Die Haitianische Revolution
Es gibt Bücher, deren Lektüre lange nachwirkt. Wenn ich eines nennen sollte, das mich mehr als alle anderen beeinflusst hat, wäre es „Schwarze Jakobiner“ von C.L.R. James, das ich vor knapp 40 Jahren zum ersten Mal gelesen habe. Der aus Trinidad & Tobago stammende Autor beschreibt darin den Verlauf der Haitianischen Revolution vom großen Aufstand der Sklav*innen im Jahr 1791 bis zur endgültigen Vertreibung der Kolonialtruppen und der Unabhängigkeitserklärung am Ende des Jahres 1803.
James’ 1938 im englischen Original erschienenes Werk hat mich aus mehreren Gründen beeindruckt. Erstens, weil mir die Dimension und Brutalität des Menschheitsverbrechens Sklaverei bis dahin nicht klar gewesen war. Zweitens, weil es exemplarisch erklärt, wie eine Revolution abläuft, welche objektiven und subjektiven Bedingungen für ihren Erfolg zusammenkommen müssen. Drittens, weil es die Geschichte einer revolutionären Bewegung darstellt, die sich vollständig aus der am stärksten marginalisierten Gruppe der Gesellschaft, den versklavten, zur Zwangsarbeit gezwungenen Menschen rekrutierte. Zudem ist „Schwarze Jakobiner“ nicht nur ein faszinierendes Buch über die Haitianische, sondern auch eines über die Französische Revolution. Durch James’ Analyse habe ich besser verstanden, wer im Frankreich der Jahre 1789 bis 1799 wie und mit welchen Interessen agiert hat. Dass etwa Maximilien Robespierre, berühmt wegen seines radikalen Vorgehens gegen die royalistischen Kräfte, vor allem ein Vertreter des besitzenden Bürgertums war. Es reicht keineswegs aus, Entwicklungen und Ereignisse nur vom Zentrum aus zu betrachten, sondern es ist oft sehr viel aufschlussreicher, sie von der (vermeintlichen) Peripherie aus zu sehen und zu verstehen.
Die erste von Günter Löffler erstellte deutsche Übersetzung von James’ Klassiker erschien 1984 im Verlag Neues Leben in Ost-Berlin und, ebenfalls in der DDR gedruckt, im Kölner Pahl-Rugenstein Verlag, damals Teil des Firmengeflechts der DKP. Nahezu kurios mutet an, dass Dr. Hans Bach in einem ansonsten lesenswerten Nachwort erklären muss, warum C.L.R. James ein wichtiges historisches Werk verfasst hatte, obwohl das eigentlich gar nicht sein konnte, denn der Autor „erlag zeitweise dem Einfluss des Trotzkismus“. Au weia! Aber dann kam er – ganz ohne Umerziehungslager – 1948 davon los, wie Bach erleichtert konstatiert. Gerade noch mal gutgegangen! Trotz dieser ideologischen Albernheit war es ein großes Verdienst „The Black Jacobins“ 46 Jahre nach dem Erscheinen in deutscher Übersetzung zugänglich zu machen.
Nach der Wende in der DDR war das Buch drei Jahrzehnte nicht mehr lieferbar. Nun wurde es endlich im Dietz-Verlag neu aufgelegt, im Titel wurde ein Artikel eingefügt, die Übersetzung wurde vorsichtig bearbeitet, einige Begrifflichkeiten ersetzt, die heute als rassistisch gelesen werden. Zudem wurden zwei Aufsätze der Herausgeber*innen Philipp Dorestal und Çiğdem Inan angefügt.
Um 1790 lebten im französischen Saint Domingue, dem Westteil der Insel Hispaniola (der Osten, die heutige Dominikanische Republik, war spanische Kolonie), rund 600 000 Einwohner*innen: 40 000 Weiße, 50 000 Gens de Couleur, also Menschen mit Vorfahren unterschiedlicher Hautfarben, und 500 000 Schwarze Sklav*innen.
Unter den Weißen gab es zuoberst die Plantagenbesitzer und Sklavenhalter (fast durchweg Männer), die James die „großen Weißen“ nennt. Danach rangierten die städtischen Handwerker, Angestellten sowie Verwalter der Plantagen. Sie bezeichnet James als die „kleinen Weißen“. Obwohl sie selbst in der Regel keine Sklav*innen hatten, waren sie – wie die weniger wohlhabenden Weißen im Apartheid-Südafrika – oft besonders aggressive Rassist*innen, weil sich ihre Privilegien nicht auf Besitz, sondern nur auf ihre Hautfarbe gründeten. Eine dritte Gruppe von Weißen waren die französischen Kolonialbeamten.
Die „Mittelschicht“ bildeten die Gens de Couleur, zu der auch eine relativ kleine Gruppe freier Schwarzer gehörte, die entweder aus der Sklaverei entlassen oder freigekauft waren. Gens de Couleur und freie Schwarze durften Landbesitz haben, Schulen errichten, sich in Städten ansiedeln und selbst Sklav*innen besitzen. Zwar waren nicht wenige von ihnen zu Wohlstand gekommen, gleiche Rechte wie die Weißen hatten sie aber nicht. Dennoch standen sie deutlich über der Masse der versklavten Schwarzen. Wie Mittelschichten agierten sie auch während der gesamten Revolution, verbündeten sich zeitweise mit den weißen Eliten gegen den Aufstand der Sklav*innen, in anderen Phasen kämpften sie zusammen mit revolutionären Schwarzen gegen ein rassistisches System.
Obwohl es ihm vielfach unterstellt wurde und es der Buchtitel „Schwarze Jakobiner“ nahelegt, sah C.L.R. James in der Haitianischen Revolution keineswegs eine Nachahmung des Prozesses, der in Frankreich die Herrschaft von König und Adel beendete.
Alle erfolgreichen Revolutionen der Weltgeschichte basierten auf einer breiten sozialen Basis, in der Regel einer Allianz verschiedener sozialer Gruppen. Aber es brauchte immer auch eine Krise des jeweils herrschenden Machtapparates und Widersprüche innerhalb der ihn tragenden Gruppen. Das galt auch für Saint Domingue. Hier kommt die Französische Revolution ins Spiel. Der Aufstand des bürgerlichen Dritten Stands in Frankreich hatte unmittelbare Folgen in der Kolonie. Viele Plantagenbesitzer sympathisierten nämlich mit dem Umsturz in Paris. Nicht, dass sie irgendetwas mit „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ im Sinn gehabt hätten, aber ihnen war daran gelegen, das Handelsmonopol, das das Ancien Regime für die Ex- und Importe Saint Domingues beanspruchte, loszuwerden. Die „revolutionäre“ Gesinnung und Interessenlage der Plantagenbesitzer entsprachen also ziemlich genau denen der „Befreier“ aus den kreolischen Eliten, die ab 1810 die Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Republiken von Spanien durchsetzten.
Während sich die Plantagenbesitzer von den Veränderungen in Paris Vorteile versprachen und sogar das Wort „Unabhängigkeit“ im Munde führten (schließlich hatten auch die Besitzenden der Vereinigten Staaten die britische Herrschaft abgeschüttelt und fuhren damit sehr gut), waren die Kolonialbeamten weitgehend königstreu. Da Letztere neben einigen Priestern die Einzigen waren, die – selten genug – die Besitzenden ermahnten, ihre Sklav*innen nicht allzu schlecht zu behandeln, sahen die Schwarzen in den Gerüchten über eine Revolte gegen den König zunächst nichts Positives. Aber sie registrierten genau, dass es unter den Weißen Widersprüche gab, deren Autorität also geschwächt war.
Die aus Afrika verschleppten Zwangsarbeiter*innen hatten sich in allen Phasen gegen das System der Sklaverei gewehrt. Doch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war aus der Verweigerung und den rebellischen Aktionen Einzelner oder kleiner Gruppen ein breiter Widerstand geworden: Entlaufene Sklav*innen hatten in gebirgigem Terrain gut zu verteidigende Siedlungen errichtet, nachts gab es immer häufiger verbotene Versammlungen großer Gruppen von Delegierten verschiedener Plantagen. Die spirituellen Praktiken des Voudou wurden zu einem identitätsstiftenden Moment für die aus den unterschiedlichsten Regionen Afrikas zusammengewürfelten oder bereits in Haiti geborenen Menschen. Gleichzeitig kristallisierten sich bei den Zeremonien Führungspersönlichkeiten heraus.
Im August 1791 rebellierten die Sklav*innen zahlreicher Plantagen und entfachten unter Führung von Dutty Boukman eine Aufstandsbewegung, die bald weite Teile Saint Domingues erfasste. Güter wurden gestürmt, Herrenhäuser niedergebrannt, besonders brutale Plantagenbesitzer und -verwalter getötet. Während im Jahr zuvor ein Aufstand einiger hundert Gens de Couleur noch niedergeschlagen und an den Anführern Vincent Ogé und Jean-Baptiste Chavannes ein grausames Exempel statuiert worden war, war die weiße Elite von der Masse und Entschlossenheit der revoltierenden Sklav*innen völlig überrascht und floh panisch in die befestigten Städte. Diejenigen, die gerade noch von Unabhängigkeit gesprochen hatten, sandten nun eiligst Schiffe ins „Mutterland“ und baten um militärische Hilfe.
Zwar gab es unter den Aufständischen charismatische Persönlichkeiten wie Boukman, die die Bewegung immer wieder anspornten, aber ihnen fehlte ein konkretes Programm. In dieser Phase trat ein mit 45 Jahren schon sehr alter Sklave (die meisten Zwangsarbeiter*innen starben deutlich jünger) auf den Plan: Toussaint Louverture, der zunächst nach der Plantage Bréda, auf der er lebte, den Namen Toussaint (Allerheiligen) Bréda trug.
Über dessen Leben vor 1791 schreibt James wenig. Der aus Mauritius stammende und in Oxford lehrende Sudhir Hazareesingh, dessen 2020 im Original und 2022 in deutscher Übersetzung erschienenes Buch „Black Spartacus – Das große Leben des Toussaint Louverture“ anders als James’ Arbeit eine explizite Biographie des Revolutionärs ist, hat bei seinen Forschungen etwas mehr über dessen erste Lebensphasen gefunden. Danach wurde er in Haiti geboren. Sein aus Afrika verschleppter Vater war in seiner Heimat, dem heutige Bénin, im dortigen Königreich ein einflussreicher hoher Funktionär, was ihm auch unter den Sklav*innen in Saint Domingue eine gewisse Autorität verlieh. Toussaint, eher von schwächlicher Statur, musste nicht wie die anderen Kinder schwere Feldarbeit verrichten, sondern wurde für Dienste im Haus eingesetzt. Dort lernte er Französisch (die meisten Sklav*innen sprachen nur Kreol, das sich aus dem Idiom der Franzosen und afrikanischen Sprachen entwickelt hatte) und konnte bei den Jesuiten, die als Einzige Sklav*innen unterrichteten, eine Grundbildung im Lesen und Schreiben erwerben. Weil er gut mit Pferden umgehen konnte, wurde er später Kutscher. Bedeutete schon die Tätigkeit als Haussklave ein Privileg gegenüber den Feldsklav*innen, war es die eines Kutschers umso mehr, denn als solcher gehörte er zu den wenigen, die die Plantage legal verlassen und andere Orte kennenlernen konnten. Zudem wurde er ein Vertrauter des Verwalters Bayan de Libertat, der neben Bréda weitere Plantagen führte, deren Besitzer überwiegend in Frankreich lebten.
Zu Beginn des Aufstands verhielt sich Toussaint zunächst abwartend. Offensichtlich mit einer natürlichen Autorität ausgestattet, erreichte er, dass die revoltierenden Sklav*innen Bréda verschonten. Der Familie des Verwalters ermöglichte er die Flucht in die Stadt. Nach einigen Wochen schloss er sich dann aber den Aufständischen an. Wegen seines Auftretens, seiner Bildung, seiner Kenntnisse in Geographie und Logistik wurde er schnell eine Führungspersönlichkeit der revolutionären Bewegung.
Die Schwarzen waren zwar wegen ihrer schieren Zahl zunächst im Vorteil, gerieten jedoch ab Ende 1791 immer mehr in die Defensive, auch weil sich die Gens de Couleur mit den Weißen verbündeten, nachdem ihnen die Nationalversammlung in Paris volle Bürgerrechte zugesichert hatte. Den Schwarzen Truppen fehlte es im Verlauf des Jahres 1792 zunehmend an Waffen und Nachschub. In dieser prekären Situation unternahmen die Heerführer Biassou, Jean François und der inzwischen zum Kommandanten aufgestiegene Toussaint Louverture im Frühjahr 1793 einen geschickten Schachzug. Sie verbündeten sich mit den Spaniern aus dem Ostteil der Insel, die ihnen die Versorgung mit Waffen und Lebensmitteln zusagten. Obwohl die reaktionären Repräsentanten der spanischen Krone entschiedene Verfechter der Sklaverei waren, sah Toussaint in dem Zweckbündnis die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass die Truppen der Schwarzen aufgerieben wurden. Mit spanischer Unterstützung konnten sie wieder vorrücken und die französischen Streitkräfte zurückdrängen.
Dann kam die Kunde, dass in Jamaika britische Truppen eine Invasion Saint Domingues vorbereiteten. Wie die Spanier hofften die Briten von den Konflikten in Frankreichs wichtigster Kolonie profitieren und sie sich einverleiben zu können. Da zu erwarten war, dass die weißen Plantagenbesitzer, die seit der Gleichstellung der Gens de Couleur und wegen der ihrer Meinung nach zu geringen Unterstützung im Krieg gegen die aufständischen Schwarzen mit der Revolutionsregierung in Paris unzufrieden waren, die britischen Truppen unterstützen würden, wurde die Situation für die französische Kolonialverwaltung bedrohlich. In dieser Situation verkündete Gouverneur Sonthonax Ende August 1793 ohne Absprache mit den Machthabern in Frankreich die Aufhebung der Sklaverei in Saint Domingue. Er nahm Kontakt zu Toussaint Louverture auf, der zunächst reserviert reagierte. Erst als auch die französische Nationalversammlung auf Druck der Pariser Massen und ohne Zustimmung des „starken Manns“ Maximilien Robespierre die Sklaverei in den Kolonien aufhob, erklärte er sich bereit, mit seinen Truppen ins französische Lager zu wechseln. Die Gebiete, die er zuvor für Spanien erobert hatte, waren nun wieder unter französischer Herrschaft, faktisch wurden sie vorher und nachher von Louverture und seinen Truppen kontrolliert.
Als Oberkommandierender der französischen Truppen in Saint Domingue organisierte Toussaint Louverture sehr erfolgreich den Krieg gegen die britischen Invasionstruppen. Als diese 1797 besiegt waren und abziehen mussten, war er der faktische Herrscher der Kolonie, obwohl er formal dem Gouverneur unterstand. Anders als seine Generäle, die wichtigsten waren Jean-Jacques Dessalines, Henri Christophe, sein Adoptivsohn Moyse Hyacinthe Louverture sowie der Homme de Couleur André Rigaud, war Toussaint Louverture nicht nur ein guter Militär, sondern auch ein geschickter Politiker.
Neben der Reorganisation von Justiz und Verwaltung sah er es als wichtigste Aufgabe an, die darniederliegende Wirtschaft anzukurbeln. Dafür hatte er ähnliche Vorstellungen wie Nelson Mandela nach dem Ende der Apartheid in Südafrika. Die Weißen sollten ihre dominierende Rolle in der Wirtschaft behalten. Auch in der Verwaltung besetzten sie weiter zentrale Positionen. Lediglich die Armee stand unter dem Kommando der Schwarzen. Toussaint Louverture war der Meinung, dass es den ehemaligen Sklav*innen an Kompetenz fehlte, um Wirtschaft und Verwaltung zu organisieren. Dazu sollten sie nach und nach befähigt werden, wofür er überall Schulen und Ausbildungsstätten gründete.
Sein Programm hatte einen entscheidenden Haken. Der einstige Reichtum Saint Domingues basierte auf der Sklaverei. Louverture rief die weißen Großgrundbesitzer auf, ihre Plantagen wieder in Besitz zu nehmen, und die Schwarzen, zur Arbeit dorthin zurückzukehren – nun als Arbeiter*innen, denen 25 Prozent der Erlöse der Plantage als Lohn zustehen sollten. Das war in etwa so, als hätte man nach der Befreiung der Nazi-Konzentrationslager den überlebenden Häftlingen gesagt, sie sollten weiter in den Lagern schuften, würden aber bezahlt und besser ernährt, wobei drei Viertel der Erlöse ihrer Arbeit weiterhin an die Nazis gehen sollten.
Entsprechend hielt sich die Lust vieler Schwarzer, auf die Plantagen zurückzukehren, in Grenzen. Sie wollten lieber zur Selbstversorgung ein eigenes Stück Land bebauen oder in die Städte ziehen. Um das zu verhindern, griffen Toussaint Louverture und die Kolonialverwaltung zwischen 1798 und 1801 zu drastischen Mitteln. Zunächst wurde es den Schwarzen verunmöglicht, kleine Parzellen zu erwerben. Dann durften nur noch die in die Städte ziehen, die dort eine feste Arbeit nachweisen konnten. Zudem wurde Landstreicherei, also Bewegungsfreiheit, unter Strafe gestellt, und schließlich wurde den ehemals Versklavten verboten, die Landgüter zu verlassen. Damit war faktisch das Zwangssystem der Plantagen wieder hergestellt. Weil dort immer noch Arbeitskräfte fehlten – viele widerstandserfahrene Schwarze fanden Mittel und Wege, sich dem Arbeitszwang zu entziehen –, ermöglichte Toussaint Louverture sogar wieder die Einfuhr von Sklav*innen. Die sollten zwar nach der Ankunft in Saint Domingue sofort freigelassen werden, aber dennoch ins Plantagensystem gezwungen werden.
Sowohl C.L.R. James als auch Sudhir Hazareesingh verteidigen die Zwangsmaßnahmen und die Privilegierung der besitzenden Weißen und einiger neureicher Schwarzer. Für Hazareesingh, einen liberalen Autor, steht die Notwendigkeit der Restrukturierung der Plantagenökonomie außer Frage, weil ein System von Kleinfarmen „eine große und effiziente Bürokratie sowie ein hochentwickeltes Transportsystem erforderte, was beides Ende des 18. Jahrhunderts in Saint Domingue nicht vorhanden war“ (S. 339). Was die ehemals versklavten Menschen wollten, die jahrelang unter großen Opfern für ihre Befreiung gekämpft hatten, ist für ihn zweitrangig. Auch James sah die Wiederbelebung der Plantagenwirtschaft als notwendig an, allerdings aus anderen Gründen. Für ihn war Louvertures Politik primär den politischen Veränderungen in Frankreich geschuldet. War dort die Revolution schon nach dem Sturz Robespierres 1795 nach rechts gerückt, lief nach der Machtübernahme Napoleons 1799 alles darauf hinaus, in Saint Domingue die Schwarzen zu entmachten und die Sklaverei wieder einzuführen. In Louvertures Dekreten sah James primär den Versuch, sich für die zu erwartende konterrevolutionäre Invasion napoleonischer Truppen zu wappnen. Seine Armee brauchte Geld, um im Ausland, vor allem den USA, Waffen und Gerät zu kaufen. Dazu seien Agrarexporte nötig gewesen.
Allerdings stellt James klar, dass der Preis zu hoch war. Toussaint Louverture habe dadurch die Unterstützung der Schwarzen Massen verloren. Vor allem der Zwang, wieder auf den Plantagen zu arbeiten, deren Besitzer das vormalige Arbeitsregime und die brutalen Strafmaßnahmen re-etablierten, führte zu enormer Unzufriedenheit. Als sein Adoptivsohn Moyse Hyacinthe Louverture als militärischer Befehlshaber des Nordens im Oktober 1801 einen Aufstand der Arbeiter*innen unterstützte, ließ Toussaint Louverture die Rebellion niederschlagen und Moyse hinrichten. Für James bedeutete die „Militärdiktatur“ Toussaints letztendlich eine Schwächung der Position der Schwarzen im Vorfeld der bevorstehenden Militärintervention.
Nach der Landung von 25000 (!) bestens bewaffneten französischen Soldaten im Februar 1802 schaffte es Toussaint, den Widerstand zu organisieren, auch wenn seine Generäle dem Oberbefehlshaber nicht mehr vertrauten und ihre eigene Politik betrieben. Dennoch fügte die Armee der Schwarzen den Invasionstruppen schwere Verluste zu, so dass sich deren Kommandant Charles Victoire Emmanuel Leclerc nach drei Monaten zu einem Waffenstillstand bereit erklärte. Als Toussaint zu weiteren Verhandlungen eingeladen wurde, stellte man ihm eine Falle und deportierte ihn nach Frankreich, wo er in Folge von Isolationshaft, Hunger und Unterkühlung am 7. April 1803 starb.
Die Revolution in Haiti wurde dadurch nicht aufgehalten. Die Nachrichten von der Deportation Louvertures und der Wiedereinführung der Sklaverei in der französischen Kolonie Guadeloupe führten im Gegenteil dazu, dass sich immer mehr Schwarze den revolutionären Einheiten anschlossen. Gegen die durch Gelbfieberepidemien, aber auch Desertationen (so setzten sich mehrere hundert aus ihren Heimatländern nach Frankreich geflohene polnische und deutsche Jakobiner ab, als ihnen klar wurde, dass sie in Saint Domingue für die Wiedereinführung der Sklaverei kämpfen sollten) dezimierten französischen Truppen errangen die Schwarzen immer mehr Siege. Die Invasionsarmee wurde fast vollständig aufgerieben. Im November 1803 flohen ihre bescheidenen Reste ins spanische Santo Domingo. Jean-Jacques Dessalines verkündete am 29. November 1803 die Unabhängigkeit Haitis. Nach dessen erster Verfassung von 1804 sollten Weiße niemals mehr Land in Haiti besitzen dürfen. Wobei weiß nichts mit der Hautfarbe zu tun hatte. Polen und Deutsche galten ausdrücklich nicht als Weiße!
Die Bücher von C.L.R. James und Sudhir Hazareesingh bieten umfangreiches Material über die hier immer noch wenig bekannte Haitianische Revolution und die faszinierende Persönlichkeit Toussaint Louvertures. Wer einiges über die Geschichte Haitis weiß und das Buch von James bereits kennt, dem bringt „Black Spartacus“ von Sudhir Hazareesingh sicher einige neue Informationen und Details, wobei das Buch Leerstellen bei James, wie etwa die Rolle der Frauen in der revolutionären Bewegung, trotz inzwischen vorhandener Forschung auch nicht ausfüllt.
Wer verstehen möchte, was in Haiti zwischen 1791 und 1804 geschah und darüber hinaus gut geschriebene Texte schätzt, die/der soll auf jeden Fall zuerst „Die schwarzen Jakobiner“ von C.L.R James lesen. Die in die Neuauflage aufgenommenen ausgezeichneten Aufsätze von Philipp Dorestal und – leider etwas soziologisch abgehoben formuliert – von Çiğdem Inan sowie das Vorwort von Raoul Peck bringen zudem wichtige Anregungen für eine zeitgenössische Lektüre dieses Werks.