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Mach ihn fertig, damit die anderen dich respektieren

„Die Kathedrale der Schwarzen“, ein Roman aus Cuba
Laura Held

„Eines Tages fuhr der Gringo mit einem Fahrrad aus dem Shoppingcenter vor, klingelte und schrie: ‚Ich verdiene Respekt‘ und da wussten alle, dass der Gringo stinkreich war.“ Gringo ist ein Afrocubaner, der, wie alle, die im Roman „Die Kathedrale der Schwarzen“ von Marcial Gala zu Wort kommen, aus dem heruntergekommenen Stadtviertel Punto Gótico in Cienfuegos auf Cuba stammt. Die meisten, die dort wohnen, sind schwarz und schlagen sich gerade so durchs Leben. Respektiert zu werden ist allen ungeheuer wichtig. Dafür wird gedroht, geflucht, geschlagen, „gefickt, was da ist“ und sogar jemand umgebracht, am besten jemand, der schon mal gesessen und einen gewissen Ruf hat, denn dann wird man anerkannt. Auch Klamotten, am besten Markenklamotten, und das Aussehen machen Eindruck.

Es ist keine leichte Kost, dieses Buch, in dem es tatsächlich um den Bau einer Kathedrale geht. Eine, die ein zugezogener Prediger der (erfundenen) Kirche des Heiligens Sakraments ausgerechnet in Punto Gótico errichten lassen möchte. Er schafft es, dank reichlich fließender Gelder aus den USA durch seine mitreißenden Predigten und eine stetig wachsende Zahl von Anhänger*innen gegen anfängliche Widerstände und behördliche Schikanen ein riesiges Bauwerk zu errichten. Das halbe Viertel hilft dabei. Wie beim Turmbau zu Babel wird die Kirche immer größer und größer, aber nie fertig.

Im Zentrum der Geschichte stehen der undurchsichtige Prediger Arturo, seine fromme, etwas zurückgebliebene Frau Carmen und vor allem ihre drei Kinder: David King, der Älteste, der so gerne singt und später im Gefängnis an Aids stirbt, Prince, der aussieht wie „Michael Jackson, bevor der völlig ausgebleicht war“, ein genialer Dichter, der abstürzt, und die schöne Johannes (sic), die einzige, die es schafft, weil sie sich nach Italien absetzt, einen Italiener nach dem anderen heiratet und eine berühmte, millionenschwere Künstlerin wird.

Der Aufbau der Geschichte ist raffiniert: es erzählen im Wechsel Menschen aus Punto Gótico, die die Familie kannten, davon, was ihrer Ansicht nach passiert ist, seit diese ankam. Sie reden, wie sie auf der Straße reden würden, ohne Anfang und Ende. Die Geschichte erschließt sich langsam, wie ein Mosaik, aus den unterschiedlichen Berichten. Die Familie selbst kommt nicht zu Wort, dafür Nachbar*innen, Jugendliche, der Architekt der Kirche, verschiedene Amtsträger (Polizisten, Gefängniswärter), ein Lehrer. Von Anfang an ist klar, dass etwas Schreckliches geschehen wird und dass Prince, der schöne, überaus begabte Sohn, der besser predigt als der Vater, irgendetwas ungeheuer Böses tun wird. Was genau, das wird erst ganz zum Schluss erzählt, die Spannung steigert sich mit jeder Seite. Die Tat selbst bleibt allen, die davon erzählen, genauso unfassbar und unerklärlich wie der Leserin.

Die Figuren im Zentrum bleiben eigentümlich blass, auch die Kathedrale ist nur eine Schimäre. Dafür werden einige der Sprecher*innen im Roman höchst lebendig: vor allem der Gringo, so genannt, weil er sich immer elegant und „ausländisch“ anzieht. Der war früher Elitesoldat und mordet völlig ungeniert „zweibeinige Rinder“, deren Fleisch er als Rindfleisch verkauft. Natürlich nur Leute von außerhalb, und auch das Fleisch verkauft er nicht im Viertel. Seine Opfer erleichtert er zudem um das Geld, das sie für Dinge mitbringen, die er angeblich zu verkaufen hat, wie ein Motorrad und eine Klimaanlage. Gringo erlebt die unglaublichsten Abenteuer, setzt sich in die USA ab und vermählt sich dort mit älteren, reichen US-Amerikanerinnen, die er nacheinander umbringt, um an ihr Geld zu kommen. Am Ende landet er auf dem elektrischen Stuhl. Mit der Ursprungsgeschichte ist er verbunden, weil er sich unsterblich in Johannes verliebt und deswegen in die Gemeinde eintritt, und weil er das „Potential“ von Prince erkennt und ihn unter seine Fittiche nimmt.

Eine weitere wichtige Figur ist Berta, zu Beginn der Geschichte 15 Jahre alt. Sie ist das Alter Ego des Autors, der sie an einer Stelle des Buches zu einer Lesung des Prinzen begleitet. Sie ist zu gut, um wahr zu sein, eine wahre Lichtgestalt und wird – Überraschung – eine berühmte Schriftstellerin, aber nicht reich, weil sie in Havanna bleibt.

Insgesamt ein kurzweiliges, spannendes Buch, das jedoch von Klischees („diese Schwarze mit dem Wahnsinnsarsch“) wimmelt und wohl jede*n einigermaßen ratlos zurücklässt. Geht es um Dämonen? Falsche Frömmigkeit? Rassismus? Eine unvollendete Geschichte, eine unvollendete Kathedrale. Die Leute aus dem Viertel haben ihren Senf dazu gegeben, jetzt sind wir Leser*innen dran.