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Der organisierte Niedergang

Die Zerschlagung nationaler Postdienste und der Aufstieg privater Logistikunternehmen
Gert Eisenbürger

Die Geschichte des Postwesens geht bis in die Antike zurück. In Europa entstanden ab dem 14. Jahrhundert Postdienste, die mit Reitern und Kutschen Briefsendungen, Waren und Passagiere transportierten. Zunächst waren diese Dienste privat geführt (im deutschen Reichsgebiet etwa durch die Familie Thurn und Taxis). Im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurden in den meisten Ländern der Erde, so auch in Lateinamerika, staatliche Postunternehmen gegründet, die Brief- und Paketsendungen sowohl national als auch international transportierten. Die Staatspost funktionierte in den meisten Fällen sehr gut. Trotz infrastruktureller Begrenzungen kamen die Sendungen in der Regel an, sogar in vielen abgelegenen, schwer erreichbaren Regionen. Der internationale Postvertrieb wurde über die 1874 gegründete UPU (Universal Postal Union, deutsch: Weltpostverein) koordiniert und abgerechnet.

Durch die weltweit rasant zunehmenden Warenströme wurden der Logistikbereich und damit auch das Postwesen zunehmend für Großunternehmen attraktiv, die neue lukrative Anlagemöglichkeiten suchten. In den 1970er-Jahren begann die Liberalisierung des Postwesens. Während bis dahin die Staatspostbetriebe in den meisten Ländern eine Monopolstellung innehatten, wurden nun auch private Unternehmen zugelassen, die vor allem im ökonomisch interessanten Paketdienst investierten. Diese waren häufig von der Verpflichtung entbunden, jeden auch noch so abgelegenen Ort postalisch zu bedienen. In einem zweiten Schritt wurden dann viele staatliche Postunternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt oder an private Investoren verkauft.

Wo das nicht möglich war oder auf Widerstand stieß, weil Investoren kein Interesse zeigten oder die Mitarbeiter*innen sich gegen die Privatisierungen wehrten, bestanden Staatspost­unternehmen weiter. Allerdings wurde vielerorts in sie kaum noch investiert und kein neues Personal angestellt. Dies galt insbesondere für Lateinamerika. Die staatlichen Postdienste wurden entweder durch finanzielle und personelle Austrocknung systematisch geschwächt oder zunächst zerschlagen (lukrative Unternehmensteile wurden ausgegliedert und verkauft) und die Reste dann dem Niedergang überlassen. Das Resultat war das gleiche: Die Post wurde fast überall schlechter und unzuverlässiger. Auch manche linke Regierungen, wie etwa in Bolivien oder Ecuador (vgl. Interview in dieser Ausgabe), zeigten kein Interesse, die nationalen Postdienste zu erhalten.

Wir haben das beim Versand unserer Zeitschrift an die Abonnent*innen in Lateinamerika mitbekommen. Die Zeiten von der Ablieferung einer Ausgabe bei unserem Postverteilzentrum bis zur Zustellung im Empfängerland haben sich im Verlauf der Jahrzehnte fast überall kontinuierlich verlängert, von früher einigen Tagen bis heute mitunter mehreren Monaten. Oft werden die Zeitschriften heute gar nicht mehr den Empfänger*innen zugestellt, sondern müssen bei immer weniger Postämtern abgeholt werden. In einige Länder, beispielsweise Guatemala oder Nicaragua, ist der Postversand von Zeitschriften überhaupt nicht mehr möglich.

Da Menschen und Unternehmen natürlich weiterhin Waren oder Dokumente verschicken wollten, suchten sie nach Alternativen. Wenn etwa unsere Autor*innen in Lateinamerika persönlich unterschriebene und abgestempelte Akkreditierungsschreiben brauchten, um berichten zu können, baten sie uns ab den neunziger Jahren meistens, diese nicht wie früher per Post zu schicken, denn das dauere viel zu lang und sei unzuverlässig. Stattdessen sollten wir einen Expressdienst beauftragen.

Dabei tauchte immer häufiger das Kürzel DHL auf. Das 1969 in San Francisco gegründete Unternehmen transportierte zunächst Frachtpapiere für Reedereien, damit schon vor Ankunft der Schiffe in den Häfen mit der Abfertigung der Ladungen begonnen werden konnte. Im Verlauf der 1980er- und 1990er-Jahre expandierte DHL zu einem internationalen Expressdienst, der deutlich schneller und zuverlässiger als die nationalen Postunternehmen – aber auch erheblich teurer – Sendungen verschickte.

2002 übernahm die 1995 privatisierte Deutsche Post AG das US-amerikanische Unternehmen DHL. Auf ihrer Website bezeichnet sich die Deutsche Post DHL Group (DPDHL) inzwischen als der „weltweit führende Logistikanbieter“, der rund 600 000 Mitarbeiter*innen in über 220 Ländern und Territorien der Welt beschäftige.1

Das Unternehmen hat seine Aktivitäten auch in Lateinamerika kontinuierlich ausgebaut. Zum Expressdienst kamen Paketdienste hinzu und als wichtigstes Arbeitsfeld die „Kontraktlogistik“, d.h. der Transport, der Umschlag und die kurzzeitige Lagerung von Waren für Unternehmen. Der Unternehmensteil „DHL Supply Chain“ expandierte hier vor allem durch den Kauf schon länger in diesem Bereich tätiger Unternehmen. Außerdem unterhält DPDHL in Lateinamerika mit „DHL Aero Expreso“ eine eigene Fluglinie für Luftfracht.