Der hohe Preis des Goldes
Die Gier nach Gold war eine der wesentlichen Triebkräfte der spanischen Eroberer Lateinamerikas. Dabei gingen sie rücksichtslos vor, das Leben der Indigenen hatte für sie keine Bedeutung. Daran scheint sich bis heute wenig geändert zu haben. Noch immer schert man sich bei der Förderung des Edelmetalls wenig um Umwelt, Gesundheit und Menschenleben. Das gilt für den großflächigen industriellen Tagebau in Brasilien und Peru ebenso wie für die Goldförderung am Kaka-Fluss im tropischen Tiefland im Norden von La Paz in Bolivien. Mit deren Intensivierung steigt auch der Einsatz von Quecksilber, um das Edelmetall zu konzentrieren. So müssen die indigenen Leco ihre Nahrungsmittel auf kontaminierten Böden anbauen und ihre Fische in vergiftetem Wasser fangen. Obwohl die Risiken offensichtlich sind, fehlen Studien zu den gesundheitlichen Folgen. Vor allem aber fehlen staatliche Aktionen, um den Problemen zu begegnen.
Yheiko, Gadiel und Daryl warten ungeduldig darauf, dass das Boot anlegt. Sie freuen sich darauf, flussabwärts Fische zu fangen. Mit ihren sieben, neun und zehn Jahren folgen sie ihrem Großvater Don Hernán Tupa. Er ist einer der Fischer von Tomachi, einer indigenen Gemeinde, in der es Konzessionen zur Goldgewinnung an den Ufern des Kaka-Flusses gibt, die die Tierwelt dieser bolivianischen Amazonasregion schädigt. Es ist 12:30 Uhr, kurz nach Mittag, als das Boot, das uns mit- nehmen soll, in Tomachi im Munizip Teoponte anlegt, we- gen schwerer Regenfälle in den Morgenstunden vier Stunden später als verabredet. Ungeduldig loszufahren, steigen die Kinder schnell in das Boot.
„Es ist das erste Mal, dass wir im Boot fahren“, sagt Gadiel, während er sich auf einem der Bretter niederlässt, die als Sitz dienen.
„Ich bin früher schon mal mit meinem Vater gefahren“, unterstreicht sein Vetter Yheiko.
Wir fahren einige Stunden auf der Suche nach Fischen bis nach Catea, das zwischen Tomachi und dem Madidi-Nationalpark liegt. Zum Zeitvertreib zählen die Kinder die Baggerschiffe auf dem Kaka-Fluss. Kaum sind fünf Minuten vorbei, rufen sie: „Bagger!“ In einer Viertelstunde sind fünf weitere dazugekommen. Alle gehören einer kolumbianischen Firma, die im Jahr 2015 in die Region gekommen ist, aber an allen weht eine bolivianische Flagge. Sie sind jeweils mindestens zehn Meter lang und zwölf Meter breit und durchwühlen den Boden nach Gold.
In den letzten Jahren hat die Präsenz der Bagger vor allem von ausländischen Firmen zugenommen. Und anders als sonst in indigenen Tieflandregionen wurde die Goldgewinnung in der Region der Leco von diesen schon in vorkolonialer Zeit betrieben. Nach der Unabhängigkeit von Spanien kombinierte man die handwerkliche Erzgewinnung mit Jagd und Fischfang. Und als die Leco dann sahen, wie massiv Firmen in den 90er-Jahren in ihr Gebiet kamen, beschlossen sie, selbst zu Mineros zu werden. Die indigenen Gemeinden verwandelten sich in Kooperativen, denn laut Bergwerksgesetz war das die einzige Möglichkeit, Gold auszubeuten.
„Die Gemeinden waren gezwungen zu Minero-Kooperativen zu werden, um die Bodenschätze auf unserem Territorium zu verteidigen und den Reichtum für uns zu nutzen. Sonst hätte der Staat Leute aus anderen Regionen hier hingebracht und die hätten alles mitgenommen. Wir wären dann nur noch Arbeiter gewesen“, erklärt Marcelo Dibapuri, Präsident der Leco-Gemeinden von Larecaja.
Deshalb gibt es so viele Konzessionen in dieser Region, die die Munizipien von Mapiri, Guanay, Teoponte und Tipuani umfasst. Allein in Teoponte sind es um die 75 Kooperativen. „Achtung!“, ruft Yheiko und zeigt auf einen Bagger am linken Ufer, schon in der Nähe von Mayaya, eine Flussstunde abwärts. Die Maschinen gehören den Goldfirmen, die Joint Ventures mit den Kooperativen eingehen, die ihrerseits von der AJAM (Autoridad Jurisdiccional Administrativa Minera), der Aufsichtsbehörde, die Konzessionen erteilt bekommen, obwohl das Gesetz wegen der steuerlichen Begünstigung der Kooperativen diese Zusammenarbeit verbietet. Die Kooperativen bekommen 30 Prozent der Gewinne, die Firmen 70 Prozent.
So wie bei anderen Amazonas-Zuflüssen ist auch das Wasser des Kaka trübe, denn es trägt Lehm und organisches Material mit sich. In den letzten Jahren begann es sich aber schwärzlich zu verfärben. Das liegt an der großen Menge an Metallen, die das Wasser kontaminieren, darunter Quecksilber. „Früher war der Fluss sehr schön. Nicht wie heute. Der Beni- Fluss war vom Coroico-Fluss bis zum La Paz-Fluss noch kristallklar. Ich bin ja damit einverstanden, dass die Ressourcen ausgebeutet werden, aber sie sollen dabei nicht den Wald zerstören. Sie richten dort ein Desaster an“, sagt Don Hernán, während er Coca im Mund hat, um Kraft zu gewinnen. Als Fünfjähriger hatte er von seinem Vater und Großvater das Fischen gelernt. Als junger Mann habe er hier hundert Fische am Tag gefangen, heute seien es mit Glück zwischen zwei und fünf.
Heutzutage gäbe es Fische nur noch in Quendeque, flussabwärts im Madidi-Nationalpark. Aber die Parkwächter würden die Leute daran hindern, dort in großem Umfang zu fischen oder Bergbau zu betreiben. Wenn die Bewohner*innen von Tomachi heute Fisch essen wollten, müssten sie bis dorthin.
Das Territorium der Leco erstreckt sich über vier Munizipien: 60 Prozent in Guanay, 20 Prozent in Teoponte, zehn Prozent in Mapiri und zehn Prozent in Tipuani. Es sind 4000 Familien, viele von ihnen sind hier geboren, andere kommen aus höher gelegenen Regionen, aber zählen sich auch zu den Leco. Tomachi ist mit 360 Familien der drittgrößte Ort. Im Dorfzentrum befinden sich die Plaza und ein halbfertiges Gemeindehaus. Das wurde mit den zwei Prozent finanziert, die die Kooperative von den Gewinnen an die Gemeinde abführen muss. Aber seit drei Jahren geht es mit dem Bau nicht voran.
Je weiter das Boot fährt, desto breiter wird der Fluss und die Berge, die sich vom Ufer hochziehen, haben keine Bäume und Sträucher mehr. Unfruchtbares Land. Am Ufer sieht man Berge von Steinen, die von der Erweiterung des Sicherheitsstreifens am Flussrand übrig geblieben sind.
„Die bringen so viel Steine in den Fluss, dass der seinen Lauf verändert“, sagt Bootsführer Stanley, ein Leco, der seit vielen Jahren den Fluss befährt.
„Schau mal dort. Das sind Barranquilleros“, meint unser Führer Waldo Valer und zeigt auf sechs Personen, die am Flussrand kampieren, um dort nach Edelmetall zu suchen. Man sieht häufig Goldsuchende an diesen Orten, sowohl Männer wie Frauen. Manche arbeiten für sich alleine irgendwo am Ufer, andere warten, dass es sieben Uhr oder Mittag ist, um im Abraum der Baggerschiffe nach Gold zu suchen. Alles an diesem Fluss dreht sich um das Gold. Niemand fischt. Inzwischen ist es 18 Uhr und die Aktivitäten auf dem Fluss kommen immer noch nicht zur Ruhe. Boote voller Mineros kreuzen sich mit anderen, die 2000 oder 3000 Liter Diesel für die Bagger transportieren, die später vielleicht sogar zusammen mit dem Motorenöl in den Fluss abgelassen werden. Diese Praxis schädigt Tag für Tag die Fische und hinterlässt auch auf den Felsen ihre Spuren. Die Boote mit dem Treibstoff starten von Mayaya, dem größten Distrikt von Teoponte, in dem sich auch die meisten Aktivitäten der Goldgewinnung konzentrieren. Allein dort gibt es 38 registrierte Kooperativen und acht Konzessionen.
Hernán zeigt auf silberfarbene Felsbrocken, die über hundert Meter eine Art Hügel bilden und mit der grünen Amazonaslandschaft kontrastieren. Wenn das Gold ausgebeutet ist, bauen die Mineros Mauern mit diesen Felsbrocken. Angeblich wird dadurch der Berg ersetzt, den sie zuvor abgetragen haben. Denn dazu wären die Firmen verpflichtet. Niemand kontrolliert, ob es sich wirklich um eine Wiederherstellung handelt.
Quecksilber ist schädlich für die Gesundheit und die Umwelt. Deshalb ist in der Minamata-Konvention von 2013, die inzwischen 137 Staaten der Erde ratifiziert haben (darunter auch alle lateinamerikanischen Staaten mit Ausnahme Venezuelas), der Einsatz von Quecksilber in Industrie, Bergbau und Medizin streng reglementiert. Die Publikation „Das Quecksilber in Bolivien: Bestandsaufnahme seiner Nutzung, Emissionen und Verschmutzung“ des Umweltministeriums von 2016 informiert, dass die Goldwirtschaft für 82,3 Prozent der Quecksilber-Emissionen im Land verantwortlich ist. Bis 2015 wurden jährlich mehr als 37 579 Kilo Quecksilber pro Jahr emittiert. Davon landeten 10 146 Kilo in der Atmosphäre, 19 120 im Wasser und 12 806 im Boden.
Vermutlich ist die Verwendung dieses Schwermetalls im Norden von La Paz seitdem noch angestiegen. Denn nach Angaben des CEDIB (Centro de Documentación e Información Bolivia) wurden die Konzessionen zwischen 2015 und 2017 noch ausgeweitet.
Am Kaka setzen alle, die Gold ausbeuten, Quecksilber ein. Es schädigt die Gesundheit derer, die damit umgehen, denn beim Schmelzprozess werden toxische Gase freigesetzt. Und wenn das flüssige Quecksilber in die Natur freigesetzt wird, verwandelt es sich in Methylquecksilber, ein Nervengift, das über das Wasser in die Fische gerät. Ein 60-jähriger Goldsucher berichtet, dass er die Luft anhält, wenn er mit Quecksilber arbeitet. Seit 15 Jahren ist er in der handwerklichen Goldsuche tätig. Und er weiß, dass das Quecksilber ihn langsam tötet. Fehlende Schutzmaßnahmen beobachtet man nicht nur bei den handwerklichen Goldsuchern. Laut einer Bestandsaufnahme des Plagizid-Netzwerks PlagBol im Munizip Guanay, das ein Projekt zur Goldförderung ohne Quecksilber vorantreibt, beachten die Arbeiter dort keinerlei Sicherheitsregeln. Anderswo im Territorium der Leco ist das vermutlich genauso.
Eine Studie des Internationalen Netzwerks zur Eliminierung von Schadstoffen IPEN fand heraus, dass am Beni-Fluss die indigenen Ese Ejja-Frauen hohe Konzentrationen von Quecksilber im Körper aufweisen, vor allem durch den Verzehr von verseuchtem Fisch. Die Krankenhäuser von Guanay, Teoponte und Mayaya verfügen jedoch über keine Zahlen zu Quecksilbervergiftungen, weil es keine medizinischen Vorgaben zur Identifizierung der Pathologien gibt. Gleichwohl weist Oscar Campanini, Direktor des CEDIB, darauf hin, dass die Folgen des Quecksilbers erst im Laufe der Jahre in Erscheinung treten.
Die Bürgermeisterämter von Teoponte und Guanay wie auch die Zentralregierung begründen das Fehlen von Untersuchungen zu den Folgen des Quecksilbers mit den hohen Kosten. Man benötige dafür die Kooperation mit Universitäten und der Entwicklungszusammenarbeit. Die Leco haben jedoch keine Zweifel daran, dass sie durch Quecksilber vergiftet werden. Elizabeth López, eine Spezialistin, die zum Bergbau in Teoponte forscht, ist der Auffassung, dass die fehlenden Daten ebenso wie das ungebremste Wachstum des Goldabbaus in der Region auf die systematische Nachlässigkeit der staatlichen Stellen zurückzuführen seien. Die Indígenas hätten resigniert, weil sie selbst ihr Leben nicht ändern und keine Lösung für das Problem finden könnten.
Mit dem Einbruch der Nacht in Teoponte beginnen die Lampen der schwimmenden Bagger und der Camps der Mineros auf den Hügeln am Flussrand zu leuchten. Ein riesengroßer schwimmender Bagger nähert sich dem Ort, um Diesel zu tanken. 15 Arbeiter sind zu erkennen, ein Gutteil von ihnen Chinesen. Um 20 Uhr kommen wir in der Leco-Gemeinde Pahuirno an, um dort zu übernachten. Wir schlafen mit dem Lärm der Bagger, die dem Fluss keine Pause gönnen.
Die Reportage von Karin Gil wurde im Dezember 2021 in einer ausführlicheren Multimedia-Version in der Online-Zeitschrift La Brava veröffentlicht. https://revistalabrava.com/el-lento-envenenamiento-de-los-indi- genas-lecos-por-mercurio/ • Übersetzung: Peter Strack