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Auf einer Beerdigung hier herrscht mehr Stimmung als auf einem deutschen Geburtstag

Kathrin Zeiskes Buch über „Ciudad Juárez – Alltag in der gefährlichsten Stadt der Welt“
Britt Weyde

Im November 2022 ist Europol ein großer Schlag gegen den Kokainhandel in Europa gelungen, unterstützt von der US-amerikanischen Drogenpolizei DEA. 49 Menschen wurden festgenommen, Drogen für Hunderte Millionen Euro beschlagnahmt. Und die Tagesschau stellte fest: Nie war so viel Kokain im Umlauf wie heute.

Eine Stadt, deren Bevölkerung unter den Folgen des internationalen Drogenhandels extrem leidet, ist Ciudad Juárez, gerne auch die gefährlichste Stadt der Welt genannt. Und über diese Metropole an der Grenze zu den USA hat die gebürtige Bonnerin Kathrin Zeiske nun ein Buch veröffentlicht. Die Journalistin lebt große Teile des Jahres freiwillig dort, und auch gerne. Bei einer Lesung in Köln lässt sie sich zu ihrem Alltag ausquetschen. Ja, sie fährt dort auch Fahrrad. Und klar, die Haustür wird mit ganz schön vielen Schlössern verriegelt. Nicht zuletzt ihr Hobby als „Luchadora“, als Wrestlingkämpferin à la mexicana, hat sie dort Wurzeln schlagen lassen. Über „Miss Kath“, so ihr Kämpferinnenname, sind zuletzt gar Porträts in Spiegel und ZDF veröffentlicht worden.

Zeiske betont, dass Ciudad Juárez mehr ist als „Mord und Totschlag und Crystal Meth“. Dennoch berichtet auch sie über die Machenschaften der Drogenkartelle, stellt vor allem fundiert Bezüge her. Europa ist der zweitwichtigste Markt für Drogen aus Lateinamerika, nach Deutschland gehen etwa neun Prozent des Kokains aus Lateinamerika. „Was läuft in diesen wohlhabenden Ländern so grundlegend schief, dass die dort lebenden Menschen so gestresst und unglücklich sind?“ (S. 115), fragt Gerardo Rodríguez von der Tageszeitung El Diario de Juárez. „Ohne Nachfrage gäbe es keinen Anbau, keinen Handel, keine Drogenroute“, wird er moralisch. Andere Leute vor Ort zweifeln daran, ob der illegale Handel jemals unter Kontrolle zu bekommen ist, und plädieren für den pragmatischen Weg der Legalisierung, um Gewalt zu mindern und Gewinne zu schmälern. Obwohl Letzteres einigen nicht so recht sein dürfte: Schließlich ist der Drogenhandel neben Tourismus, Erdöl und Geldüberweisungen der Migrant*innen eine der Säulen der mexikanischen Wirtschaft.

Aber nicht nur der internationale Drogenhandel und der interne Krieg gegen den „narcotráfico“, der zwischen 2008 und 2012 in Ciudad Juárez rund 14 000 Todesopfer forderte, machen die Menschen in der Grenzmetropole kaputt. In den knapp 300 Montagefabriken internationaler Unternehmen, die Elektronik für Autoindustrie, Medizin und Robotertechnik herstellen, herrschen ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Ein Viertel der Bevölkerung von Juárez, etwa 300 000 (hauptsächlich weibliche) Menschen, arbeitet in diesen Maquilas. Wegen der Hungerlöhne führen sie „ein Leben zwischen Marginalisierung und Verschuldung, das sich von Generation zu Generation fortsetzt“ (S. 131).

Dieses Arbeitsregime hat auch Auswirkungen aufs Geschlechterverhältnis. Eine Psychologin meint, dass für die „Männer, die sich ausgeschlossen und unbeachtet fühlen, Allmachtsfantasien zum Ventil werden“ (S.82). Gekränkte, ohnmächtige, letztlich toxische Männlichkeit, gepaart mit allgemeiner Korruption und Straflosigkeit, die nicht nur Banden, Menschenhändlerringen und Drogenkartellen (mit besten Verbindungen zu Polizei und Lokalpolitik) das brutale Abschlachten von Frauen erlaubt, sondern auch dem „kleinen Mann“ die Sicherheit gibt, mit gewalttätigem Verhalten davonzukommen, führen zur traurigen Realität, dass Ciudad Juárez zur Hauptstadt der Frauenmorde wurde. Zeitweise zeigte sich der sexistische Grundkonsens in der Facebookgruppe „Imperio Alpha“, in der 70 000 Männer ihrer Misogynie ungehemmt frönten.

Zeiske hat für das Buch ihre besten Reportagen, die zuvor u.a. in der taz, der Jungle World, dem ND und auch der ila (!) veröffentlicht worden waren, aktualisiert und überarbeitet. Das bedingt mit, dass bestimmte Zusammenhänge wiederholt erklärt werden, was aber nicht stört. Man merkt ihren Geschichten an, wie gut sie vor Ort vernetzt ist, und dass sie auf die richtige, Vertrauen weckende Art und Weise auf die Menschen zugeht. Selbst im berüchtigten Knast Nr. 3 führt sie Interviews mit Häftlingen oder spricht mit dem jugendlichen Schleuser Chuy, der politisch korrekt auch „Agent sozialer Mobilität“ (S. 29) genannt wird.

In einem Nachwort werden die politischen Austauschreisen gewürdigt, die Kathrin Zeiske mit dem Verein IAK e.V. schon mehrere Male durchgeführt hat, woraus das „Juarlín“-Netzwerk (Kombi aus Juárez und Berlin) entstanden ist. Ganz am Schluss Kathrin Zeiskes Danksagungen, besonders herzerwärmend: Neben vielen anderen wird auch den Redakteur*innen der ila gedankt, die „schon so viele Jahre meine Arbeit abdrucken“. ¡Con mucho gusto!