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Energie für indigene Regionen oder für Europa?

Die neue Regierung Kolumbiens will von Bogotá aus das Land vernetzen

Mit ihren Plänen für die „nicht vernetzten Gebiete“ (Zonas No Interconectadas, ZNI) will die neue kolumbianische Regierung Energie und Kommunikation in die entlegensten, von Gewalt betroffenen und armen Territorien tragen. Der „Totale Frieden“, von der Regierung als Programm ausgerufen, schließt eine Energiewende ein. In der Guajira beruht sie auf Sonne, den Gezeiten des Pazifiks und dem Wind der Karibik. Technologie und Investitionen, die zweifellos dazu nötig sind, könnten aus Europa kommen. Dort wünscht man sich allerdings ebenfalls Zugriff auf genau diese Rohstoffe, für eigene Zwecke.

Mirra Banchón

In der indigenen Gemeinde Cabo de la Vela sowie im Zentrum für kindliche Entwicklung von Media Luna in der Guajira soll die erste „Energiegemeinde“ eingerichtet werden. Sie ist Teil des „Plans zur gerechten Energiewende“, den die neue Regierung von Bogotá aus vorantreibt. 1500 Familien sind in das Gemeinschaftsprojekt eingebunden. Es soll die Stromerzeugung auf Dieselbasis ersetzen, die für gerade einmal 550 Familien reicht. Sobald die Photovoltaikanlage steht, sollen Empfänger installiert werden, die den beiden Gemeinden die digitale Kommunikation ermöglichen. Im Rahmen des nationalen Plans für die „nicht vernetzten Gebiete“ (ZNI) sind es die ersten beiden Gemeinden. Man hofft, in Cabo de la Vela eine Fischzucht für rote Tilapias zum menschlichen Verzehr aufzubauen und in Media Luna eine Bildungsförderungsmaßnahme durchzuführen.

„Ich bin überzeugt davon, dass die Technologie einer Transformation der Gesellschaft dienen muss. Ich glaube, dass die erste Herausforderung darin besteht, zu wachsen und zu einer modernen Gesellschaft zu werden, einer inklusiven Gesellschaft, mit Lebensqualität für alle, wobei Rohstoffe geschützt werden müssen, die es nur in Kolumbien gibt. Wir müssen garantieren, das unsere Entwicklung nicht auf deren Kosten geht und sie geopfert werden“, sagt Javier Campillo, Generaldirektor des Instituts zur Planung und Förderung von Lösungen im Bereich Energie (IPSE).

In der Guajira gibt es viel Sonne. Aber wenig Wasser und wenig Gesundheitsversorgung. Die Region „Wajiira“ (auf Wayuuunaiki, einer der indigenen Sprachen) grenzt im Norden und Osten an das karibische Meer. Die Sonne scheint täglich zwischen neun und zwölf Stunden, die niedrigste mittlere Temperatur liegt bei 26 Grad. Am seltensten fällt der Regen im wüstenähnlichen Tiefland. Es kommt vor, dass es bis zu 13 Monaten nicht regnet, was sich infolge des Klimawandels noch verlängern könnte. Zu der außerordentlichen Trockenheit beigetragen hat ein Bergbau in großem Stil, der hier in den 1980er-Jahren begann und dafür sorgte, dass Flüsse umgeleitet wurden und Flussbecken austrockneten. Zugang zu Grundwasser geht nur, wenn Energie vorhanden ist.

Im Laufe der Pandemie verschlimmerte das Fehlen von Trinkwasser Gesundheitsprobleme, Mangelernährung und Kindersterblichkeit. Laut offiziellen Statistiken haben nur vier Prozent der rund 380 000 Wayuu Zugang zu sauberem Wasser. Die 16 in der Guajira existierenden Gesundheitszentren sind meist weit entfernt von den indigenen Gemeinden. Nur drei von ihnen bieten Beratung und Hilfe bei Mangelernährung an.

Während paradoxerweise Gemeinden und Krankenhäuser ohne Strom und Licht auskommen müssen – und das in einer Region mit einem beeindruckenden Potenzial für Solarenergie das ganze Jahr –, wurde für Windenergie ein kommerzielles Projekt nach dem anderen aufgelegt, selbstverständlich unter Ausnutzung von Gemeindeterritorien für Logistik und Infrastruktur.

Durst und das Bedürfnis nach Grundversorgung der Wayuu blieben der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und Hilfsindustrie nicht verborgen. Projekte aus Europa wie aus Nordamerika brachten Solarzellen in die Gegend, um mit deren Energie Wasser aus tiefen Schichten an die Erdoberfläche zu pumpen. Auch wurden Schulen in solchen Gemeinden mit Elektrizität ausgestattet, die in Programme des Friedensprozesses zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla aufgenommen worden waren. Aber der Staat ließ auf sich warten.

„Um eins von diesen Territorien zu erreichen, brauchst du manchmal drei Tage“, sagt der IPSE-Direktor. „Da diese Territorien historisch abgehängt waren, weil sie keinen Energieanschluss hatten, blieben sie auch bei der Kommunikation außen vor. Wir arbeiten jetzt daran, die Gebiete mit Energie auszustatten, die Sendemasten versorgt. Damit werden Bildung am Bildschirm und elektronischer Zugang zu Behörden möglich“, sagt Campillo weiter und schlägt damit den Bogen von Digitalisierung, Kommunikation und Entwicklung bis Frieden. Seine Erklärungen basieren auf dem Konzept vom „Totalen Frieden“ der aktuellen kolumbianischen Regierung.

„Wenn man Energie in eine Gemeinde bringt, die sie nie hatte, die aber gewillt ist zu produzieren, wirkt sich das positiv auf deren Entwicklung aus. Wir wollen, dass eine Verbesserung der Produktivität, die auf Energie beruht, kein zufälliges Ergebnis ist, sondern eine integrale Lösung, die gemeinsam von der nationalen Regierung, den Gemeinden und dem Privatsektor getragen wird. Das meinen wir, wenn wir von der Demokratisierung der Energie durch die Energiegemeinden in den ZNI sprechen“, führt Campillo aus.

In San Andrés de Tumaco befindet sich das zweite ZNI-Projekt. Das im Departement Nariño an der Grenze zu Ecuador gelegene Gebiet ist von Gewalt und illegalen Aktivitäten geprägt. Beim dortigen Projekt geht es um eine Gemeinde, in der rund 80 Familien individuelle Photovoltaikanschlüsse haben. Das Ziel ist, diese Familien zu einem kleinen Sonnenenergienetz zusammenzuschließen, das zusätzliche Energie speichern kann. Diese Energie wiederum fließt unterstützend in die Fischereiaktivitäten der Gemeinde.

„Wenn ein Territorium integrale Lösungen angeboten bekommt, drängst du damit natürlicherweise die Gewalt zurück“, sagt Campillo. „Das ist kein einfacher Prozess, und er setzt voraus, dass man jede Gemeinde genau kennt, mit der man arbeitet. Es gibt Gegenden, in denen derzeit gar keine andere Möglichkeit besteht, als vom illegalen Anbau (von Grundstoffen zur Drogenherstellung, d. Ü.) zu leben“, sagt er weiter und ist überzeugt vom technologischen und logistischen Ansatz des kolumbianischen Staats.

„Es gibt Gegenden, wo es viele Konflikte wegen Coca gibt. Wir diskutieren, wie wir landwirtschaftliche Gemeinden bei der Umstellung auf legalen Anbau mit großem Mehrwert wie medizinisches Cannabis unterstützen können. Dieser Anbau braucht jedoch viel Energie. Wir wollen gleichzeitig legale und nachhaltige Lösungen anbieten“, sagt Campillo, der viele Vorteile darin sieht, dass die Investitionen aus Europa sich derzeit auf den „Totalen Frieden“ einlassen.

„86 Prozent der Energie, die wir in den nicht vernetzten Gebieten produzieren, beruht auf fossilen Treibstoffen. Das war die einzige Art, wie wir sie erzeugen konnten, aber heute sind nichtkonventionelle Energiequellen glücklicherweise immer erschwinglicher und effizienter“, so Campillo, Spezialist in Energie- und Umweltfragen. „Diese setzen wir ein, indem wir Energiegemeinden fördern und uns dazu jede Region genau ansehen und ihre jeweiligen Möglichkeiten ins Blickfeld nehmen: Sonne und Wind in der Guajira, Biomasse in Amazonien, Energie aus den Meeresgezeiten im Chocó, Geothermie in der Kordillere“, detailliert er.

Die Projekte für die ZNI sind das gemeinsame Produkt aus verschiedenen staatlichen Assistenz- und Förderprogrammen. Technologie- und Innovationsinstitute sind involviert. Es gibt öffentliche Gelder, Gelder von internationalen Banken und Abkommen mit dem Privatsektor. Für Gebiete, die weniger attraktiv sind für Unternehmen, welche die Infrastruktur liefern sollen, und wo der Gewinn weniger offensichtlich ist als in der Guajira, soll es Fördermittel geben.

Klar ist, dass die grünen Pläne des „Totalen Friedens“ viele Investitionen brauchen. Sie sind eigentlich identisch mit dem europäischen „Grünen Pakt“ und dessen Plänen, in Drittländern in saubere Energien zu investieren. „Genau jetzt heißt es, die Gunst der Stunde zu nutzen und in neue Technologien zu investieren, einen Prozess der Weitergabe von Wissen auf den Weg zu bringen“, sagt Campillo.

„Wenn man Quellen wie Sonne, Wind und Geothermie hat, braucht man zunächst einmal viel Technologie. Wenn wir beispielsweise davon reden, beim Transport auf elektrische Energie umzusteigen, sprechen wir von Lithiumbatterien und elektronischen Komponenten. Auch wenn die Produktionskapazitäten in der Europäischen Union (EU) sehr gut sind, sind sie doch begrenzt, wenn man an die künftige Nachfrage denkt“, sagt der Spezialist.

Nach Daten der Europäischen Kommission braucht die EU bis 2030 18-mal mehr Lithium und fünfmal mehr Kobalt für die Batterien elektrischer Fahrzeuge und Akkus. Ein Großteil dieser und anderer Rohstoffe befindet sich in Lateinamerika. „Europa erlebt interessante Zeiten, es geht um Reindustrialisierung auf der Basis anderer Technologien. Das wird uns, die wir die Rohstoffe haben, über einen Prozess der Weitergabe von Technologie ermöglichen, die Energiewende direkt zu machen“, meint Campillo.

„Diese Projekte sind interessant, aber das Schlimme ist, dass wir wohl kaum in deren Genuss kommen werden“, sagte 2019 Alberto Palmar, Wayuu-Autorität aus der Gemeinde Campo Florido, als er sah, wie die Energie, die in seinem Territorium gewonnen wurde, Licht und Fortschritt anderswo brachte.

 

Übersetzung: Gaby Küppers