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Lago Escondido oder Hidden Lake?

Ein britischer Multimillionär privatisiert einen ganzen See in Patagonien
Alix Arnold

Bei Kilometer 1960,2 der Nationalstraße 40, die sich durch ganz Argentinien zieht, befindet sich zwischen Villa Mascardi und El Bolsón das Restaurant „El Viejo Almacén“ von Raúl „Yuyo“ Briguez. In dem saloonartigen „Alten Laden“ gibt es auch regionale Produkte und Schriften zur Geschichte der Mapuche zu kaufen. Eine Fotoausstellung erinnert an den Lonko Foyel, den Mapuche-Anführer, nach dem der nahe gelegene Ort El Foyel benannt ist. Am 20. November 2022 stellte Yuyo sein Gelände wieder einmal für ein Festival zur Verfügung, um gegen die Privatisierung des nahe gelegenen Lago Escondido, des „Versteckten Sees“, zu demonstrieren.

1996 hatte der superreiche britische Unternehmer Joe Lewis mit seiner Aktiengesellschaft Hidden Lake S.A. ein 12 000 Hektar großes Grundstück am Lago Escondido gekauft. Die Zugänge zum See sind versperrt und werden von bewaffneten Securities bewacht. Beides ist illegal: Grundstücke in Grenznähe dürfen nicht an ausländische Investoren verkauft werden, und der öffentliche Zugang zu Gewässern muss laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch Argentiniens überall gewährleistet sein. Dank der guten Beziehungen von Lewis zu den jeweiligen Regierungen gehen diese Gesetzesbrüche seit Jahrzehnten durch. Mit seinem eigenen Wasserkraftwerk macht er sogar Geschäfte mit der öffentlichen Hand. Er ist der alleinige Stromversorger der Gemeinde El Bolsón. In seiner riesigen Villa mit Sportanlagen machen Politiker*innen wie der ehemalige Präsident Mauricio Macri Urlaub. Lewis lebt von November bis März dort, die übrigen Monate verbringt er auf den Bahamas. Im Vergleich zu den mehr als 650 000 Hektar Land, die Luciano Benetton in Argentinien besitzt, ist Lewis nur ein kleiner Großgrundbesitzer. Aber gegen seine Dreistigkeit, den ganzen See für sich zu beanspruchen und die Öffentlichkeit auszusperren, protestieren die Menschen aus der Gegend seit vielen Jahren. Seit die Rechtsanwältin María Magdalena Odarda 2005 Klage eingereicht hat, sind auch die Gerichte mit dem Fall beschäftigt.

„Die Malwinen sind argentinisch, der Lago Escondido auch“, steht auf dem Banner, das für das Festival an der Straße angebracht wurde. Etwa 150 Menschen sind angereist, um die Musik und die Reden zu hören, Chacarero zu tanzen und sich zu solidarisieren. Die Reden sind weniger nationalistisch als das Motto. Gleich zu Beginn wird darauf hingewiesen, dass es sich um ein interkulturelles Festival handele und dass die Mapuche die Hauptleidtragenden der Konflikte seien. Sie würden verfolgt, weil sie Land, Wasser und Natur schützen. Sie haben die Gegend schon bevölkert, lange bevor es einen argentinischen Staat gab.

Ernesto Montecino Odarda, der Sohn der Klägerin, der jetzt als Anwalt das Verfahren gegen Lewis weiter betreibt, war noch nie an dem See, obwohl er die Geschichte seit seiner Jugend kennt. Er erklärt den Stand des Verfahrens. Das erste wichtige Urteil erreichten sie 2009, als der Oberste Gerichtshof entschied, dass der See argentinisch ist und allen gehört und dass der freie Zugang gewährleistet sein muss. Aber anstelle der Umsetzung des Urteils begann eine Kette von Berufungsverfahren, rechtlichen Anfechtungen und unzähligen Verzögerungen. 2013 wurden den Verantwortlichen mit einem weiteren Urteil Fristen gesetzt: einen Monat, um den Bergpfad zu öffnen und zu beschildern, und drei Monate für den Weg Tacuifi von der Ruta 40 aus. Kaum war das Urteil gesprochen, legten nicht nur Lewis, sondern auch die Provinz Río Negro Berufung ein. So konnten sie das Verfahren von 2013 bis zum September 2022 hinauszögern. Als die Berufungsinstanz das erste Urteil bestätigte, verkündete die Provinzregierung sofort, dass sie wieder Rechtsmittel einlegen werde, was auch Lewis tat. Laut Ernesto Montecino gehe es nun vor Gericht in einem buchstäblichen Copy & Paste-Verfahren weiter, und da die Zusammensetzung des Obersten Gerichtes in Río Negro keine unparteiische und unabhängige Rechtsprechung erwarten ließe, sei es wichtig, den Konflikt durch weitere Aktionen überregional bekannt zu machen.

Im Dezember gelangte der Lago Escondido durch einen politischen Skandal in die Schlagzeilen. Im Oktober waren Richter, Staatsanwälte, Oppositionspolitiker und Vertreter der Mediengruppe Clarín in einem Privatjet nach Patagonien geflogen, um auf dem Anwesen von Lewis über den Prozess gegen die amtierende Vizepräsidentin Cristina Kirchner zu beratschlagen. Diese wurde am 6. Dezember in einem allgemein als Lawfare titulierten Strafverfahren zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Versuch der Beteiligten, das Treffen zu vertuschen, wurde durch einen Hacker vereitelt, der einen Telegram-Chat des Sicherheitsministers von Buenos Aires, D‘Allesandro, veröffentlichte.