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Mit Mehrwertsteuer in den Krieg

Ecuadors Regierung reagiert mit Militarisierung auf steigende Narco-Gewalt

In wenigen Jahren ist aus einem der friedlichsten Staaten Lateinamerikas der gewalttätigste geworden. Mit dem organisierten Verbrechen verbandelte Banden scheinen das Land im Griff zu haben. Nach einem Überfall auf den Fernsehsender TC erklärte Präsident Daniel Noboa nun den „gewaltsamen internen Konflikt“ und lässt das Militär aufmarschieren. Widerspruch gibt es wenig.

Frank Braßel

Mindestens 47 Morde pro 100  000 Einwohner*innen registrierte Ecuador im vergangenen Jahr, konkret 8009 Personen. Im Januar deklarierte Präsident Daniel Noboa, keine zwei Monate im Amt, den „gewaltsamen internen Konflikt“ und berief die Streitkräfte zum zentralen Akteur im Kampf gegen die „Terroristen“, wie nun die Mitglieder von 22 Drogenbanden genannt werden. Eine toxische Mischung aus Staatsabbau, sozialer Krise und Jugendbanden, die von international agierenden Mafias angeheuert werden, hat das Land zu einem der wichtigsten Exporteure von Kokain gemacht. Gefördert wird das, schätzt das Lateinamerikanische Strategische Zentrum für Geopolitik CELAG, durch eine Geldwäsche im Umfang von bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der unterschiedlichsten Sektoren der ecuadorianischen Wirtschaft und Politik.

Anlass der internen Kriegserklärung war eine Besetzung des Fernsehsenders TC am 9. Januar in Guayaquil. Am Vormittag dieses Tages traf ich mich in Samborondon, der schicken Vorstadt der Hafenmetropole, mit Alina Manrique von eben diesem Fernsehsender. Sie hat als einzige Journalistin Ecuadors die engen Verbindungen der Bananenindustrie mit dem Kokainhandel in ihrer Reportage „Narco Banano“ (www.tctelevision.com/narco-banano) herausgearbeitet. Bei beiden Produkten ist Ecuador einer der wichtigsten Lieferanten für den europäischen Markt. Mehr als die Hälfte der Drogen soll in Bananenkisten das Land verlassen, gut sieben Millionen Kisten pro Woche bieten dazu reichlich Gelegenheit. Zumal Kontrollmechanismen wie spezielle Scanner an den meisten Häfen des Landes nicht angebracht werden. Der Einfluss der Drogenmafias auf staatliche Stellen ist in den letzten Jahren dramatisch gewachsen, der der Bananenindustrie ist traditionell groß.

Alina Manrique äußerte sich bei unserem Treffen skeptisch über die Zukunft ihres Landes: „Wenn es noch schlimmer wird, wenn die Gewalt mich oder meine Kinder direkt betrifft, dann werde auch ich mir überlegen, ins Ausland zu gehen.“ Kaum zwei Stunden später stürmt ein Dutzend bewaffneter Männer die Räume von TC. Vor laufender Kamera halten sie Waffen an die Köpfe der Moderator*innen, drohen mit Sprengstoff. „Ich weiß nur noch, dass einer mit einer Pistole auf mich zeigte und ich mich auf den Boden warf. Erst als ein Uniformierter mich hochzog, fing ich wieder an zu leben“, sagte Alina Manrique danach.

Fake-News und Gerüchte über den Überfall auf den Fernsehsender

Der neue Präsident Daniel Noboa hat erst Mitte Dezember sein Amt angetreten und seitdem wenig Akzente gesetzt. Peinlich für ihn war, dass am 7. Januar das Verschwinden des bekanntesten Narcos Ecuadors, Adolfo Macías, genannt Fito, aus dem Gefängnis festgestellt wurde. Von dort aus leitete er über Jahre ein lukratives Drogen- und Erpressungsgeschäft. Offiziell heißt es, die Nachricht, dass Fito am nächsten Morgen in ein spezielles Hochsicherheitsgefängnis gebracht werden sollte, sei aus dem staatlichen Sicherheitsrat durchgesickert. Doch Noboa selbst hatte wenige Tage zuvor in einem Radiointerview verkündet, die drei wichtigsten inhaftierten Narcos würden verlegt, was offensichtlich Fito einschloss.

Die offizielle Version zum 9. Januar lautet, die Drogenmafias hätten mit der Besetzung von TC zum gemeinsamen Sturm auf die Regierung geblasen. Das ist nicht ausgeschlossen, dann wäre ihr Vorgehen allerdings so unprofessionell wie das der meisten staatlichen Institutionen. Die Besetzer der Fernsehstation hatten weder eine klare Botschaft an die Zuschauer*innen noch moderne Waffen, sie waren zum Teil minderjährig, der Älteste 26, und leisteten keinen Widerstand gegen ihre Verhaftung. All das spricht nicht für eine brutale Drogenbande. Zudem gab es bislang keinerlei Einheit unter den gut 20 Banden, die teils mit mexikanischen, kolumbianischen und albanischen Kartellen verknüpft sind. Ihre internen Konflikte sollen etwa 80 Prozent aller Morde in Ecuador verursachen.

Die öffentlich übertragene Besetzung der Fernsehstation hat Angst und Schrecken verbreitet. Gleichzeitig gingen eine Menge an Fake-Meldungen über die sozialen Netzwerke: In der Universität von Guayaquil würden Geiseln genommen, im Präsidentenpalast in Quito wären Schüsse zu hören. Nichts davon stimmte, sehr wohl aber die massenhaften Berichte über leider alltägliche Schießereien, Explosionen und Überfälle in unterschiedlichen Teilen des Landes. Die meisten Menschen zogen sich in ihre Wohnungen zurück, Schulen, Unis und Behörden schlossen – die Bevölkerung war noch stärker traumatisiert als zuvor.

Im privaten Gespräch, aber in keinem öffentlichen Statement, wird gemutmaßt, die Besetzung von TC könnte eine Inszenierung durch die Regierung gewesen sein. Diese hat den Vorfall in jedem Fall zügig und konsequent genutzt, um eine stärker militärisch orientierte Lösung des ecuadorianischen Konflikts voranzutreiben. Die Besetzung dauerte noch keine halbe Stunde, da erließ der Präsident ein Dekret, wonach es im Land einen „internen bewaffneten Konflikt“ gebe und er deshalb dem Militär weitgehende Befugnisse gab, unter anderem zum Einsatz in den Gefängnissen und bei öffentlichen Kontrollen. Kurz danach tauchten Bilder auf von hunderten von nur mit Unterhose bekleideten Gefangenen, die in einem Gefängnis von bewaffneten Soldaten angetrieben wurden. Solche Bilder kennt man sonst aus El Salvador unter dem autokratischen Präsidenten Bukele. Die Frage ist, wie die Regierung eine stabile Kontrolle über die Gefängnisse, die sie faktisch an die Drogenbanden abgegeben hat, wiedererlangt.

Militarisierung ohne Widerspruch

Zahlreiche Staaten haben der ecuadorianischen Regierung militärische und logistische Hilfe angeboten. Noboa möchte gerne die – nicht spezifizierte – Unterstützung Israels und der USA annehmen. Manche sprechen bereits von einem „Plan Ecuador“ analog zum milliardenschweren „Plan Colombia“, der 1999 im Nachbarland zur Aufstands- und Drogenbekämpfung erlassen wurde. Er führte zu einer enormen Brutalisierung der gesellschaftlichen Konflikte in Kolumbien und einer Verlagerung des Drogenhandels ins dollarisierte Ecuador. Und der Einsatz des FBI nach der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio im August 2023 hat bislang zu keinerlei Aufklärung beigetragen.

Differenziert über die militärische Lösung zu diskutieren, ist nicht das Gebot der Stunde. Alle Medien, alle politischen Parteien, selbst der ehemalige Präsident Correa haben sich hinter Noboas Dekret zum Einsatz des Militärs gestellt. Auch viele Linke meinen, es wäre an der Zeit, drastischere Schritte einzuschlagen. Der junge Präsident ist ungemein populär.

Die kritischste Analyse kam von dem anerkannten Sicherheitsexperten Luis Córdova von der Zentraluniversität in Quito. Dass die Ergebnisse der ersten Kabinettssitzung nach dem 9. Januar der Oberbefehlshaber der Streitkräfte kundtat, nicht etwa der Präsident, habe eine klare Botschaft: „Wer nun die Richtung des Landes vorgibt, wird nicht die zivile gewählte Macht sein, sondern die militärische.“ Doch dies lässt dem Präsidenten durchaus Spiel. Er ist in allen sozialen wie traditionellen Medien unterwegs und hat die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 12 auf 15 Prozent mit der Notwendigkeit der militärischen Investitionen begründet, ohne auf viel Widerspruch zu stoßen, obwohl damit die Armen den größten Beitrag leisten werden. Die schon beschlossene Amnestie für große Steuersünder*innen und die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen gehen in die gleiche wirtschaftsliberale Richtung wie die angestrebten neuen Arbeitsverträge auf Stundenbasis – wo schon vom offiziellen Monatslohn von 460 USD niemand menschenwürdig leben kann.

Eine Debatte, wie eine radikale Säuberung von Polizei, Justiz, Regierungsstellen und Wirtschaft vorangehen sollte, gibt es ebenso wenig wie eine über soziale Reformen gegen Armut und Ungleichheit. Obwohl hier zentrale Gründe für den Drogenhandel und die Rekrutierung jugendlicher Bandenmitglieder zu sehen sind, erwartet dies von Präsident Noboa auch niemand. Er stammt aus einer der größten Oligarchenfamilien, die es mit Bananen, Immobilien und weiteren 100 Unternehmungen zu einem Milliardenvermögen gebracht hat. In Alina Manriques Narcobananen-Feature taucht das traditionsreiche Familienunternehmen gleich zweimal auf: Kokain wird in Kisten mit dem Logo der hauseigenen Marke konfisziert, und der Film legt obskure Verbindungen des langjährigen Noboa-Managers und ehemaligen Landwirtschaftsministers Bernardo Manzano offen – unter anderen zu Rubén Cherres, Verbindungsmann zur albanischen Drogenmafia in Ecuador. Daniel Noboa sollte über intime Kenntnisse verfügen und könnte entsprechende Pflöcke gegen die Bananen-Coca-Connection setzen – Vorschläge waren hierzu von ihm allerdings bislang nicht zu hören.