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Das ist unser Land

Garífuna kämpfen gegen systematischen Landraub und Gewalt

Die afro-indigenen Garífuna in Honduras leben in einer ständigen Bedrohung durch Tourismus­unternehmen, korrupte staatliche Behörden und das organisierte Verbrechen. Der zunehmenden Vertreibung und dem drohenden Verlust ihrer Kultur begegnen sie mit kollektiver Wiederaneignung ihrer angestammten Territorien.

Steffi Wassermann

Die honduranische Insel Roatán ist ein beliebtes Ziel für US-amerikanische Tourist*innen. Für wenig Geld kann hier ein Tauchkurs absolviert und die spektakuläre Unterwasserwelt des zweitgrößten Korallenriffs der Welt erkundet werden. Schicke Hotels, teure Restaurants und Bars stehen dicht an dicht an den weißen Stränden von West End und West Bay. Freizeitvergnügungen wie Jetski oder Fahrten auf einem Bananenboot sind auch im Angebot. Die lokale Bevölkerung – vor allem Black Indigenous People of Color und afro-indigene Garífuna – tauchen hier meist nur als ambulante Händler*innen auf. Oder wenn sie abends für die Hotelgäste traditionelle Musik spielen und ihre Tänze aufführen.

Nur wenige Tourist*innen verirren sich auf die andere Seite der Insel. Eine kurvenreiche Straße mit tiefen Schlaglöchern erschwert das Fortkommen. „Das hier ist der vernachlässigte Teil der Insel“, erklärt Melissa Martínez von der Garífuna-Organisation OFRANEH (Organización Fraternal Negra Hondureña). Sie lebt in Punta Gorda, „der ersten und heute einzigen Garífuna-Gemeinde auf Roatán“. Punta Gorda ist ein symbolischer Ort. Vor mehr als 225 Jahren wurde hier die erste Garífuna-Gemeinde gegründet, Jahre bevor Honduras anfing als Nationalstaat zu existieren. Das touristische Versprechen von Roatán beruht maßgeblich auf der einzigartigen Kultur der Garífuna. Ihre Sprache, Tänze und Musik wurden von der UNESCO 2001 zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt. Doch die Lebensbedingungen auf Roatán und auch auf dem Festland, wo es mehr als 40 weitere Garífuna-Gemeinden gibt, sind hart und von Armut und Perspektivlosigkeit geprägt. Noch. Denn sie drohen zu verschwinden.

Fast 500 Kilometer entfernt steht Miriam Miranda an einem Redner*innenpult in der Hauptstadt Tegucigalpa. „Sie wollen, dass wir als Garífuna aufhören zu existieren“, empört sich die Koordinatorin von OFRANEH. Die Organisation hat zu einem Forum zur Situation in den Garífuna-Gemeinden eingeladen. „Wir stören. Wir stören an der Küste, wir stören überall, wo wir leben.“ Immer mehr Garífuna verlassen ihre Gemeinden und migrieren in die USA. Offizielle Zahlen gibt es nicht, Schätzungen gehen aber davon aus, dass inzwischen die größte Community in New York lebt. Einer der zentralen Gründe ist der Landraub. Immer mehr Flächen des angestammten Territoriums sind in die Hände von Palmöl- oder Tourismusunternehmen gefallen. Die reichen Eliten des Landes errichten ihre Feriendomizile, und auch das organisierte Verbrechen ist in der Gegend präsent, denn hier verläuft eine der Drogenrouten in die USA. Die Grenzen zwischen Politik, Unternehmen und organisiertem Verbrechen sind fließend.

Von den staatlichen Behörden erwarten die Garífuna keine Unterstützung. „Allein in der Bucht von Trujillo werden im Moment 32 von uns kriminalisiert“, berichtet der Aktivist Mario Solorzano. Er ist einer der Kriminalisierten. „Unter den 32 sind viele junge Leute, auch alleinerziehende Mütter und ältere Menschen.“ Allen wird illegale Landbesetzung vorgeworfen. Die honduranischen Institutionen bleiben eine Antwort schuldig, warum das Betreten des eigenen Landes ein Straftatbestand sein sollte.

Auf internationaler Ebene werden indes die angestammten Landrechte sehr wohl anerkannt. Bereits zwei Gemeinden haben Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu ihren Gunsten erreicht. Ein weiteres Urteil könnte demnächst erfolgen. Der honduranische Staat wurde bereits 2015 aufgefordert, das geraubte Land an die Garífuna der Gemeinden von Triunfo de la Cruz und Punta Piedra zurückzugeben. Seitdem geht allerdings nichts voran. Im Gegenteil, insbesondere in Triunfo de la Cruz sind Aktivist*innen, die die Umsetzung des Urteils fordern, besonders gefährdet: In den frühen Morgenstunden des 18. Juli 2020 wurden vier Aktivisten von Männern in Polizeiwesten verschleppt. Bis heute fehlt jede Spur von ihnen (siehe ila 440). Allein im Jahr 2023 wurden zwei Männer aus Triunfo ermordet, die aus dem Umfeld der Landrechtsaktivist*innen kamen. Der zunehmende Exodus aufgrund der fehlenden Perspektiven droht auch die einzigartige Kultur der Garífuna zum Verschwinden zu bringen.

Zurück auf Roatán. „Buiti Achuluruni – Wagaire Le“  1 begrüßt ein selbstgemaltes Schild die Besucher*innen am Eingang nach Punta Gorda, der ältesten Garífuna-Gemeinde in Zentralamerika. Statt die Straße zum Dorfkern hinab geht es durch ein kleines Loch im Zaun hinauf auf ein wild bewachsenes Gelände. „Wagaire Le wurde am 3. September 2022 gegründet“, erzählt Dorotea Arzú, Bewohnerin der ersten Stunde. Ursprünglich kommt sie aus einem Dorf auf dem Festland. Wie viele andere Garífuna kam sie im September 2022 hierhin, um bei der Rückgewinnung des Landes zu unterstützen. Eine Gruppe um die Aktivistin Melissa Martínez hatte beschlossen, das knapp acht Hektar große Gelände zurückzuerobern, das über dubiose Wege in die Hände einer Privatperson geraten war. „Wir haben dieses Land in Besitz genommen, weil es so viele Dinge gibt, die wir zum Wohle unserer Gemeinschaft machen müssen. Dafür brauchen wir das Land“, erklärt Martínez. Wagaire Le ist einer von mindestens zehn kleineren und größeren Prozessen der Rückgewinnung auf dem angestammten Land der Garífuna.

Doch nur zwei Monate nach der friedlichen Wiederinbesitznahme des Landes kam es zur gerichtlich angeordneten Räumung. Polizei und Militär verbrannten und zerstörten alles. Mehrere Personen wurden verletzt, Martínez und Arzú neben vier weiteren Mitstreiter*innen festgenommen. Über mehrere Stunden waren sie inhaftiert und wurden kurze Zeit später dem Haftrichter vorgeführt. Für viele überraschend stellte dieser am Ende klar, dass die Räumung nicht hätte angeordnet werden dürfen. Er betonte, dass es sich um angestammtes Territorium der Garífuna handele, das auf illegale Art und Weise in andere Hände geraten war. „Unsere Tränen wichen einem Lächeln“, erinnert sich Arzú. „Nach wie vor sind wir auf diesem wunderschönen Stück Land, um das wir kämpfen – und für das wir unser Leben geben würden.“

Trotz des Urteils des honduranischen Gerichts – bisher einmalig in der Geschichte der Kämpfe indigener Gemeinschaften in dem Land – bleibt die Lage angespannt. Erst vor einigen Monaten gab es abends von der Straße aus Schüsse auf die Gemeinschaft. Als öffentlich bekanntes Gesicht der Widerständigen erhält Martínez regelmäßig Morddrohungen. Wer genau dahinter steckt, ist unklar. Die Aktivist*innen wissen aber, dass die Drohungen mit ihrem Kampf um ihr angestammtes Land zu tun haben.

In der Zwischenzeit bauen die Garífuna von Wagaire Le ihre kleine Gemeinschaft wieder auf. Momentan leben hier 17 Personen in einfachen Hütten oder Zelten. Oben auf dem Berg steht das erste stabile Holzhaus, um Gäste unterzubringen. Vieles ist noch improvisiert. „Die Trockenheit ist ein Problem. Wagaire Le ist der höchstgelegene Punkt von Punta Gorda und wir haben keinen direkten Zugang zu Wasserversorgung durch die Gemeinde“, fasst Martínez die momentan größte Herausforderung zusammen. Das fehlende Wasser lässt den großen Traum der Bewohner*innen nur langsam vorankommen: sich durch den Anbau eigener Nahrungsmittel selbst zu versorgen.

Ein Bewohner, den trotz seines jungen Alters alle nur „Abuelo“ (Großvater) nennen, führt über das überschaubare Stück Land, das bereits urbar gemacht wurde, um Lebensmittel anzubauen. Er zeigt die ersten erntereifen Wassermelonen, die gemeinsam mit den Kindern gepflanzt wurden. „Auch sie sollten lernen, wie die Dinge angebaut werden“, erklärt er. Allerlei Heilpflanzen, einige Kartoffeln und Kochbananen wachsen hier und dort. In einer kleinen Baumschule werden Mangobäume gezogen.

Niemand hier hat Erfahrung in der Landwirtschaft. Miteinander und durch Ausprobieren tasten sie sich voran. Doch wenn der Regen ausbleibt, wie in diesem Jahr, drohen viele Versuche zu scheitern. Martínez bleibt trotzdem optimistisch. „Wir haben einen kollektiven Prozess begonnen und sind um einiges vorangekommen. Wir konnten sogar schon etwas von unserer eigenen Ernte essen.“

Bis eines Tages der Traum von der Selbstversorgung verwirklicht ist, wird Wagaire Le mit Lebensmitteln von OFRANEH unterstützt. „Ich bin eine von denen, die sich um die Küche kümmern“, berichtet Aktivistin Arzú stolz. Das bedeutet, morgens, mittags und abends die hungrigen Bewohner*innen mit Essen zu versorgen. Gekocht wird in einer Außenküche mit zwei traditionellen Lehmöfen, die den ganzen Tag qualmen. Gegen die Invasion von Fliegen und Ameisen, die sich mitleidlos über alles halbwegs Essbare hermachen, wird permanent angekämpft.

Neben der Küche, unter einem palmgedeckten Unterstand, ist der Treffpunkt der kleinen Gemeinschaft. Auf allerlei improvisierten Sitzgelegenheiten können die Bewohner*innen der tropischen Hitze etwas entkommen, hier lassen sie gemeinsam den Tag ausklingen. Musikvideos und Telenovelas scheppern aus mehreren Handys gleichzeitig. Hundewelpen werden verjagt, deren Hoffnung enttäuscht wird, etwas vom Abendessen abzubekommen. Den Strapazen des Lebens wird mit derben Witzen begegnet. Dann schallt das Lachen bis weit über die Baumwipfel von Wagaire Le.

Doch schnell wird die Stimmung wieder angespannt, wenn sich vom Weg her die Silhouette einer Person abzeichnet, die in der Dunkelheit zunächst schwer zu identifizieren ist. Die Bewohner*innen von Wagaire Le wissen, dass jederzeit alles möglich ist.

Die vom FDCL e.V. herausgegebene Graphic Novel ist bald auf Deutsch und Spanisch erhältlich. Weitere Informationen und Vorbestellungen: info@fdcl.org

  • 1. Auf Garífuna: Herzlich willkommen – Das ist unser Land

Steffi Wassermann arbeitet im Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL e.V.) und ist in der Honduras-Solidarität engagiert. Außerdem publiziert sie in verschiedenen Medien.