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Von mysteriösen Gelbschwanz-Wollaffen und koketten Andenfelsenhähnen

„Animales peruanos“ von Micaela Chirif – ein wunderschönes Buch über die peruanische Fauna

„Animales Peruanos“ ist ein Buch für Kinder, und eigentlich auch für Erwachsene, geschrieben von der peruanischen Schriftstellerin Micaela Chirif und illustriert von der chilenischen Künstlerin Loreto Salinas. Das Buch, das der Verlag Planeta dieses Jahr veröffentlicht hat, lädt uns dazu ein, unsere Vorstellungen von Wildtieren zu erweitern, die auf dem peruanischen Territorium geboren wurden, dort leben oder sich vorübergehend aufhalten. Es handelt sich um eine Auswahl von 68 Tieren: Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Insekten und andere. Wir erfahren ihre wissenschaftlichen Namen sowie ihre Namen in Spanisch, Quechua, Aymara und anderen indigenen Sprachen. Zu jedem Tier gibt es Infos über seinen jeweiligen Erhaltungszustand und sein Habitat, seine Ernährung, Lebensweise und sogar seine Persönlichkeit. Du wirst entdecken, welches Insekt für die Herstellung von natürlichen Farben genutzt wird (die Cochenilleschildlaus), welcher Vogel in über 6000 Meter Höhe fliegt (der Kondor), welches Tier dich anspuckt, wenn es sich bedroht fühlt (das Lama), wer ganz kahl ist (der peruanische Nackthund) oder wer es schafft, 35 000 Ameisen täglich zu verspeisen (der Ameisenbär). Und zuletzt gibt es ein Glossar und es wird ein Quipu (Knotenschrift, siehe ila 438) genutzt, um die Klassifizierung der Tiere zu illustrieren. Im Gespräch mit der Autorin erfahren wir mehr über ihre Arbeit.

Carolina Garay Doig

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben, in dem die Protagonisten die peruanischen Tiere sind?

In Peru gibt es viel zu wenig informative Bücher, besonders solche mit lokalem Bezug. Das ist fürchterlich! Mir kam es total absurd vor, dass es kein Buch mit einem Überblick über die Tiere gab, die in Peru leben. Das spukte mir im Kopf herum. Eines Tages sah ich in Buenos Aires ein Buch mit dem Titel „Argentinische Tiere“ und ich war begeistert von der Illustratorin, Loreto Salinas, mit der ich jetzt dieses Buch gemacht habe.

Die Illustrationen sind wirklich wunderschön. Wie läuft ihre Umsetzung ab?

Loreto Salinas ist Chilenin. Mir gefällt, dass ihre Illustrationen einen kindlichen Charakter haben, aber gleichzeitig die Züge des Tieres beibehalten. Ich war begeistert davon, dass es keine wissenschaftliche Zeichnung war, die bestenfalls superkalt für ein Kind ist. Ich wollte aber auch nicht, dass es nur eine Kinderzeichnung ist, bei der die wiedererkennbaren Charakteristika des Tieres, die so wichtig sind, fehlen. Deshalb gefiel mir dieser „Mittelweg“, den sie gefunden hat.

In deinem Buch stellst du 68 Tiere vor. Wie verlief der Auswahlprozess?

Zunächst habe ich eine intuitive Liste mit Tieren gemacht: Lamas, Alpakas, Otorongo (Jaguar), Kaiman, alle, die einem sofort in den Sinn kommen. Dann habe ich weiter zu den Tieren recherchiert, die nicht so bekannt, aber endemisch sind, die es also nur in Peru gibt. Trotzdem habe ich zwischendurch gedacht, dass ich total danebenliege, denn es gibt mehrere Arten, die den gleichen Namen tragen. Deswegen habe ich eine Biologin um Hilfe ersucht, um den jeweiligen wissenschaftlichen Namen für die Tiere auf meiner Liste zu finden. Als ich mit Loreto zu arbeiten begann, änderte sich die Liste ein bisschen. Sie sagte zu mir: „Lass uns das etwas ausgeglichener machen, uns fehlen mehrere Insekten.“ Oder zum Beispiel der Seestern: „Wir müssen einige der Tiere unterbringen, die zunächst gar nicht wie ein Tier wirken.“ Ich fand es interessant, nicht nur die Tiere darzustellen, über die wir etwas wissen, sondern auch diejenigen, über die wir fast gar nichts wissen. Es gibt noch so viel zu entdecken und zu erforschen. Von dem Riesenbockkäfer wissen wir noch nicht einmal, ob er überhaupt frisst, nachdem er das Larvenstadium hinter sich hat. Wir wissen, dass er als Larve Holz frisst, aber sobald er erwachsen ist, geht man davon aus, dass er nicht mehr frisst und sich nur noch der Fortpflanzung widmet. Aber mit Sicherheit weiß man das nicht.

Einige Tiere haben keinen exklusiven peruanischen Ursprung, sondern leben einfach in Peru. Wer ist also ein peruanisches Tier?

Diese Frage gefällt mir. Ich wollte, dass zum Beispiel auch die Migranten-Tiere mit aufgenommen werden. Oder auch die Tiere, die gar nicht ständig hier leben, wie zum Beispiel der Buckelwal, der auf seiner Migrationsroute lediglich an der peruanischen Küste vorbeischwimmt. Das ist wichtig in unserer Zeit, in der Migration so sehr im Fokus steht. Am Anfang schwebte mir der Titel „Tiere, die in Peru leben“ vor, aber dann sagte ich „Peruanische Tiere“. Das erschien mir wichtig, auch um auszudrücken, dass es viele verschiedene Formen gibt, peruanisch zu sein.

Dein Buch schafft es, Empathie für Tiere zu erzeugen und zu entdecken, wie wichtig ihre Existenz für andere Lebewesen ist. So erfahre ich zum Beispiel, dass die Anchoveta, die Südamerikanische Sardelle, lediglich geboren wird, um als Ernährung für andere Fische oder den Menschen zu dienen. Wie hast du entschieden, welche Informationen über jedes Tier im Buch auftauchen?

Diesen Text zu schreiben war für mich sehr schwierig, denn ich wollte in jedem Text das Tier an sich würdigen. Und bei der Sardelle kam ich nicht umhin, ihre Funktion in der Nahrungskette darzustellen – dass ihr Leben ein einziges Opfer für alle anderen ist! Ich wollte ein wenig erreichen, die Neugier und das Interesse bei den Leuten zu wecken. Wenn wir erreichen, bei den Kindern Neugierde für Tiere zu wecken, haben wir es geschafft! Wenn du ein Kind fragst: Welche Tiere gefallen dir? Wahrscheinlich wird es von Löwen reden, von Zebras, Giraffen und so weiter. Aber es wird nie von den Tieren sprechen, die in seiner Gegend leben. Warum? Weil die Wertschätzung bestimmter Elemente und Umgebungen davon abhängt, ob sie in Büchern und Filmen vertreten sind, kurz, in allem, was kulturelle Repräsentation ausmacht. Und die peruanischen Tiere sind nicht vertreten oder für Kinder ziemlich unterrepräsentiert. Wenn unsere Realität also nicht vertreten ist, werten wir sie ab. Und das Wirkliche und Wertvolle ist dann immer auf der anderen Seite, in einem anderen Land, wo es Schnee gibt, wo es Elche oder Löwen gibt.

Gerade für Kinder erschien es mir eine schöne Idee, bestimmte Eigenschaften der Tiere hervorzuheben, zum Beispiel, dass das Faultier so faul ist, dass es sich nur bewegt, wenn es unbedingt nötig ist. Wie hast du dich für die dargestellten Details entschieden?

Das war für mich noch viel schwieriger: der Blickwinkel, mit dem man das Tier präsentiert, damit es für die lesende Person attraktiv ist. Es gab einige, über die nichts bekannt war oder lediglich zwei oder drei Infos. Bei anderen hingegen gab es eine Menge an Informationen, und insofern musste ich aussuchen. Manchmal habe ich versucht, mehr Infos über die Weibchen unterzubringen, weil es normalerweise mehr Infos über die Männchen gibt.

Du hebst etwa hervor, dass das Spinnenweibchen länger lebt als das Männchen oder dass das Muy-Muy- (Emerita, Sandkrebs)Weibchen doppelt so groß ist wie das Männchen – warum?

Nicht immer, das war ja nicht die Zielsetzung des Buchs. Aber wenn ich ein interessantes Detail oder etwas, das mir relevant erschien, gefunden habe, bin ich wie mit dem Andenfelsenhahn verfahren: Das Männchen davon ist hübscher, viel bunter und von einem sehr intensiven Rot. Das Weibchen ist braun, hat einen gedeckteren Ton, was aber seine Gründe hat, nämlich den Schutz der Brut. Das Weibchen gerät nicht ins Blickfeld der Raubvögel, während das Männchen auffällt, wenn es überall mit seinen prächtigen Farben herumflattert. Ein anderes Beispiel: Das Männchen der Wundersylphe (eine Kolibri-Art) tanzt, um die Aufmerksamkeit des Weibchens zu erregen. Das Weibchen beachtet es oder auch nicht, je nach Lust und Laune. Das heißt, es muss nicht darauf eingehen. Solche kleinen Details erscheinen mir wichtig. Oder der Junintaucher: Warum nicht die Info erwähnen, dass sich sowohl Vater als auch Mutter um die Brut kümmern und das Nest gemeinsam bauen?

Ich fand die Idee genial, in dem Buch einen Maßstab einzufügen, anhand dessen die reale Größe eines Tieres mit dem eines Kindes, das 1,20 Meter groß ist, verglichen werden kann.

Das ist wirklich ein wunderbares Mittel, außerdem wechseln wir die Silhouetten ab, mal ist es ein Junge, mal ein Mädchen. Die Informationen über die jeweiligen Größen habe ich gemeinsam mit María, der Biologin, zusammengestellt. Natürlich ist die Art und Weise, wie gemessen wird, wichtig: ob von Kopf bis Pfote, ob mit eingezogenem oder ausgebreitetem Schwanz. Wenn man einem kleinen Kind sagt, dass ein Tier 1,80 Meter groß ist, kann es damit nichts anfangen. Solche Zahleninfos sind zu abstrakt. Aber wenn man das Verhältnis zwischen dem Kind und dem Tier in der Silhouette sieht, bekommt man eine viel konkretere Vorstellung von der Größe des Tieres.

Von all den Informationen, die du mit der Biologin zusammengetragen hast, was fandest du am bemerkenswertesten?

Ich fand den Weißflügelschaku superinteressant: Über 100 Jahre lang war man davon ausgegangen, dass er ausgestorben sei. Auf einmal taucht einer auf und fliegt in Lambayeque herum. Das war eine Revolution in der weltweiten Wissenschaftsgemeinde, und ich weiß noch nicht mal, ob das hier jemand mitbekommen hat. Das hat mich total beeindruckt. Es gibt einen Primaten, den Gelbschwanz-Wollaffen, der niemals gesehen wurde und von dem man nur sein Fell kannte. Ein Wissenschaftler hatte ihn was weiß ich wie lange gesucht. Als er eines Tages von seinen Forschungen zurückkam, am Boden zerstört, sieht er einen Jungen aus dem Dorf, neben ihm das Äffchen. Solche Dinge beeindrucken mich zutiefst. Sie zeigen, wie wenig wir wissen.

In dem Buch finden sich auch Infos über den jeweiligen Erhaltungszustand von jedem Tier. Bei einigen konnte das nicht genau aufgeführt werden, weil Informationen fehlen. Ist das ein Aufruf an die Wissenschaft?

Es braucht mehr Untersuchungen. Das sollte aber nicht nur die Wissenschaft machen, sondern auch der Staat. Der Staat ist verantwortlich für die Erhaltung der Arten und der Biodiversität auf seinem Territorium. Das ist dringend notwendig! Vom Junintaucher gibt es nur noch sehr wenige Exemplare, er steht kurz vorm Aussterben. Das Schlimme daran: Die meisten Tiere, deren Bestand gefährdet ist, sind es aufgrund der fortschreitenden menschlichen Aktivitäten in ihren Habitaten, aufgrund der Ausplünderung und der Umweltverschmutzung. Das ist furchtbar!

Welche Reaktionen hat es auf dein Buch gegeben?

Viele Papas und Mamas haben mir Fotos geschickt von ihren Kindern, wie sie sich das Buch anschauen. Ein Papa hat ein sehr schönes Foto auf Instagram gepostet, auf dem er mit seinem Kind am Strand ist. Das Kind ist da mit einer Lupe zugange und guckt sich einen Muy Muy (Emerita, Sandkrebs) an. Wenn du siehst, dass das Buch den Kindern gefällt und so von ihnen genutzt wird, dass auf einmal diese Tiere in ihrer Vorstellung existieren, ist das ein wahres Wunder. Die ganze Arbeit hat sich gelohnt. Es ist dorthin gelangt, wo es hingelangen sollte.

Für mich ist es auch ein Buch für ein erwachsenes Publikum, oder was meinst du?

Du hast wahrscheinlich recht. Ich habe mir gewünscht, dass es – und das ist mir sehr wichtig für meine Bücher – gemeinsame Lektüre anregen könnte, die einen Begegnungsraum zwischen Kindern und Erwachsenen erschafft. Dass es dem Papa Spaß macht, dem Kind ein Buch vorzulesen, das beiden gefällt. Das ist ganz anders, als wenn du dich damit quälst, einem Kind etwas vorzulesen, das du selbst ganz schrecklich findest, von dem sie aber total begeistert sind. Solch ein Raum für Gespräche zwischen den Generationen kann sehr bereichernd sein. Und es kann einen Raum für den Ausdruck von Gefühlen eröffnen, für Gespräche und Dialog. Es gibt ja Tiere, die weder die Erwachsenen noch die Kinder kennen, was einen mehr oder weniger horizontalen Dialog erlaubt. Und das scheint mir eine schöne Sache zu sein.

Meine letzte Frage: Welche Bedeutung hatte die Herausgabe des Buches für dich?

Es war eine seltsame und gleichzeitig zutiefst befriedigende Erfahrung. Und das, obwohl es keine Fiktion, keine Lyrik, sondern ein Sachbuch ist. Es gab so etwas wie ein Aushandeln zwischen der Biologin und mir, als ich bei der Info über den Andenfelsenhahn schreiben wollte „ein Sänger und geübter Tänzer“. Sie wollte das entfernen, ich versuchte es an die wissenschaftlichen Grundlagen anzupassen, dabei aber einen gewissen literarischen Tonfall beizubehalten. Diese Erfahrung hat mir sehr gefallen.

Das Interview führte Carolina Garay Doig per Skype im November 2020. Übersetzung: Britt Weyde