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Selbstliebe, feministische Wut und Mutterschaft

Das neue Album der guatemaltekischen Rapperin und Soziologin Rebeca Lane
Mirjana Jandik

Witzig fängt Rebeca Lanes neues Studioalbum an. Sie erzählt davon, wie die Liebe ihres Lebens sie zum Abendessen einlädt und nach allen Regeln der Kunst verwöhnt: Lieblingsessen, Lieblingsserie und sinnliche Massage. Der Track geht nicht nur sofort ins Ohr, sondern auch in die Beine und Hüften. Die Pointe? Diese Liebe ihres Lebens hat die 37-jährige Rapperin nicht etwa auf Tinder kennengelernt oder in einer Bar, sondern beim Blick in den Spiegel.

Doppeldeutigkeiten und Wortwitz sucht man auf „Florecer“, so der Titel des neuen Albums, ansonsten fast vergebens. Das am 1. April herausgekommene Album ist, wie wir es von Rebeca Lane kennen, eher von Wut auf die herrschenden, patriarchalen Zustände geprägt. Dieses Mal mischt sich aber noch ein anderes Gefühl sehr prominent in ihre Musik: Zärtlichkeit. Rebeca Lane ist gerade Mutter geworden, drei der neun Tracks widmen sich explizit ihren widerstreitenden Gefühlen rund um Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft. Die musikalischen Töne auf „Florecer“ sind dementsprechend zarter, melodischer als viele ihrer früheren Lieder. Der vorletzte Track „Florecer (Interludio)“ ist ein vertontes Gedicht, der letzte mit dem Titel „Ajonjolí“ ist ein Wiegenlied für ihre Tochter. Das heißt aber nicht, dass sie sich von HipHop, Reggaetón und Cumbia verabschiedet hätte. Vor allem die ersten sechs Tracks sind energiegeladen und tanzbar, mit Ausnahme des zweiten Songs, dem introspektiven Trennungslied „Saber Perder“. Wechselnde Instrumente von Flöte über Blasinstrumente bis zum andinen Charango machen „Florecer“ zu einem spannenden Hörerlebnis.

Inhaltlich ist das Album dreigeteilt: Die ersten drei Tracks sind selbstreflexiv und erzählen vom manchmal schwierigen Weg zur Selbstliebe. Sie sind ein Aufruf, sich selbst wertzuschätzen und Erfüllung nicht nur in einer Partnerschaft zu suchen. Der dritte Song des Albums heißt „Darme Love“ und ist eine sinnliche, R’n’B-angehauchte Einladung, die eigene Lust zu entdecken. Für sich allein genommen passen die ersten drei Tracks gut zu neoliberalen Selfcare-Diskursen, die uns von Werbetafeln und Social-Media-Plattformen entgegenschreien, wir müssten uns nur selbst lieben, um glücklich zu sein und uns „Me-Time“ gönnen, um im stressigen Arbeitsalltag zu bestehen.
Rebeca Lane wäre aber nicht Rebeca Lane, wenn sie diese Selbstliebehymnen nicht in einen sozialen Kontext stellen würde. So widmet sich der zweite Teil des Albums dem kollektiven Widerstand, der aus diesen vermeintlich individuellen Erfahrungen entsteht. Track Nr. 4 und 5 des Albums sind nach feministischen Forderungen benannt: „No es No“ (Nein heißt Nein) und „Nos Queremos Vivas“ (Wir wollen uns lebend). In „No es No“ beschreibt sie auf eine klassische Cumbia-Melodie Szenen, die sicher viele Frauen kennen: Der Typ, der auf ein Nein mit Nachrichtenfluten reagiert, der „dekonstruierte Feminist“, der gerne mit zwei Freundinnen schlafen will, der mit Komplimenten manipulierende Narzisst. „Nein heißt Nein – ist das so schwer zu verstehen?“, fragt sie immer wieder, bis das Lied in einen gesprochenen Appell an Solidarität unter Freundinnen mündet. Zum wütenden „Nos Queremos Vivas“, das mit bedrohlichen Flötentönen beginnt, gibt es bereits ein starkes Video. Es ist an eine Protestaktion vom Februar 2021 angelehnt, bei der Mädchen auf ihren Fahrrädern unter anderem den Feminizid an einer Achtjährigen anklagten. Mit dem Ruf „Wir weichen keinen Schritt zurück, bis es Gerechtigkeit gibt“ hat der Track das Zeug zur neuen Hymne der feministischen Bewegung. „Flores Rojas“, Track Nr. 6, widmet sich dem Tabuthema Menstruation: „Mein Blut ist nicht dreckig, es ist keine Krankheit. Es ist kein Geheimnis, kein Grund, sich zu schämen, es macht mich nicht unrein, ich rieche nicht schlecht.“

Die letzten drei Tracks sind, wie bereits erwähnt, der Mutterschaft gewidmet und den gesellschaftlichen Vorurteilen und persönlichen Fragezeichen, die damit verbunden sind: Kann man mit Mitte dreißig noch Mutter werden? Macht Muttersein mich zu einer schlechten Feministin? Sie singt von Schmerzen, Zweifeln und von einer Liebe, die sie vorher noch nicht kannte. Eine Botschaft ist dabei zentral: Mutterschaft muss gewählt sein. Damit steht die Künstlerin und Aktivistin auch für das Recht auf legalen und sicheren Schwangerschaftsabbruch ein, seit Jahren eine zentrale Forderung der feministischen Bewegungen Lateinamerikas. Ihre Tochter, so Rebeca Lane, ist ein weiterer Grund, für feministische Forderungen zu streiten – damit sie in einer freieren Welt aufwachsen kann.