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Pelé – der König ist Schwarz

Der Fußballkönig wollte immer „everybody’s darling“ sein und setzte trotzdem Zeichen gegen Rassismus

Pelé und Maradona sind wohl die größten Fußballer des 20. Jahrhunderts. Das heißt nicht unbedingt die besten, denn da gibt es natürlich die unterschiedlichsten Meinungen. Pelé selbst soll einmal gesagt haben, George Best sei besser als er. Pelé und Maradona sind aber die großen Mythen des modernen Fußballs. Und das bedeutet mehr, als ein genialer Fußballer zu sein.

Thomas Fatheuer

Der Weg zum Mythos, zum Fußballgott, kennt einige grundlegende Elemente: die Herkunft aus armen Verhältnissen, den frühen Ruhm, die Krise und – fundamental – die Wiederauferstehung. Bei Pelé kommt hinzu, dass er seinen Aufstieg als Schwarzer schaffen musste. Aber Pelé und Maradona repräsentieren zwei völlig unterschiedliche Varianten des Mythos. Pelé rebellierte nie, er ist der angepasste Star, der „everybody’s darling“ sein will. Auch deswegen war Pelé nie ganz unumstritten und von vielen Brasilianer*innen eher bewundert und verehrt als geliebt.

Pelés Ruhm jedenfalls strahlte sehr früh, der junge Edson war gerade 15 Jahre alt, als ihn der FC Santos anheuerte und auch einsetzte. Mit 16 Jahren, im Jahr 1957, spielte er zum ersten Mal in der Nationalmannschaft. Und 1958 wurde er bereits zum König. Er spielte eine sensationelle Saison bei Santos und wurde Torschützenkönig der Liga. Und da geschah es, dass der brasilianische Schriftsteller und Sportchronist Nelson Rodrigues ihn als „Rei Pelé“ bezeichnete. Pelé nahm diesen Titel mit größter Selbstverständlichkeit an und sagte dem verblüfften Schriftsteller: „Ja. Ich bin der König.“ Für die internationale Öffentlichkeit aber war Pelé noch ein unbekanntes Wunderkind, als er 1958 zur WM in Schweden fuhr. Die Enttäuschung war groß, als er in den ersten beiden Spielen nicht eingesetzt wurde. Der Grund: die Niederlage im Endspiel bei der WM 1950 im vollbesetzten Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro. Vor 200 000 entsetzten Zuschauer*innen ging der sicher geglaubte WM-Titel an die Außenseiter aus Uruguay. Die Schuld an dieser nationalen Tragödie gaben viele den Schwarzen Spielern, die in entscheidenden Situationen versagen würden. Deswegen wurde nach 1950 die Nationalmannschaft wieder weißer, und so kam es, dass Pelé und Garrincha trotz ihres Ruhms die WM von 1958 auf der Bank begannen. Erst als das zweite Spiel gegen England mit 0:0 endete und eine Kommission der Spieler den Einsatz von Pelé und Garrincha forderte, gab der Trainer nach. Die Schwarzen Spieler wurden gegen die damals gefürchtete Sowjetunion eingesetzt, und das Spiel wurde mit 2:0 gewonnen. Sein erstes Tor machte Pelé dann im Viertelfinale beim 1:0 gegen Wales. Pelé nannte dies das wichtigste Tor seines Lebens, für Wales war es das Ende eines der schönsten Fußballmärchen der jüngeren Geschichte. (Die Geschichte von Wales bei der Fußball-WM von 1958 ist in einem Buch mit dem bewegenden Titel „When Pelé broke our hearts“1 verewigt.) Nach dem mühseligen Sieg gegen Wales strahlte der Stern Brasiliens und Pelés dann endgültig mit einem 5:2 gegen Frankreich im Halbfinale (Hattrick von Pelé!) und dem Finalsieg gegen Gastgeber Schweden mit demselben Ergebnis und zwei Toren Pelés, der damit vom jungen Talent zum Weltstar geworden war. Mit dem Duo Garrincha und Pelé war Brasilien zur Supermacht des Fußballs aufgestiegen. Auch die WM 1962 ging an Brasilien, allerdings musste Pelé den zweiten Teil des Turniers verletzt auf der Zuschauertribüne verfolgen. Aber die beiden WM-Titel festigten nun den Ruhm der Schwarzen Spieler und beendeten zumindest im Fußball die rassistischen Debatten um deren Fähigkeit. Und während Garrinchas Karriere durch Drogen und Skandale schnell ins Straucheln geriet, wurde Pelé zum überragenden Fixstern des brasilianischen Fußballs.

Aber auch Pelé musste eine Krise durchlaufen. Die WM 1966 in England markierte einen Tiefpunkt seiner Karriere. Brasilien schied nach zwei Niederlagen gegen Ungarn und Portugal schon in der Vorrunde aus, Pelé wurde gejagt und gnadenlos gefoult und beendete das Spiel gegen Portugal schwer verletzt. Nach dem Debakel verkündete der erst 26 Jahre alte Star seinen Rückzug aus der Nationalmannschaft, den er später aber widerrief.

Brasiliens Fußball stürzte in eine schwere Krise, die politische Dimensionen annahm. Seit 1964 herrschte im Land eine Militärdiktatur, und die neuen Machthaber sahen im Fußball eine große Chance, ihr Image zu verbessern. Ein Sieg bei der WM 1970 in Mexiko wurde zu einem nationalen Projekt der Diktatur und Pelé zu einem entscheidenden Akteur in diesem Drama. Angesichts schlechter Ergebnisse ernannte der brasilianische Fußballverband 1969 João Saldanha zum Trainer der „seleção“, ein bemerkenswerter Schritt, weil Saldanha Mitglied der verbotenen Kommunistischen Partei war. Kurz vor der WM 1970 wurde Saldanha entlassen, eine Entscheidung, über die bis heute viele verschiedene Versionen existieren. Jedenfalls mischten sich die Militärs direkt in die Aufstellung der Mannschaft ein. Und dabei ging es auch um Pelé, der bei Saldanha in Ungnade gefallen war, weil er angeblich aus der Form sei und nicht gut sehen könne. Und Sportchronist Nelson Rodrigues berichtet, wie in der Zeit vor der WM 1970 Pelé bei einer Niederlage der „seleção“ gnadenlos ausgepfiffen wurde.

Der König fährt also durchaus angeschlagen zur WM, die ihn zum unumstrittenen und ewigen König des Fußballs machen wird. Die WM 1970 in Mexiko ist die erste, die ein globales Medienevent wird, und der triumphale Auftritt Brasiliens begeistert fast die ganze Welt. Brasilien wird zum dritten Mal Fußballweltmeister, das hat noch kein anderes Land vorher geschafft. Der britische Schriftsteller Nick Hornby brachte den Eindruck, den die brasilianische Mannschaft machte, so auf den Punkt: „Selbst die brasilianische Art, Tore zu feiern, war fremdartig, lustig und beneidenswert, alles gleichzeitig. In gewisser Weise haben die Brasilianer es für uns alle verdorben. Sie hatten eine Art platonisches Ideal enthüllt, das für immer unerreichbar bleiben sollte, sogar für sie selbst.“ Und dieses Ideal wird unzweifelhaft von Pelé verkörpert. Die WM von 1970 bedeutete also die Wiederauferstehung Pelés, und er nahm endgültig den Platz des überragenden Herrschers im Olymp der Fußballgötter ein.

Der Sieg bei der WM wird von den Militärs ausgeschlachtet. Zu den bleibenden Bildern gehört auch das von Pelé an der Seite des Diktators Medici. Während Pelé als Fußballspieler unumstritten bleibt, ist sein gesellschaftliches Engagement Gegenstand von Kritik geworden. Neben dem gewährten Missbrauch durch die Militärdiktatur wurde ihm immer wieder vorgeworfen, dass er sich nicht aktiv im Kampf gegen Rassismus geäußert habe. Aber es gibt auch die andere Seite: So hat sich 1984 Pelé klar für das Ende der Diktatur und für Direktwahlen in Brasilien ausgesprochen und 1995 dazu aufgefordert, dass Schwarze bei Wahlen für Schwarze stimmen sollten. Pelé hat sich zu seiner politischen Rolle so geäußert: „Na komm, ich war Fußballspieler, ich mochte es zu spielen, ich mochte es sogar sehr, aber ich bin kein Politiker, ich bin Brasilianer.“

Zum Lebensende hin verstummten diese kritischen Debatten zusehends und wurden durch die Würdigung seiner Bedeutung verdrängt. Der Schwarze Wissenschaftler Marcos Queiroz erinnert daran: „Er hat diese Bedeutung nicht nur für Brasilien, sondern auch für die Welt. Als er im Fußball aufsteigt – das ist der Moment der Unabhängigkeit der afrikanischen Länder, der Moment der enormen Debatte über Rassismus in den USA… er bedeutet viel. Ich glaube, wir verlieren diese Dimension, wenn wir uns auf die negativen oder umstrittenen Aspekte seines Lebens fokussieren“. So darf dann Pelé schließlich mehr sein als ein Fußballgott. Pelé ist zweifelsohne der bekannteste Brasilianer weltweit, er ist Teil der nationalen Identität Brasiliens, von der die Schwarzen nicht mehr ausgeschlossen werden können. Das bedeutet natürlich nicht das Ende des Rassismus, aber eine Ermutigung des nicht-weißen Brasiliens. Die Journalistin Malu Cursino zitiert ihre Mutter: „Er erlaubte uns Schwarzen Brasilianer*innen, einen von uns als König zu sehen, der von den Massen verehrt wird, eine Ikone für das ganze Land… Unser König ist Schwarz.