Doch als sie vom Besuch ihrer Lebensgefährten nach Hause zurückkehrten, lauerte das Mordkommando. Späte Rache dafür, dass Minerva sich ihm verweigert hatte. Die Leichen wurden samt Fahrzeug in eine Schlucht gestoßen. Heute steht auf der Straße in El Cumbre am Abgrund ein Denkmal für die Nationalheldinnen und ihren Chauffeur.
Doch Trujillo konnte die Linke nicht so schwächen wie erhofft. Ein halbes Jahr später lag der selbsternannte „Wohltäter des Vaterlandes“ erschossen im Straßengraben am Malecón der Hauptstadt Santo Domingo, damals noch nach ihm Ciudad Trujillo benannt. Es folgten Jahre des Ringens um die politische Macht im Land. 1965 gab es einen Aufstand der Linken, das Land wurde von US-Marines besetzt. Bei der Niederschlagung des Guerillafokus im selben Jahr wurden der Ehemann von Minerva Mirabal, Manolo Tavárez, und die Mehrheit des Zentralkomitees der 1J4 ermordet. Die fast 30 Jahre danach unter der Herrschaft des Autokraten Joaquín Balaguer, der schon Trujillo gedient hatte, sind als die bleiernen Zeiten in die Geschichte des Landes eingegangen. Als die Zeit Balaguers im Jahr 1996 durch Wahlen endete, hieß der neue Vizepräsident Jaime David Fernández Mirabal – er war der Sohn von Dedé. Die Tochter von Minerva Mirabal, Minou, wurde als stellvertretende Außenministerin des Landes vereidigt.
Umgebracht – auch weil sie Frauen waren
„Las Hermanas Mirabal“, Aída Patria Mercedes, Patria gerufen, (36 Jahre), María Argentina Minerva, Minerva gerufen, (34 Jahre) und Antonia María Teresa, María Teresa gerufen (25 Jahre) stehen in der Dominikanischen Republik nicht nur für Frauen im Widerstand, sondern auch als Sinnbild der alltäglichen Gewalt gegen Frauen und Mädchen.
„Minerva, Patria und María Teresa“, resümierte die dominikanische Feministin und Schriftstellerin Ángela Hernández vier Jahrzehnte später, „waren für uns ein Beispiel für das Spektrum von häuslicher, sexueller, politischer und kultureller Gewalt, unter dem wir Frauen leiden. Sie sind nicht nur umgebracht worden, weil sie im Widerstand gegen Trujillo waren, sondern auch, weil sie Frauen waren und sich immer wieder seinen Avancen verweigert hatten. Ein Teil der Tyrannei charakterisierte sich auch durch die sexuelle Ausbeutung von Frauen durch Trujillo.“
Es hat sich wenig geändert. Über 70 Frauen und Mädchen wurden 2022 in der Dominikanischen Republik aus geschlechtsspezifischen Gründen ermordet, in Lateinamerika werden jedes Jahr mehr als 4000 Femizide registriert. Für die feministische Bewegung, die sich in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts formierte, wurden die „Schmetterlinge“ Sinnbild für die Gewalt gegen Frauen und der 25. November zu einem Datum für den Kampf gegen diese alltägliche und vielfältige Gewalt im Land. In diesem Geiste reisten Dominikanerinnen, eine von ihnen war Ángela Hernández, nach Bogotá, wo 1981 der erste feministische Kongress lateinamerikanischer Frauen stattfand.
Die Geschichte der Mirabals verbindet Sozialistinnen und Autonome
Auf diesem „Primer Encuentro Feminista Latinoamericano y del Caribe“ in Bogotá entwickelte sich damals eine kontroverse Diskussion, was „Gewalt gegen Frauen“ beinhaltet. Die Vertreterinnen sozialistischer und kommunistischer Organisationen begriffen dies als Reaktion auf politischen Widerstand: Folter an Frauen, Vergewaltigungen in der Folge von Festnahmen. Die autonomen Feministinnen orientierten sich an einem wesentlich breiteren Gewaltbegriff. Auch Vergewaltigung in der Ehe und machistisches Verhalten waren für sie Ausdruck des alltäglichen Gewaltverhältnisses, unter dem Frauen zu leiden hatten, und gleichzeitig patriarchales Instrumentarium zur Kontrolle von Frauen.
Während der Debatte über einen internationalen Aktionstag in Latein- und Mittelamerika und der Karibik, um auf diese vielfältigen Formen von Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen, schlug Ángela Hernández den 25. November vor. „In der Persönlichkeit der Hermanas Mirabal und ihrer Ermordung vereinte sich all das, was ‚Gewalt gegen Frauen‘ für uns alle beinhaltete“, betont Hernández. Seitdem gibt es den „Día Internacional de la No Violencia Contra la Mujer“.
18 Jahre später, am 17. Dezember 1999, bestimmte auf der 83. Plenarsitzung der Vereinten Nationen das Gremium den 25. November zum „Internationalen Tag für die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen“. „Es war für uns ein bewegender Augenblick. Denn dieser Tag erinnert auch an meine Schwestern“, sagte Dedé Mirabal Jahre später bei einem Besuch im Museum der „Hermanas Mirabal“ in Ojo de Agua, Salcedo. Die Provinz ist heute nach ihren Schwestern umbenannt. Auf der Zuschauer*innentribüne des UN-Plenarsaals in New York saßen auch Minou, die Tochter der ermordeten Minerva, damals stellvertretende Außenministerin der Dominikanischen Republik, und „Dedé“ Mirabal, die Schwester der „Mariposas“.
Buchhinweise: Julia Álvarez: Die Zeit der Schmetterlinge, München 2017, 428 Seiten • Dedé Mirabal: Vivas en su jardín. Miami, 368 Seiten • Mario Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks, Frankfurt am Main 2002, 538 Seiten