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Die meisten Probleme entstehen an Land

Die Verschmutzung und Erwärmung der Weltmeere bedroht die Lebensgrundlage von Milliarden Menschen

Die Meere und die Küstenregionen werden immer intensiver genutzt. Das eröffnet Möglichkeiten, birgt aber auch enorme Risiken für die Menschen, die am und vom Meer leben. Die Erweiterung der Infrastrukturen von Häfen oder des Tourismus, die Vergabe von Fanggründen an die industrielle Fischerei und von Fördergebieten an die Ölindustrie wie auch die Öffnung des Küstenraums für Aquakultur-Farmen münden zu oft in der Zerstörung der marinen Ökosysteme und dem Verlust der Zugangsrechte für die lokalen Bevölkerungen. Aus Anlandestellen werden Strände für Tourist*innen, und Mangrovenwälder werden abgeholzt, um dort Garnelen zu züchten. Mit den vielfältigen Nutzungsinteressen gehen Konflikte um den begrenzten maritimen Raum in Küstennähe einher. Der Schutz der Küstengemeinden im globalen Süden, ihrer Existenzgrundlagen, Rechte und Interessen steht beständig in Konkurrenz zu den Projekten zur Industrialisierung der Küstenregionen.

Kai Kaschinski

Lange Zeit segelten Menschen vor allem über die Ozeane hinweg, nutzten sie als Verkehrsweg. Lediglich die Netze, die sie zum Fischfang auswarfen, drangen unter die Oberfläche vor. Neben der Schifffahrt und der Fischerei gab es zwar eine Vielzahl anderer Nutzungen der Meereswelt, doch niemand erkundete ihre Tiefe, drang in die Dunkelheit vor, noch wurde ihre Natur grundlegend verändert. So fischten die Menschen auf unterschiedlichste Weise im Meer, jagten Wale und suchten bei Ebbe an den Stränden nach Meeresfrüchten, sammelten Strandgut, gewannen Salz oder lasen Muschelschalen auf, um Kalk aus ihnen zu gewinnen.

Aber im Laufe der Zeit löste die Seefahrt neue Begehrlichkeiten aus. Die Navigation auf See wurde dabei zu einer Schlüsseltechnologie, die das Wissen über die Ozeane beständig erweiterte. Kenntnisse über Meeresströmungen, Winde, Untiefen, Sternenkonstellationen und Ankerplätze wurden gesammelt. Gesucht wurden die schnellsten und sichersten Routen über See. Nicht die Erforschung der Meere motivierte also zu diesem Fortschritt an Wissen, sondern das Land und die Verheißung von Reichtümern auf der anderen Seite des Ozeans.

So war es zumindest in Europa. Die berühmten See- und Entdeckungsreisen der Neuzeit erschlossen den in Europa Lebenden die Welt und leiteten damit zugleich das Zeitalter des Kolonialismus ein, waren eine seiner wesentlichen Voraussetzungen. Erreichten die europäischen Schiffe die andere Seite der Meere, wurden die Einwohner*innen an den neu entdeckten Küsten meist über kurz oder lang unterworfen. So war die Sichtung eines nahenden Schiffes keineswegs ein gutes Zeichen, und kaum ein Name spiegelt diesen Teil der Geschichte so wider wie der von Christoph Columbus. Die Handelsströme, die sich entfalteten, orientierten sich an den Interessen der Kolonialisten. Die Herrschaftshäuser Spaniens, Portugals, der Niederlande, Frankreichs, Großbritanniens und später Belgiens ließen ganze Imperien errichten, die sie nur über die Seewege regieren konnten. Bis heute sind die Herrschaft über die Meere und die Kontrolle der Seewege geopolitische Schlüsselelemente für jede Weltmacht.

Das gesellschaftliche Verhältnis zum Meer hat sich inzwischen grundsätzlich verändert. Die Meereswelt wird zunehmend kultiviert. Neue Nutzungsformen entstehen, und auch die Qualität und Tiefe der Eingriffe sind anders. Selbst die Schifffahrt und die Fischerei haben ihr Gesicht geändert. Die Installation von Offshore-Plattformen zur Öl- und Gasförderung wie vor Brasilien oder die Aquafarmen in Chile (vgl. den Beitrag von Sophia Boddenberg in dieser ila) sind Beispiele für solch qualitativ neue, intensivere Nutzungen. Je nach Weltmarktpreis wird mittlerweile bis zu einem Drittel des Erdöls offshore gefördert, und die Hälfte der Fischereiprodukte stammt heute aus der Aquakultur. Die Ozeane werden nicht mehr nur oberflächlich genutzt. Auf breiter Front schreitet ihre Industrialisierung weltweit voran. Was zunächst in den flachen Gewässern der küstennahen Regionen begann, reicht nun bis hinab in die Tiefsee und bis hin zum genetischen Material und den Mineralien am Meeresboden der Hohen See.

Je deutlicher an Land die planetaren Grenzen hervortreten, umso interessanter werden die Meeresschätze. Die marinen Ressourcen sind bereits zu einem festen Bestandteil der globalen Wirtschaft geworden, und eine neue sogenannte „Blaue Ökonomie“ ist im Entstehen. Der Kampf Ahabs mit dem weißen Wal Moby Dick, sofern er betrachtet wird als eine literarische Studie über den zerstörerischen Drang zur Beherrschung der Natur der Ozeane, ist entschieden. Moby Dick und seine kleinen fischigen Freunde haben verloren. Die Meeresräume sind zum Objekt konkurrierender Nutzungsinteressen geworden, und eine Unzahl von Verteilungskonflikten um sie und ihre Ressourcenvorkommen ist entbrannt.
Andererseits geht die Industrialisierung der Meeresnutzung Hand in Hand mit einer Vielzahl an Prozessen zum Meeresschutz. Heute ist Meerespolitik ohne Meeresschutzmaßnahmen und wissenschaftliche Begleitforschung kaum noch zu legitimieren. International gilt ein vorsorgender und ökosystemarer Meeresschutz als Voraussetzung für die Durchführung maritimer Projekte und die Nutzung der Meeresressourcen. Dennoch verschlechtert sich der Zustand der Ozeane kontinuierlich. Meeresforschung und -schutz können nicht mit der Geschwindigkeit mithalten, mit der die Erschließung der Ozeane und Meere voranschreitet. Zwar werden gerade in den letzten Jahren zunehmend mehr Meeresschutzgebiete ausgewiesen, wie vor Costa Rica oder rund um die Galapagos-Inseln. Allerdings wachsen ebenso unaufhaltsam die Flächen, die wirtschaftlich genutzt und ausgebeutet werden. Akzeptiert wird damit im Kern eine Aufteilung der Ozeane in Schmutz- und Schutzzonen. Konzepte für eine umfassend nachhaltige Nutzung der Meere im Ganzen werden hingegen vernachlässigt oder haben keine Bedeutung.

Unzählige meereswissenschaftliche Studien belegen mittlerweile eindringlich die Gefährdung der marinen Ökosysteme und ihres Artenreichtums. 2016 und 2021 haben die UN das »World Ocean Assessment I« und das »World Ocean Assessment II« herausgegeben, die geradezu enzyklopädisch die aktuellen Forschungen zum Zustand der Weltmeere zusammenfassen. 2019 sind zudem zwei zentrale Berichte von UN-Institutionen erschienen, die eine ebenfalls nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Bewertung des Zustands der Ozeane und Meere haben. Zum einen ist dies das „Global Assessment on Biodiversity and Ecosystem Services“ vom Weltbiodiversitätsrat (IPBES), und zum anderen ist es der „Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate“ vom Weltklimarat (IPCC). Die globalen Umweltveränderungen der zurückliegenden fünf Dekaden bezeichnet der IPBES als beispiellos. Der Bericht des Weltklimarats bezeichnet die Dynamik als „einen Übergang zu noch nie da gewesenen Bedingungen“.

Werden die Ergebnisse der Berichte und wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre zusammengefasst, ergibt sich ein äußerst beunruhigendes Bild. Die ökologische Situation der Meere ist kritisch. Kumulative Effekte verstärken die negativen Auswirkungen der unzähligen Stressfaktoren. Im Kern sind es aber nicht die plötzlichen Katastrophen, wie die verheerenden Dammbrüche in den Rückhaltebecken für die giftigen Schlämme der Eisenerzminen 2015 in Mariana oder 2019 in Brumadinho, beide im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, die diese gravierende Verschlechterung des Zustands der marinen Umwelt unaufhaltsam vorantreiben. Vor allem sind es die schleichenden Prozesse, die 50 Jahre nach den ersten Warnungen über die „Grenzen des Wachstums“ einen erheblichen Einfluss auf den Zustand der Meere gewonnen haben und die ökologischen Kipppunkte immer näher rücken lassen.

Die Populationen von Meereslebewesen verkleinern sich, und ganze Arten sterben aus. Küsten- und Meeresökosysteme degradieren weltweit und gehen großflächig verloren. Ganze Ökoregionen wie die der Korallenriffe und das Meereis sind vom Verschwinden bedroht. Auf See werden die planetaren Grenzen sichtbar. Den nach wie vor größten negativen Einfluss auf die Meereswelt hat heute, laut IPBES, die Fischerei, die auf mehr als der Hälfte der gesamten Meeresfläche betrieben wird. An zweiter Stelle stehen die Umnutzungen der Meeres- und Küstengebiete im Rahmen ihrer Industrialisierung und intensiveren Nutzung. Seit 1970 sind 35 Prozent der Populationen mariner Arten geschrumpft.

Die Überfischung der von der Fischerei genutzten Bestände ist laut des SOFIA-Berichts der Welternährungsorganisation von 2022 auf mittlerweile über 35 Prozent gestiegen. Um trotz aller Schwierigkeiten eine Abnahme der Fangmengen zu vermeiden, dringt in erster Linie die industrielle Fischerei mit ihren Netzen in immer größere Tiefen vor, und neue Zielarten werden mit ständig ausgefeilteren Fangtechniken befischt. Dennoch gelingt es den großen Trawlern und Fischfabriken seit Mitte der 90er-Jahre nicht mehr, ihre Fangmengen zu erhöhen. Sie stagnieren bei etwa 80 Millionen Tonnen. Hinzu kommen die nur in Ausnahmefällen erfassten Fangmengen, die durch die Subsistenz-, Freizeit- und nicht zuletzt die illegale Piratenfischerei eingebracht werden. Das Gleiche gilt für die Beifänge, die stellenweise erheblich sein können. All diese Faktoren verschärfen den Fischereidruck noch einmal um geschätzte 40 bis 50 Prozent.

Die industrielle Fischerei, die in der Regel mehr Beifang erzeugt, einen höheren Treibstoffverbrauch hat und destruktivere Fangmethoden einsetzt als die handwerkliche Kleinfischerei, wird trotz ihrer verheerenden Folgen für die Meeresumwelt oftmals mit Subventionen unterstützt. Mit der Überfischung erhöhen sich die Investitionskosten und der erforderliche Aufwand, um die gleichen Mengen an Fisch und Meeresfrüchten anzulanden. Hieraus und aus staatlichen Initiativen zur Privatisierung von Fanggründen ist ein Konzentrationsprozess in der Fischereiwirtschaft hervorgegangen. Chile ist ein Paradebeispiel für Ocean Grabbing und dafür, wie in diesem Zusammenhang letztlich eine Handvoll an Unternehmen die Verfügungsgewalt über große Teile der marinen Ressourcen gewinnen kann. Die eigentlichen Wachstumsbereiche der Fischereiwirtschaft sind jedoch die industrielle Fischzucht und der Anbau von aquatischen Pflanzen. Mit Aqua- und Marikultur sowie blauer Gentechnologie, Massentierhaltung und Futtermittelproduktion hat die Fischzucht eine qualitative Veränderung erfahren. Ganze Küstenbereiche werden durch die Aquakultur umgewandelt und massiv belastet mit Nährstoffen und Medikamenten. Zusammen stellen Aqua- und Marikultur sowie See- und Binnenfischerei für 3,2 Milliarden Menschen den tierischen Eiweißbedarf zu mindestens 20 Prozent sicher.

Vieles, das die Meere belastet, hat seinen Ursprung allerdings nicht auf See, sondern gelangt über Flusssysteme wie dem des Amazonas oder über die Luft in die Ozeane. Nicht nur die Nährstoffe, die für die Überdüngung der Meere sorgen, sondern insgesamt rund 80 Prozent der Meeresverschmutzung haben ihren Ursprung an Land. So gelangen immer noch geschätzte 80 Prozent der Abwässer unbehandelt in die Umwelt, und 300 bis 400 Millionen Tonnen an Schwermetallen, Lösungsmitteln, toxischen Substanzen und anderen Abfällen aus Industrieanlagen werden pro Jahr in Gewässer eingeleitet. Zwischen 2003 und 2012 haben die Einleitungen von Chemikalien in die Meere noch einmal um 12 Prozent zugenommen. Etwa fünf Prozent des produzierten Plastiks landet am Ende in den Ozeanen. Durch Bioakkumulation reichern sich die Schadstoffe in den Meereslebewesen und ihren Nahrungsnetzen an und finden sich auch in Lebensmitteln aus dem Meer wieder, die dem menschlichen Verzehr dienen. (vgl. den Beitrag von Frederik Caselitz und das Interview mit Benedict Wermter in dieser ila)

Von den verschiedenen Schadstoffen und den Wechsel­wirkungen zwischen ihnen – wie auch von ihren Wechsel­wirkungen mit der Umwelt – geht vor allem aber eine permanente Belastung der betroffenen Meeresgebiete und der dort vorkommenden Lebensgemeinschaften aus. Schwer­metalle, Nährstoffe, Medikamente und andere Substanzen können wie Makro- und Mikroplastik und andere Abfälle die Meereswelt erheblich schädigen. So lassen sich bei Meerestieren Geschwüre, Krankheiten und eine Verringerung der Fortpflanzung auf ihre Schadstoffbelastung zurückführen. Rund 70 Prozent aller festen Abfälle sinken wie der Plastikmüll früher oder später zum Meeresboden und machen diesen zu einer Mülldeponie. Während die enormen Belastungen in den Küstenregionen der Industrieländer stellenweise reduziert werden konnten, haben sich die Einträge der Entwicklungsländer und der wirtschaftlich expandierenden Staaten hingegen vielfach erhöht.

Weltweit wurden in den maritimen Wirtschaftszonen von 53 Staaten, nicht zuletzt vor der Küste Brasiliens, etwa 6500 Offshore-Öl- und -Gas-Plattformen aufgestellt, die schon im Normalbetrieb für eine Verschmutzung der umliegenden Meeresgebiete sorgen. Der Schiffsverkehr, das zu oft vergessene Rückgrat der globalen Lieferketten, verursacht gravierende Lärmemissionen, die Meeressäuger und andere Meerestiere belasten, und produziert annähernd drei Prozent der globalen Jahresmenge an Klimagasen. 50 000 mehr als 15 Meter hohe Staudämme wurden in den Flüssen der Welt errichtet und halten eine riesige Menge an Sediment zurück, das ansonsten entlang der Küsten als Nachschub für die Sandstrände dienen würde. Fast ein Viertel der Strände, manche gehen von noch höheren Zahlen aus, verliert aufgrund des Meeresspiegelanstiegs und der Sand- und Kiesentnahme vor den Küsten mehr als einen halben Meter seiner Breite pro Jahr. Weltweit werden 40 bis 50 Milliarden Tonnen Sand und Kies pro Jahr abgebaut, wovon 10 bis 15 Prozent aus den küstennahen Schelfmeeren stammen. Ein einziges modernes Förderschiff kann am Tag 100 000 Tonnen Sand vom Meeresboden saugen. Der Bau von Hafenanlagen, Aquafarmen und Tourismuszentren zerstört die Küstenökosysteme weitläufig und vertreibt vielerorts die ansässigen Küstenbevölkerungen. Wie die Überfischung, so ist auch der Übertourismus zu einem Problem an den Küsten geworden.
Den wahrscheinlich umfassendsten Einfluss auf die Ozeane und Meere wird auf lange Sicht jedoch der Klimawandel haben. Er hat das Potenzial, die gesamte Nettoprimärproduktion der Ozeane bis Ende des Jahrhunderts zwischen drei und zehn Prozent zu verringern und damit die Basis der meisten marinen Nahrungsnetze zu beeinträchtigen, je nachdem wie stark der Ausstoß von Klimagasen minimiert werden kann. In der Folge werden die potenziellen Fangmengen für die Fischerei um drei bis 25 Prozent schrumpfen. Die Auswirkungen des Klimawandels werden in den Ozeanen allerdings regional unterschiedlich sein, vor allem zum Nachteil des globalen Südens. Insbesondere die von den Ozeanen abhängigen Küstengemeinden und Inselstaaten, von denen sich überdurchschnittlich viele in der Karibik befinden, werden von vielen der negativen Auswirkungen zuerst und besonders hart getroffen. Tendenziell werden sich die Verbreitungsgebiete von Arten aufgrund der Erwärmung des Wasserkörpers vom Äquator in Richtung der Pole verschieben. Bei zwei Grad Celsius soll der Anstieg der Wassertemperatur das allgemeine Aussterberisiko von marinen Arten auf fünf Prozent und bei 4,3 Grad Celsius auf sogar 16 Prozent erhöhen.

Der Meeresspiegel steigt inzwischen schneller als noch vor zehn Jahren prognostiziert. Über 4,5 Millimeter pro Jahr sind es aktuell im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts. Bei einem Meeresspiegelanstieg von nur einem Meter können 75 Prozent der Landflächen der Inselstaaten untergehen und global nahezu 40 Millionen Küsten- und Inselbewohner*innen zu Umweltflüchtlingen werden. Für die Inselstaaten ist dies ein wahrer Existenzkampf, der bereits begonnen hat. Heute leben etwa 40 Prozent aller Menschen nicht weiter als 100 Kilometern entfernt von den Ozeanen. Annähernd eine Milliarde von ihnen siedelt nicht höher als zehn Meter über dem Meeresspiegel. Rund 340 Millionen leben in Deltagebieten, dort wo die Flüsse in die Ozeane münden. Zwei Drittel aller Megacities mit über 10 Millionen Einwohner*innen liegen an den Küsten. Guyana, Belize und Surinam gehören zu den fünf Ländern mit dem global höchsten städtischen Bevölkerungsanteil in niedrig liegenden Küstenzonen.

Der pH-Wert ist seit Beginn der Industrialisierung um 30 Prozent gefallen, und dies erschwert generell die Kalkbildung im Meer, schädigt Muscheln und Korallen und kann den Fortpflanzungserfolg von Meerestieren beeinträchtigen. In Kombination mit einer Erwärmung von nur 1,5 Grad Celsius gehen entsprechend der Voraussagen 70 bis 90 Prozent aller Korallenriffe verloren. Werden zwei Grad Celsius erreicht, sterben 99 Prozent der Korallenriffe ab. Selbst ohne dramatisieren zu wollen, wäre dies die seit langer Zeit größte ökologische Katastrophe. Die Korallenriffe sind die artenreichsten marinen Ökosysteme. Die Existenz von etwa einer halben Milliarde Menschen fußt auf gesunden Korallenriffen.

Die Meereserwärmung und der anhaltend hohe Eintrag von Nährstoffen über die Flusssysteme und die Atmosphäre sorgen zudem für eine weltweite Sauerstoffabnahme in den Ozeanen. In den letzten 50 Jahren haben die Ozeane zwei Prozent ihres Sauerstoffgehalts eingebüßt. Die kumulative Wirkung von Meereserwärmung und Überdüngung reduziert den Sauerstoffgehalt so sehr, dass in Tiefen zwischen 50 und 1000 Metern weltweit sauerstoffarme beziehungsweise fast sauerstofflose, als „Tote Zonen“ oder „Sauerstoffminimumzonen“ bezeichnete Meeresgebiete entstehen. Diese können eine Ausdehnung von mehreren zehntausend Quadratkilometern erreichen. Die größte der „Toten Zonen“ in der Arabischen See deckt eine Fläche von zwei Prozent der Weltmeere ab. Rund 700 dieser Gebiete sind mittlerweile bekannt, seit 1950 hat sich ihre Anzahl damit verzehnfacht. Meerestieren in diesen Zonen geht im wahrsten Sinne des Wortes die Luft aus, was zum Sterben ganzer Fischschwärme führen kann.

Heute lautet die entscheidende Frage, wie wir die Ozeane nutzen können, ohne unsere Lebensgrundlagen vollständig zu untergraben und ihnen eine letzte Chance zur Regeneration zu lassen. Doch bei allen Verhandlungen über mögliche Lösungsansätze wird deutlich, dass die Ozeane schon immer ein sehr politischer Raum waren. Es geht um weit mehr als intelligente Konzepte für den Meeresschutz. Für die Küstengemeinden Lateinamerikas, wie auch für alle anderen Küstenregionen im globalen Süden, entscheiden die Wege, die wir in den nächsten Jahren einschlagen, unzweifelhaft über ihre Existenz. Die Gemeinschaften entlang der Küsten im globalen Süden, deren Ökonomie wesentlich auf den natürlichen biologischen Ressourcen fußt, sind existenziell von intakten Ozeanen und Meeren abhängig. Ein effektiver Meeresschutz, der auf Dauer erfolgreich sein will, muss Umwelt und Entwicklung unzweifelhaft zusammendenken. Gerechtigkeit im Meeresschutz kann es nur mit dem Erhalt der Existenzgrundlagen der Küstengemeinden im globalen Süden geben.

Kai Kaschinski ist Projektkoordinator von Fair Oceans in Bremen.