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Feminismen hüben und drüben

Gaby Küppers

Die lateinamerikanischen Feminismen sind antikapitalistisch, antiimperialistisch, antirassistisch und antipatriarchal, so unsere Vorstellung. Popular und politisch. Es gibt feministische indigene Kleinbäuerinnen, feministische Staudammgegnerinnen, feministische Universitätsprofessorinnen. Es geht ihnen um Körperpolitik, um den Kampf gegen Frauenhandel, um geteilte Care-Arbeit und geteiltes Sorgerecht. Um einen Bruch mit der binären Vorstellung von Frauen und Männern und eine Infragestellung der Heteronorm.

Am Ende letztlich um das Gleiche wie in Europa? Ja und nein. Vergleiche hinken immer, vielleicht, weil sie über kleine Unebenheiten stolpern. Über das Wort popular – populare Feministinnen interessieren sich herzlich wenig für Quoten in Vorstandsetagen. Oder das Wort „politisch“. Lateinamerikanische Feministinnen würden sich immer als politisch bezeichnen, europäische weniger.

Neidisch gehen die Blicke und Gedanken hiesiger Feministinnen immer wieder nach Lateinamerika, Projektionen inbegriffen. In Europa tun die Feminismen sich nach wie vor tatsächlich schwer zusammenzuwachsen. In Lateinamerika und der Karibik dagegen gibt es seit dem Ersten Feministinnentreffen 1989 im argentinischen Mar del Plata periodisch Kongresse mit Teilnehmerinnen aus allen dortigen Ländern. Ob bessere Finanzierung mit ausschlaggebend war, sei dahingestellt. Das 15. Treffen war für November 2020 in El Salvador angesetzt, wegen der Pandemie musste es bis auf Weiteres verschoben werden. Nationale Treffen sind ebenfalls an der Jahresordnung lateinamerikanischer Feministinnen: Argentinien brachte es seit 1986 auf 35. Wo immer Feministinnen zusammenkommen, entstehen Brutstätten und Wiegen für autonome Projekte, aber auch für legislative Vorschläge. Alle Fortschritte bei der Legalisierung von Scheidung, Zugang zu Verhütungsmitteln, Kampf gegen Abtreibungsverbote, gegen Feminizide, generell gegen Gewalt gegen Frauen wurden nicht durch gesellschaftliches Einsehen, sondern wesentlich durch feministischen Druck auf Regierungen erreicht. Der wiederum basierte auch auf Theoriebildung. Und da hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Nach einer ersten Phase des Erkämpfens von Rechten für Frauen drängt nun die Frage nach der Genesis von Gender in den Vordergrund: was ist weiblich konnotiert, was männlich, und warum? Und wie kommt geschlechtsspezifische Gewalt in die Welt? Antworten darauf gibt es viele, nicht zuletzt von der argentinischen Vordenkerin Rita Laura Segato (siehe dazu Rezension).